Mordprozess in Pakistan CIA-Mann kommt gegen Zahlung von Blutgeld frei

CIA-Mitarbeiter Davis (Archivbild): Freigesprochen nach Zahlung von Blutgeld
Foto: Arif Ali/ AFPDie Verhandlung vor dem Amtsgericht im ostpakistanischen Lahore dauerte vier Stunden. Am Anfang des Prozesses, unter höchsten Sicherheitsvorkehrungen im Gefängnis in Lahore, hatte es an diesem Mittwoch schlecht ausgesehen für Raymond Davis, diesen bulligen 36-Jährigen mit dem ergrauten Haar. Das Gericht ließ eine Klage wegen zweifachen Mordes gegen ihn zu.
Davis hatte am 27. Januar zwei junge Männer in der Millionenmetropole erschossen, angeblich aus Notwehr, weil sie ihn bedrohten, womöglich ausrauben wollten. Die Indizien ließen große Zweifel an seiner Darstellung, dennoch forderte Washington diplomatische Immunität für ihn und bezeichnete ihn als Mitarbeiter des US-Konsulats in Lahore. Einige Tage nach dem Vorfall, bei dem ein dritter Pakistaner ums Leben kam, der von einem Davis zu Hilfe eilenden Konsulatswagen überfahren wurde, stellte sich heraus, dass Davis in Wahrheit ein Mitarbeiter des US-Geheimdienstes CIA war.
Dann, am Mittwochnachmittag, präsentierten Davis' Anwälte eine Einigung seines Mandanten mit den Familien der beiden Opfer. "Raymond Davis wird jeder der drei Opferfamilien 60 Millionen Rupien Blutgeld zahlen", sagte sein Anwalt Zahid Hussain Bokhari SPIEGEL ONLINE nach der Verhandlung. Umgerechnet sind das gut eine halbe Million Euro pro Familie, viel Geld für die Opferfamilien aus armen Verhältnissen. Außerdem werde er "wegen unerlaubten Waffenbesitzes 20.000 Rupien", etwa 170 Euro, zahlen.
Blutgeld nach pakistanischem Recht möglich
Raja Irshad, Anwalt der Opferfamilien, bestätigte, man habe sich auf die Zahlung eines Blutgeldes von insgesamt rund 1,7 Millionen Euro geeinigt. Mehrere pakistanische Fernsehsender berichteten außerdem, die amerikanische Regierung habe einigen Familienmitgliedern Visa und einen Umzug in die USA zugesichert. Nach pakistanischem Recht kann ein wegen Mordes Angeklagter freigesprochen werden, wenn die Angehörigen seines Opfers sich mit ihm auf eine Zahlung einigen, die Anklage fallenlassen und das Gericht einer solchen Einigung zustimmt. Diese Regelung beruht auf islamischen Rechtsvorstellungen.
Raymond Davis, den sie in der amerikanischen Vertretung in Islamabad und im Konsulat in Lahore immer nur Ray nannten, ist also frei. Noch am Mittwochnachmittag verließ er das Gefängnis, in dem er mehrere Wochen verbracht hatte, wurde zum Flughafen von Lahore gefahren und verließ Pakistan mit einer Maschine Richtung USA. Die amerikanische Botschaft in Islamabad wollte zwar keine Summen nennen, bestätigte jedoch, dass Davis frei "und bereits außer Landes" sei.
Woher das Blutgeld genau stammt, ist unklar. Die US-Regierung streitet offiziell ab, irgendeine Art von Wiedergutmachung an die Hinterbliebenen gezahlt zu haben. Außenministerin Hillary Clinton sagte auf die Frage, wer die Zahlung geleistet habe: "Da müssen Sie die Familien fragen." Ob es vielleicht die pakistanische Regierung gewesen sei? Clinton: "Da müssen Sie die pakistanische Regierung fragen." Die "New York Times" spekuliert über einen Umweg: Die Regierung in Islamabad sei wohl der Geldgeber, und der US-Regierung werde die Zahlung möglicherweise "irgendwann in Rechnung gestellt".
Die Entlassung jedenfalls kommt nicht überraschend: Pakistan ist finanziell von den USA abhängig, die Amerikaner sind die mit Abstand größten Geldgeber des Landes - für zivile wie für militärische Zwecke. Gleichzeitig sind die USA auf Pakistan als Partner im Anti-Terror-Krieg angewiesen: Pakistan soll Extremisten an der Grenze zu Afghanistan bekämpfen, außerdem kommt ein Großteil des Nachschubs für die US-Truppen in Afghanistan über Pakistan. "Es war von vornherein klar, dass Davis freikommt. Die Frage war nicht, ob, sondern wann und unter welchen Bedingungen", sagt ein Offizier des pakistanischen Geheimdienstes ISI zu SPIEGEL ONLINE.
