Machtkampf zwischen Nato und Russland Ausgerechnet Montenegro, ausgerechnet jetzt

Podgorica, Montenegro: Eingeladen von der Nato
Foto: Mike Hewitt/ Getty ImagesDas Verhältnis der Nato zu Russland ist seit der Ukrainekrise stark belastet: Jegliche Zusammenarbeit ist ausgesetzt, zuletzt erhöhte der Abschuss eines russischen Kampfjets durch das Bündnisland Türkei die Spannungen weiter. Ausgerechnet in dieser Situation setzt das Militärbündnis seine Erweiterungspolitik fort: Montenegro erhielt am Mittwoch eine Einladung zum Nato-Beitritt.
Moskau reagierte prompt. Kreml-Sprecher Dmitrij Peskow kündigte eine deutliche Antwort Moskaus an: Die russische Führung werde die Situation analysieren und darauf reagieren.
Montenegro ist zwar die kleinste der ehemaligen jugoslawischen Teilrepubliken. Das Land hat nur 600.000 Einwohner und eine Armee mit lediglich 2100 Soldaten. Doch alle Beobachter sind sich einig, dass es bei dem Bündnis bei der Beitrittseinladung nicht nur um reine Sicherheitsaspekte geht: Dusan Reljic, Balkan-Experte der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP), sieht in der Aufnahmebereitschaft eine deutliche Botschaft der Allianz an Moskau, nachdem Russland schon seit längerem scharf dagegen protestiert. "Die Nato macht klar, dass es kein Veto-Recht von Drittstaaten gegen Beitritte gibt", so Reljic.

Nato-Generalsekretär Stoltenberg (r.), Montenegros Außenminister Luksic: Symbolischer Schritt der Nato
Foto: Virginia Mayo/ AP/dpaInsel der Stabilität auf dem Westbalkan
Auch der Vorsitzende der montenegrinischen Nichtregierungsorganisation "Zentrum für Demokratie und Menschenrechte", Nenad Koprivica, sieht das Ringen um Einfluss auf dem Westbalkan zwischen der Nato und der EU einerseits und Russland als Motiv für Brüssels Schritt. "Die Einladung an Montenegro ist eine geopolitische Entscheidung", so Koprivica, "denn bestimmte demokratische und rechtsstaatliche Kriterien erfüllt Montenegro ebenso wenig wie das bei Albanien und Kroatien 2009 der Fall war."
In Montenegro, das 2006 seine Unabhängigkeit erklärte, herrscht seit einem Vierteljahrhundert der Regierungschef Milo Djukanovic. Weil er sein Land weitgehend friedlich durch die postjugoslawischen Kriegswirren manövrierte, gilt Montenegro als Insel der Stabilität auf dem Westbalkan. Kritiker werfen Djukanovic jedoch vor, das Land wie eine Privatfirma zu führen und mit Mafiamethoden zu regieren. Sicher ist: Djukanovic hat die politischen und wirtschaftlichen Schlüsselpositionen im Land seit Langem mit Familienmitgliedern und Freunden aus seiner regierenden Demokratischen Partei der Sozialisten (DPS) besetzt.
Lange Zeit soll Djukanovic Drogenbosse im Land geduldet haben. Italienische Behörden ermittelten gegen ihn, weil er an groß angelegtem Zigarettenschmuggel beteiligt gewesen sein soll. Montenegrinische Journalisten, die darüber berichten, leben gefährlich: Bis heute ist eine Serie von Angriffen auf Journalisten, die Fälle von Korruption und organisierter Kriminalität aufdeckten, unaufgeklärt, darunter auch der Mord an Dusko Jovanovic, dem ehemaligen Chefredakteur der Tageszeitung "Dan" im Mai 2004.
Einst pflegte Djukanovic enge Beziehungen zu Moskau: Vermögende Russen kauften große Teile der Adriaküste auf, der russische Milliardär Oleg Deripaska erwarb eine Mehrheitsbeteiligung am Aluminiumkombinat KAP, dem größten montenegrinischen Unternehmen.
Inzwischen aber geht Djukanovic auf Distanz zu Moskau. Denn russische Investoren, darunter auch Deripaska, hielten ihre Finanzversprechen nicht ein. Eine Nato- und EU-Perspektive ist für das dringend auf äußere finanzielle Ressourcen angewiesene Montenegro nicht nur vielversprechender, sondern auch überlebenswichtig.
Knapp die Hälfte der Bevölkerung ist gegen den Nato-Beitritt
Im Juli 2012 begann Montenegro deshalb EU-Beitrittsverhandlungen - es war auch eine Belohnung Brüssels für die Rolle des Landes als Stabilitätsfaktor in der Region. Das Kalkül einer schrittweisen Demokratisierung des Landes im Zuge der Verhandlungen ging jedoch bisher nur eingeschränkt auf - immer wieder attestiert die EU Montenegro große Mängel bei rechtsstaatlichen Reformen.
Wegen dieser Mängel kam es in den vergangenen Monaten zu Straßenprotesten, die Opposition boykottierte zudem die Parlamentsarbeit. Sie fordert unter anderem eine faire Wahlgesetzgebung, die Fälschungen verhindert. In den Protesten zeigte sich auch die tiefe Spaltung der montenegrinischen Gesellschaft: Knapp die Hälfte der Bevölkerung ist laut Umfragen gegen einen Nato-Beitritt, auch die EU-Skepsis ist weit verbreitet. Djukanovic ließ die Proteste zeitweise gewaltsam beenden.
Unabhängige Beobachter in Montenegro kritisieren die Beitrittseinladung der Nato: "Djukanovic kann sie als großen Erfolg verkaufen, und sie wird ihn stärken", sagt Boris Raonic, der Vorsitzende der Nichtregierungsorganisation Bürgerallianz. "Die internationale Gemeinschaft wiederum zeigt erneut, dass sie sich nicht um die Regierungsmethoden von Djukanovic kümmert, solange er eine positive regionale Rolle spielt."
Ähnlich sieht es auch Mihailo Jovovic, Chefredakteur der unabhängigen Tageszeitung "Vijesti". Unter seinem Büro in der Hauptstadt Podgorica explodierte im Dezember 2013 eine Bombe - Täter unbekannt. "Natürlich wird uns der Nato-Beitritt nicht demokratisieren", sagt Jovovic. "Demokratisieren wird uns nur ein Regierungswechsel. Leider sind wir bisher das einzige Land in Europa, das in seiner Geschichte noch nie einen Regierungswechsel durch freie Wahlen erlebt hat."
Zusammenfassung: Die Nato hat Montenegro zu Beitrittsgesprächen eingeladen. Dabei ist das kleine Balkanland noch längst kein Rechtsstaat. Der Allianz geht es aber darum, einen größeren Einfluss Russlands auf dem Westbalkan zu verhindern.

Keno Verseck, Jahrgang 1967, seit 1991 freiberuflicher Journalist mit Schwerpunkt Mittel- und Südosteuropa.
www.keno-verseck.de