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Libyen und Ägypten Im Hass vereint gegen die USA

Es ist nur ein 15 Minuten langer Filmausschnitt. Doch weil darin der Prophet Mohammed herabgewürdigt wird, haben Islamisten die US-Vertretung in Kairo gestürmt und den US-Botschafter in Libyen getötet. Die Eskalation wird geschickt orchestriert - nicht nur von muslimischen Extremisten.

Kairo/Bengasi - Osama Bin Laden wäre vor Freude außer sich gewesen: Am 11. September 2012, dem elften Jahrestag der Anschläge auf das World Trade Center und das Pentagon, weht plötzlich die schwarze Flagge mit dem islamischen Glaubesbekenntnis über dem Gelände der US-Botschaft in Kairo. Jene Flagge, die auch al-Qaida in ihren Botschaften verwendet.

Kurze Zeit später stürmen militante Islamisten auch das US-Konsulat in der libyschen Hafenstadt Bengasi. Sie schießen mit Maschinengewehren, Panzerabwehrraketen und werfen selbstgebaute Sprengsätze auf das Gebäude. Die Angreifer töteten den Botschafter Christopher Stevens und mindestens drei weitere US-Bürger.

Knapp 2000 Islamisten hatten sich am Dienstag zunächst vor dem Botschaftsgelände in Kairos Stadtteil Garden City versammelt. Später kletterten Dutzende Menschen auf die Mauer der Botschaft, drangen auf das Gelände vor und holten schließlich die US-Flagge vom Mast. An ihrer Stelle hisste ein Mann die schwarze Fahne mit dem islamischen Glaubensbekenntnis. Der Mob setzte das Sternenbanner unter dem Jubel der Demonstranten in Brand. Über dem Türschild der Botschaft hinterließen sie den Schriftzug "Bin Laden".

"Mein Feind ist der Gott des Islams"

Wieder einmal versuchen muslimische Extremisten, mit Gewalt die Ehre ihres Propheten Mohammed zu verteidigen. Auslöser der jüngsten Eskalation ist ein Film, der seit vergangener Woche in Ausschnitten auf YouTube zu sehen ist. Der Streifen mit dem Titel "Die Unschuld der Muslime" stellt Mohammed als einfältigen und pädophilen Lüstling dar und zeigt ihn beim Sex mit verschiedenen Frauen. Seine Anhänger werden als dümmliche und blutrünstige Beduinen porträtiert. Der Film bestreitet zudem, dass der Koran tatsächliche eine göttliche Offenbarung sei.

Macher des Videos ist Sam Bacile, ein 56-jähriger Kalifornier, der sich selbst als israelischen Juden bezeichnet. Nach seinen Angaben habe der Film fünf Millionen US-Dollar gekostet und sei von mehr als hundert Juden finanziert worden. "Der Islam ist wie Krebs. Basta", so Bacile, der eigentlich als Immobilienhändler tätig ist. In ganzer Länge sei der Film bislang erst einmal vor halbleeren Zuschauerrängen in einem Kino in Hollywood gezeigt worden.

Doch seit der Film von zwei Männern beworben wird, die bei vielen Muslimen verhasst sind, machen Islamisten mobil. Einer von Baciles Unterstützern ist Morris Sadek, ein aus Ägypten stammender Kopte. Ursprünglich ein Menschenrechtler, der sich für die Belange der christlichen Minderheit in seinem Heimatland einsetzte, sind seine Positionen in den vergangenen Jahren immer radikaler geworden.

So bezeichnet Sadek das Arabisch als "Sprache der Invasoren" und setzt sich für eine Rückkehr zur alten koptischen Sprache in Ägypten ein. Außerdem macht er sich für die Einrichtung einer christlichen Parallelregierung am Nil stark, die einen eigenen Kopten-Staat in Ägypten führen soll. "Mein Feind ist der Gott des Islam", sagte er im vergangenen Jahr in einem Interview, stellte aber gleichzeitig klar, dass er alle Muslime liebe und selbst muslimische Freunde habe. Wegen seiner Positionen wurde Sadek im vergangenen Jahr die ägyptische Staatsbürgerschaft entzogen. Inzwischen lebt er in den Vereinigten Staaten.