Fall Davis beschäftigte wochenlang Politik und Justiz
Wie heikel der Fall für Pakistan war, zeigte die Entlassung von Außenminister Shah Mahmood Qureshi. Der hatte öffentlich gesagt, Davis sei kein Diplomat, genieße daher keine Immunität und müsse in Pakistan vor ein Gericht gestellt werden. Als Außenminister musste Qureshi es wissen, doch stattdessen wurde er gefeuert. Präsident Asif Ali Zardari und seinem Regierungschef Yousuf Raza Gilani war klar, dass sie ihren Geldgeber nicht verärgern können, indem sie Davis in Haft behalten.
Die ohnehin antiamerikanische Stimmung in Pakistan, die sich vor allem auf die Drohnenangriffe im Westen des Landes zurückführen lässt, wurde durch den Fall Davis angeheizt. Pakistanische Politiker von Regierung und Opposition erklärten in Hintergrundgesprächen unisono, das Vertrauen zu den USA sei gestört, weil Washington einen CIA-Mitarbeiter als Diplomat eingeschleust habe, ohne die pakistanischen Stellen zu informieren, wie es sonst üblich sei. Senator John Kerry reiste eigens nach Pakistan, um sich für Davis einzusetzen, selbst US-Präsident Barack Obama schaltete sich ein und verlangte diplomatische Immunität. Der pakistanische Geheimdienst forderte dagegen von Washington, eine Liste mit allen Geheimagenten im Land sowie deren Aufträge offenzulegen. Ein ISI-Offizier sagte SPIEGEL ONLINE, das Verhältnis zwischen beiden bislang kooperierenden Geheimdiensten sei zerrüttet.
Tausende Menschen protestierten in ganz Pakistan gegen eine Entlassung von Davis, viele forderten seine Hinrichtung. Auch nach dem Freispruch nun kam es in Lahore wieder zu heftigen Protesten und Zusammenstößen mit der Polizei.
Aus Angst vor dieser Wut der Bevölkerung schob die Regierung die Entscheidung, ob Davis tatsächlich Immunität genießt oder nicht, dem Obersten Gerichtshof von Lahore in die Schuhe. Der wiederum verweigerte am Montag eine Entscheidung und verwies den Fall an das Amtsgericht, das nun nicht über die Immunität, sondern über die zweifache Mordanklage entschied. "Die Angehörigen der beiden Toten haben Raymond Davis vergeben", sagte Rana Sanaullah, Justizminister der Provinz Punjab, nach der Verhandlung. "Das Gericht hat das zur Kenntnis genommen, damit ist Herr Davis frei." Der Minister betonte, die Provinzregierung habe keinerlei Einfluss auf diese Entscheidung genommen.
US-Botschaft verspricht Ermittlungen
Asad Mansoor Butt, wie Irshad Anwalt der Hinterbliebenen, erklärte jedoch SPIEGEL ONLINE, seine Mandanten seien "gezwungen worden, sich auf eine solche Einigung einzulassen". Am Dienstagabend seien Polizisten zu ihnen gekommen und hätte ihnen "sehr deutlich gemacht", dass sie die Blutgeldzahlung akzeptieren sollten.
Butt beschwerte sich außerdem darüber, er habe an der heutigen Verhandlung nicht teilnehmen dürfen, sondern sei für "mehr als fünf Stunden eingesperrt" worden. Sein Kollege Irshad, der bei dem Prozess dabei war, erklärte dagegen, insgesamt 19 Angehörige hätten am Mittwoch vor Gericht ausgesagt, sie seien bereit, das Blutgeld anzunehmen. Auf sie sei keinerlei Druck ausgeübt worden, und sie hätten auch nichts dagegen, wenn Davis freigelassen würde.
Ein Sprecher der US-Botschaft versicherte, der Fall würde von den US-Ermittlungsbehörden aufgegriffen. Die Hintergründe der Tat sind bis heute unklar, auch darüber, ob es sich bei den beiden Getöteten um Kleinkriminelle oder um pakistanische Agenten handelt, kursieren Gerüchte. Die Freilassung Davis' dürfte jetzt aber Proteste von Islamisten zur Folge haben. "Uns ist klar, dass wir jetzt erst recht als Knechte Washingtons dastehen", sagte ein Parlamentarier der regierenden pakistanischen Volkspartei.
Shumaila Faheem, Witwe eines der erschossenen Opfer, ahnte schon, dass Davis in Pakistan nicht bestraft, sondern auf freien Fuß gesetzt würde. Aus Protest dagegen nahm sie sich Anfang Februar das Leben.