Montenegro Die Zwangsehe ist geschieden

55,4 Prozent der am Referendum teilnehmenden Wähler Montenegros haben sich für die Trennung der kleinen Republik von Serbien entschieden. Dem Jubel der Unabhängigkeitsbefürworter könnte bald der Katzenjammer folgen - und die Russen-Mafia.
Von Renate Flottau

Die Staatenunion Serbien-Montenegro ist nach dreijährigem erfolglosem Bestehen beendet - doch wie es nach den Jubelfeiern in Podgorica weitergehen soll, darüber herrscht nicht nur im künftigen Zwergstaat Montenegro, sondern auch in Belgrad die pure Ahnungslosigkeit. Zu einem Rosenkrieg werde es nicht kommen, verspricht Montenegros Präsident Filip Vujanovic, er rechne "mit einem europäischen Benehmen Serbiens". Würde Belgrad nämlich seine Ankündigungen während der Referendumskampagne wahr machen, dürfte vielen Bürgern der kleinen Küstenrepublik sehr schnell die Feierlaune vergehen. Einige Tausend montenegrinischer Studenten, die bislang kostenlos in Serbien studierten, würden künftig mit hohen Studiengebühren für Ausländer belastet, Kranke in serbischen Krankenhäusern als Privatpatienten behandelt und berechnet.

260.000 Montenegriner, die oft seit Generationen in Serbien leben, müssten mit Problemen am Arbeitplatz rechnen. In ihrer "Ur"-Heimat Montenegro gäbe es für sie kaum Ausgleich. Die Zahl der Beschäftigten liegt dort bei knapp 120.000, der Rest lebt von gelegentlicher Schwarzarbeit und Schmuggel. Zahlreiche Minister und Politiker, darunter Serbiens Innenminister und Geheimdienstchef, wären zudem gezwungen, ihre montenegrinische Staatsbürgerschaft gegen die serbische einzutauschen, wollten sie weiter ihre Posten behalten. Denn Belgrad ließ keine Zweifel: Ausländer könnten künftig keine politischen Funktionen in Serbien innehaben.

Bisher sind die Reaktionen aus der serbischen Hauptstadt über die Loslösung Montenegros allerdings emotionslos - ja, man ist fast erleichtert darüber, dass der jahrelange Spuk einer nicht funktionsfähigen Zwangsehe mit Dauerstreit und gegenseitigen Beschimpfungen endlich beendet ist. Um seine Vollmitgliedschaft in internationalen Organisationen, etwa den Vereinten Nationen, braucht sich Belgrad nicht zu sorgen. Als Nachfolgestaat der bisherigen Union übernimmt es diese Positionen automatisch.

Konflikte in Belgrad könnte indes die Neubesetzung des Oberbefehlshabers der künftigen serbischen Armee - bislang vom Montenegriner Svetozar Marovic als Staatschef der gemeinsamen Union besetzt - auslösen. Sowohl Premier Kostunica wie auch Serbiens Präsident Borislav Tadic beanspruchen diesen Posten. Die Armee war, trotz gemeinsamen Kommandos, lange vor dem Referendum in zwei nahezu unabhängig voneinander funktionierende Einheiten gespalten. Die im Podgorica-Korpus dienenden rund 3400 Berufssoldaten waren fast ausschließlich montenegrinischer Nationalität. Schwere Kriegsausrüstung und militärische Gerät hatte Serbien längst aus der von Sezessionsgedanken dominierten Region evakuiert.

"Strategische Anreize"

In Podgorica wird die politische Führung zunächst den Spagat zwischen einer Unabhängigkeitseuphorie und künftigen gutnachbarschaftlichen Beziehungen zum verschmähten Ex-Bündnispartner versuchen müssen. Nicht uneigennützig. Denn es waren nicht nur die serbischen Touristen, die in der Saison montenegrinische Pensionen füllten, und die Achsel zuckend die in katastrophalem Zustand befindlichen Straßen und Flughäfen für ein, zwei Wochen blaue Adria in Kauf nahmen. Auch die Wirtschaftsverflechtungen zwischen beiden Republiken brachten dem kleinen Bruder Vorteile ein, wenngleich der Geldverkehr wegen unterschiedlicher Währungen (Montenegro führte 2002 den Euro ein) über deutsche Banken erfolgte.

Podgorica bietet daher ein Bündnis zweier unabhängiger Staaten mit offenen Grenzen und zollfreien Handelsaustausch an. Serbischen Immobilieninhabern in Montenegro, auf etwa 30.000 geschätzt, wolle man künftig alle Eigentumsrechte auf EU-Niveau zugestehen. Überlebensängste negiert Präsident Vujanovic energisch. Man werde schneller als Serbien mit dessen Dauerproblemen mit dem Haager Kriegstribunal EU- und Nato-Mitglied werden, prophezeit er, schließlich biete Montenegro auch "strategische Anreize".