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Wut über US-Film: Gewalt in Kairo und Bengasi

Foto: ESAM OMRAN AL-FETORI/ REUTERS

Gerüchte schüren den Zorn

Neben Sadek machte auch der Evangelikalen-Prediger Terry Jones Reklame für den Film. Der Islamhasser aus Florida hatte bereits im vergangenen Jahr zu Koranverbrennungen aufgerufen und schließlich eine Ausgabe des Buches in seiner Kirche verbrannt. Bei gewaltsamen Protesten gegen seine Aktion wurden in Afghanistan sieben Uno-Mitarbeiter getötet und 76 weitere Menschen verletzt.

Auch diesmal schürten islamistische Gruppen geschickt den Zorn ihrer Anhänger. Zum einen waren auch sie es, die das Video über YouTube und andere Videoplattformen in den vergangenen Tagen verbreiteten und bekannt machten. Zum anderen streuten sie Gerüchte, wonach die Regierung in Washington die Filmemacher unterstütze und der Film am Jahrestag der Anschläge vom 11. September im US-Fernsehen ausgestrahlt werde.

In Ägypten hatten Salafisten daraufhin zu Protesten aufgerufen. Deren "Partei des Lichts" war bei den Parlamentswahlen Ende 2011 zweitstärkste Kraft in der inzwischen wieder aufgelösten Nationalversammlung geworden. Der Sturm auf die Botschaft ist auch eine Machtdemonstration gegenüber Präsident Mohammed Mursi. Der Muslimbruder gilt den Salafisten als zu US-freundlich. Unter den Rädelsführern bei den Unruhen in Kairo war am Dienstag auch Mohammed al-Sawahiri, Bruder von Qaida-Chef Aiman al-Sawahiri. Mohammed hatte seit 1999 im ägyptischen Gefängnis gesessen, war aber nach Mubaraks Sturz im März 2011 freigelassen worden.

Entsetzen in Kairo und Tripolis ist groß

Ägyptens Kopten, die am Dienstag das koptische Neujahrsfest begingen, distanzieren sich von dem Film und dessen Unterstützer Morris Sadek. Zeitgleich mit dem Angriff auf die Botschaft demonstrierten Hunderte Christen auf dem Tahrir-Platz in Kairo. Sie verurteilten den Film und seine Macher. Angesichts der Unruhen wenige Kilometer entfernt ging ihr Protest aber unter.

In Ägypten und Libyen ist das Entsetzen über die Angriffe groß. Die Regierungen beider Länder verurteilten die Gewalt. Kairo fürchtet, dass nun wichtige Investitionen in die gebeutelte Wirtschaft des Landes ausbleiben könnten. Tripolis würdigte den getöteten Botschafter Stevens als einen Mann, der sich frühzeitig nach Ausbruch des Aufstands gegen Gaddafi an die Seite der Rebellen gestellt und einen wertvollen Beitrag zum Aufbau eines funktionierenden Staatswesens in Libyen geleistet habe.

Die afghanische Regierung ordnete am Mittwoch die Sperrung von YouTube in ihrem Land an. So solle verhindert werden, dass Afghanen das Video zu Gesicht bekämen.

In den USA wecken die Bilder vom Sturm auf die Botschaft in Kairo und die Nachricht vom Tod des Botschafters in Libyen böse Erinnerungen an die Geiselnahme in der US-Botschaft in Teheran. Von 1979 bis 1981 hielten kurz nach der islamischen Revolution in Iran radikale Studenten 52 US-Diplomaten für 444 Tage in ihrer Gewalt.

Es war der Anfang vom Ende für die Präsidentschaft von Jimmy Carter. Die Folgen der Angriffe von Kairo und Bengasi auf die US-Präsidentschaftswahl lassen sich derzeit noch nicht absehen. Doch der Blick, mit dem die Vereinigten Staaten auf die Umstürze in der Arabischen Welt schauen, wird sich verändern.

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