Morales-Eklat Juristen geben Überflug-Verweigerern recht

Boliviens Staatsjet in Wien: "Wenn ein Staat sagt, ein Flugzeug darf nicht durchfliegen, dann darf es nicht durchfliegen"
Foto: HEINZ-PETER BADER/ REUTERSWien/La Paz - Nie war Boliviens Uno-Botschafter so gefragt wie heute. "Ein Akt der Aggression" sei die Verweigerung der Überflugrechte für seinen Präsidenten gewesen, wettert Sacha Llorenti in die Kameras und Mikrofone der Weltpresse. Frankreich und Portugal hätten "internationales Recht gebrochen", als sie Evo Morales nicht über ihr Gebiet fliegen ließen und ihn so zur Landung in Wien zwangen, sagt Llorenti. Und fügt hinzu, Bolivien wolle nun formelle Klage bei Uno-Generalsekretär Ban Ki Moon einreichen.
Die beschuldigten Franzosen und Spanier widersprechen vehement: Ihr Luftraum sei offen gewesen. Madrid habe dem bolivianischen Staatschef bereits am Dienstagabend die Erlaubnis zu einer Zwischenlandung auf Gran Canaria erteilt, sagte Außenminister José Manuel García-Margallo am Mittwoch in Madrid. "Wenn es zu Schwierigkeiten kam, lag das daran, dass andere Länder die Überflugrechte verweigert haben." Auch ein Sprecher des französischen Außenministeriums sagte, es sei eine Genehmigung erteilt worden. Weitere Details nannte er allerdings nicht.
Zur Zeit steht also Aussage gegen Aussage, es ist nicht endgültig geklärt, wer für den Zwangsstopp des bolivianischen Präsidenten verantwortlich ist.
Aber hätten Frankreich und Portugal mit einer Verweigerung der Überflugrechte eigentlich das Völkerrecht verletzt?
Nein, sagt die EU-Kommission. Und Juristen geben ihr recht. Rein rechtlich sei das Vorgehen der europäischen Staaten einwandfrei gewesen, sagt Elmar Giemulla, Professor für Luftverkehrsrecht an der TU Berlin, im Gespräch mit SPIEGEL ONLINE. "Jeder Staat hat die ausschließliche Souveränität über sein Staatsgebiet und den Luftraum. Er bestimmt allein, wer hinein darf und wer nicht." Der Potsdamer Völkerrechtler Andreas Zimmermann, Experte für Diplomatenrecht, fasst es so zusammen: "Wenn der Staat sagt, ein Flugzeug darf nicht durchfliegen, dann darf es nicht durchfliegen."
Keine Privilegien für Staatschefs
Dass Präsident Morales in einer Maschine des Staates Bolivien saß, verschafft ihm Giemulla zufolge keine Privilegien. Im Gegenteil; für solche Flugzeuge sind die Anforderungen sogar höher. Die Staatsflugzeuge werden nicht vom Chicagoer Abkommen erfasst, das die internationale Zivilluftfahrt regelt. Anders als gewöhnliche Verkehrsmaschinen müssten sie vor Reiseantritt eine Durchflugerlaubnis beantragen, sagt der Luftverkehrsrechtler. Schließlich könnte es sich ja auch theoretisch um einen Kampfjet oder ein Spionageflugzeug handeln.
Die Staaten können die Überfluggenehmigung auch kurzfristig und ohne jegliche Begründung entziehen, wenn das Flugzeug bereits in der Luft ist. Angela Merkel hat dies 2011 erfahren. Ihr Regierungsairbus musste rund zwei Stunden vor Iran kreisen, erst dann winkte sie Teheran durch. "Die einzige Ausnahme von dieser Regel ist, wenn die Sicherheit des Flugzeugs gefährdet ist", sagt Giemulla, "Not kennt kein Gebot."
Da Morales aber über Lissabon nach Bolivien fliegen wollte, hätte er wahrscheinlich genug Treibstoff an Bord gehabt, um umzudrehen. "Juristisch ist das Vorgehen der europäischen Staaten korrekt", sagt auch Völkerrechtler Zimmermann. "Aber es ist unüblich im diplomatischen Verkehr."
Verdacht eines Verbrechens reicht für Durchsuchung
Zur Landung zwingen dürfte ein Staat ein Flugzeug nur aus schwerwiegenden Gründen - wenn etwa der Verdacht besteht, dass die Maschine zur Spionage oder als Terrorwaffe missbraucht wird. Für eine Durchsuchung am Boden hingegen genügt zufolge laut Giemulla schon der Verdacht eines Verbrechens. Österreichs Sicherheitsbehörden hätten also die Maschine inspizieren dürfen.
Dies gelte auch für ein Präsidentenflugzeug, sagt Diplomatenrechtler Zimmermann:"Botschaften unterliegen dem besonderen Schutz der Diplomaten-Konvention. Für Flugzeuge gilt das nicht. "Und Giemulla setzt hinzu: "Die Behauptung, dass ein Luftfahrzeug ausgelagertes Territorium eines Staates sei, ist ein altes Märchen. Rein rechtlich wäre eine Durchsuchung daher korrekt." Ob sie auch politisch sinnvoll ist, das ist eine andere Frage.