Daneben werde man "mit wirtschaftlicher Diplomatie" die Ressourcen des Landes nutzen: Tourismus, Meer und gesunde Nahrung. Mit Libyen sei bereits die Ölversorgung abgesichert worden, im Gegenzug erhält Tripolis Mineralwasser in Flaschen. Mit den Nachbarn Albanien und Kroatien unterhält die montenegrinische Regierung seit langem beste Beziehungen, über mögliche Grenzöffnungen wird verhandelt. Selbst der Vater des US-Präsidenten, Bush senior, soll laut Zeitungsberichten eine 500 Millionen Euro-Investition angekündigt haben, um für die Eigentümer von Luxusjachten Hafenanlagen zu bauen und ein Golfterrain nahe dem Flughafen Tivat.

Sollte das Konzept für einen höheren Lebensstandard, für "mehr westliche Investitionen, Wirtschaftspartner und Finanzhilfen" stagnieren, dann wird sich Podgorica möglicherweise doch an die Philosophie seiner Vorfahren erinnern müssen. Das Budget des montenegrinischen Königshauses war in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts vom russischen Zaren übernommen worden.

Furcht vor Mafia und Schmuggel

Die Angst, Montenegro könnte auch künftig eine Bastion für die russische Mafia, Spielkasinos und Schmuggel werden, ist groß. Diese Gefahren sieht der EU-Beauftragte des Stabilitätspakts für Südosteuropa, Erhard Busek. Schon jetzt haben russische Millionäre kilometerlange Küstenstriche aufgekauft, russische Flugzeuge chartern Touristen non stopp an die Adria. Das einzige, funktionierende Industriewerk Montenegros, das Aluminiumwerk KAP, welches 80 Prozent der montenegrinischen Exporte tätigt, wurde vom russischen Oligarchen Oleg Deripaska gekauft. Die montenegrinische Zeitung "monitor" fürchtet, dass dessen Firmenimperium beabsichtige, mit weiteren Aufkäufen die Hälfte der montenegrinischen Inlandsproduktion zu kontrollieren.

Das zweite Standbein Montenegros ist der Schmuggel - vor allem mit Zigaretten. Damit hatte man sich jahrelang finanziell auf die Unabhängigkeit vorbereitet. Vom Profit der unverzollten Stangen, die mit Schnellbooten via Montenegro in die ganze Welt verschifft wurden, profitierte nicht nur die politische Elite. Damit wurde zudem die eigene Polizei finanziert sowie ein von Belgrad unabhängig agierender Geheimdienst.

Premier Milo Djukanovic war wegen seiner möglichen Involvierung in Schmuggelgeschäfte immer wieder von der EU unter Druck gesetzt worden, auf die Abhaltung des Unabhängigkeitsreferendums zu verzichten. Der montenegrinische Premier und Hauptpromotor der Unabhängigkeit hatte mehrfach vor dem Referendum angekündigt, bei den für Herbst vorgesehenen Parlamentswahlen nicht mehr zu kandidieren. Djukanovic war in der Vergangenheit selbst von Anhängern seiner eigenen Partei Despotismus vorgeworfen worden.

Milosevic als Erbe

Vorrangige Aufgabe der montenegrinischen Regierung muss nun eine schnelle Versöhnung mit der Opposition und die Beruhigung jener Bürger sein, die eine Fortsetzung der Union mit Serbien forderten. Deren radikale Vertreter hatten während der Referendumskampagne für den Fall der Unabhängigkeit sogar mit einer Abspaltung Nord-Montenegros gedroht.

Langfristig wird sich der neue Staat sicher mit dem Problem der albanischen Minderheiten (fünf bis sieben Prozent der Bevölkerung) befassen müssen. Diese hatten entscheidend zum Referendumserfolg beigetragen, wollen jedoch als Entgelt eine Autonomie der Region um Ulcinj, wo sie über 80 Prozent der Bevölkerung stellen.

Bleibt bei all der Euphorie im neuen Staat Montenegro nur ein Wermutstropfen. Unter Montenegros Erbe fällt auch ein Mann, den man lieber Serbiens Geschichtsbüchern überlassen hätte: Auch Milosevic war Montenegriner. Er hatte seine Macht vorrangig mit montenegrinischen Landsleuten wie Geheimdienstchef Jovica Stanisic (vom Haager Kriegs-Tribunal angeklagt) oder dem damaligen Direktor und Scharfmacher des Staatsfernsehens, Milorad Vucelic, abgesichert.

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