Mossad-Killerkommandos Touristen mit Lizenz zum Töten
Berlin - Sieben Jahre nach der israelischen Staatsgründung, im Jahr 1955, schrieb der Philosoph Jischajahu Leibowitz dem damaligen Premierminister David Ben-Gurion einen Brief. Darin beklagte er, dass bei israelischen Operationen auch unschuldige Palästinenser getötet wurden. "Ich bin anderer Ansicht", antwortete Ben-Gurion. "Es wäre zwar schön, wenn es eine Welt gäbe voller Frieden, Brüderlichkeit, Gerechtigkeit und Ehrlichkeit - aber noch wichtiger als das wäre es, dass wir in dieser Welt auch leben."
Diese Vorstellung eines wehrhaften Staates, der sich seiner Feinde auch mit Gewalt entledigt, wo sich die Gelegenheit bietet, wird in Israel bis heute von einer breiten Mehrheit getragen. Dazu gehört auch, dass der , also der Auslandsgeheimdienst, aber durchaus auch die Armee, Killerkommandos einsetzt. Bei den sogenannten targeted killings in den Palästinensischen Gebieten, so rechnen es Menschenrechtsorganisationen vor, habe die israelische Armee bislang über hundert Menschen getötet.
Dass der gesellschaftliche Konsens über die Richtigkeit der Mordaktionen nach wie vor besteht, zeigt sich am aktuellen Fall. Der Mossad soll Ende Januar dieses Jahres in Dubai einen Waffenbeschaffer der Hamas umgebracht haben. Das behauptet nicht länger nur die Hamas selbst. Die Behörden in Dubai veröffentlichten Anfang dieser Woche einen Zusammenschnitt von Überwachungsbildern, der das mutmaßliche Killerkommando zeigt. Nur ein Geheimdienst, heißt es in deutschen Sicherheitskreisen, könne eine derartig professionelle Operation durchziehen. In Großbritannien wurden Regierungsbeamte noch deutlicher: Man sei überzeugt, dass der Mossad hinter der Ermordung von Mahmud al-Mabhuh stecke.

Mutmaßliche Opfer des Mossad: Im Visier von Killerkommandos
Doch in Israel kreist die Debatte vor allem um diese beiden Fragen:
- Hatte die Operation die vom Mossad gewohnte "Professionalität"?
- Ist es nicht eher als Versagen zu werten, dass nur wenige Tage nach der Tat die Fotos von elf mutmaßlichen Agenten öffentlich geworden sind und die ganze Welt nun annimmt, dass der Mossad nicht davor zurückschrecke, Pässe befreundeter Staaten wie Deutschland oder Großbritannien zu fälschen oder gleich die Identitäten ihrer Bürger "auszuleihen"?
Dass der Mossad unter den Geheimdiensten einen Ruf wie Donnerhall hat, verdankt er vor allem anspruchsvollen Operationen der Vergangenheit. Er befreite Geiseln aus aussichtslosen Situationen, beschaffte auf Wunsch der politischen Führung sogar einen russischen MiG-21-Kampfjet und machte der CIA im Kalten Krieg sowjetische Geheimpapiere zur Morgengabe.
Aber auch die Killerkommandos des Geheimdienstes haben Anteil an seinem Mythos. Geht man davon aus, dass Mossad-Agenten den Mord in Dubai begingen, fügt sich die Tat in eine blutige Serie ein - in der allerdings auch dramatische Fehlschläge vorkamen.
Nicht immer ist klar, ob tatsächlich der Mossad hinter den Todesfällen steckte - oder zum Beispiel eine andere israelische Spezialeinheit. Die legendäre Jagd auf die Drahtzieher des "Schwarzer-September"-Attentats, die Israels Olympiamannschaft bei den Spielen in München 1972 attackiert hatten, wurde beispielsweise von einer eigens gegründeten Einheit durchgeführt. Sie liquidierte die Gesuchten - inklusive eines unschuldigen marokkanischen Kellners in Norwegen, den sie mit einem Terroristen verwechselte. Mindestens einmal, 1973 in Beirut, tarnten sich die Agenten dabei ebenfalls als Touristen - so wie die "Dubai Eleven".
Deutschen Wissenschaftlern schickte der Mossad Briefbomben
Mitte der siebziger Jahre soll die damalige Premierministerin Golda Meir ein sogenanntes X-Komitee ernannt haben, das - möglicherweise bis heute - die Liste der zu Tötenden verantwortet. Beim Mossad selbst soll die "Caesaria"-Einheit mit den Tötungen beauftragt sein.
Weil Israel in den seltensten Fällen auch nur andeutet, hinter einem Killerkommando gestanden zu haben, und der Mossad dies prinzipiell nicht zugibt, werden dem Geheimdienst vermutlich mehr Morde zugeschrieben als er tatsächlich begangen hat. Die Liste der Fälle, die allgemein als gesichert gelten, ist dennoch lang - und reicht über 40 Jahre in die Vergangenheit zurück.
Schon in den sechziger Jahren soll der Mossad beispielsweise Briefbomben an deutsche Wissenschaftler verschickt haben, die dem ägyptischen Raketenprogramm zuarbeiteten. Mehrere von ihnen kamen dabei ums Leben.
Einer der spektakulärsten dem Mossad zugeschriebenen Morde ereignete sich im Jahr 1987 in Tunis, wo der PLO-Führer Khalil Wasir alias Abu Dschihad logierte. Etwa 30 Agenten dürften beteiligt gewesen sein, mit kleinen Booten erreichten sie die tunesische Küste, wo ein Teil von ihnen als Touristen getarnt auf das Wohnhaus von Jassir Arafats wichtigstem Gefolgsmann zugingen. Eine andere Gruppe bezog Posten in tunesischen Armeeuniformen. Im Luftraum flog währenddessen eine israelische Boeing 707. Sie sollte alle Kommunikationsstränge am Boden lahmlegen. Die Attentäter drangen in das Haus ein, töteten einige Angestellte und schließlich mit 70 Kugeln auch den PLO-Mann, dessen Ehefrau und Kinder sich in unmittelbarer Nähe befanden.
Im Oktober 1995 wurde auf Malta Fathi Shikaki getötet. Er gehörte zu der palästinensischen Terrorgruppe "Islamischer Dschihad". Der Attentäter kam auf einem Motorrad angebraust und schoss seinem Opfer drei Mal in den Kopf. Später stellte sich heraus, dass die Operation sorgfältig vorbereitet war; das Zweirad war Monate zuvor gestohlen worden. Etwa ein Dutzend Agenten war mutmaßlich involviert, die allesamt untertauchten.
Im Jahr 1996 kam der Hamas-Kader Jahja Ajjasch im Gaza-Streifen ums Leben, als sein Mobiltelefon explodierte. Die neuartige Methode des Anschlags schockte die militante palästinensische Szene. Auch hier wird die Drahtzieherschaft des Mossad allgemein angenommen.
Im September 2004 war wieder ein Hamas-Kader das Opfer: Izz al-Din al-Scheich Khalil wurde getötet, als ein Sprengsatz unter seinem Auto explodierte. Er galt als Koordinator der Aktionen des militärischen Arms der Hamas. Israel übernahm implizit die Verantwortung, der Mord wurde als Signal an die syrische Führung gewertet, dass auch Damaskus vor israelischen Agenten nicht sicher sei.
Der spektakulärste Fehlschlag
Im Februar 2008 wurde der Hisbollah-Mann Imad Mughniyeh ebenfalls in Damaskus getötet, eine Autobombe in seinem Mitsubishi Pajero zerfetzte den Terroristen, dem der Mord an Hunderten Menschen zur Last gelegt wurde. Israel dementierte offiziell, dass es etwas mit dem Mord zu tun habe. Aber die meisten Experten neigen zu der These, dass der Mossad zumindest beteiligt war - eventuell im Zusammenspiel mit anderen Geheimdiensten der Region.
Der bislang spektakulärste Fehlschlag ereignete sich im September 1997 in der jordanischen Hauptstadt Amman. Als kanadische Touristen getarnte Mossad-Agenten wollten den Hamas-Führer Khalid Mischal quasi im Vorbeigehen mit einem Nervengift töten, das über die Haut aufgenommen wird. Doch der Agent traf den Nacken des Opfers, Mischals Bodyguard verfolgte die beiden daraufhin fliehenden Mossad-Männer. Er übergab sie der jordanischen Polizei. Die belagerte kurz darauf die israelische Botschaft, wohin - unter Aufgabe ihrer Tarnung - vier weitere Mossad-Agenten geflohen waren.
Der israelische Premier Benjamin Netanjahu musste daraufhin zu Kreuze kriechen. Er flog nach Amman und entschuldigte sich bei dem Bruder des Königs Hussein, der ihn nicht empfangen wollte. Nach eisigen Verhandlungen übergab Israel ein Gegengift und die chemische Formel des Opiats, das angeblich schon zuvor vom Mossad - unerkannt - eingesetzt worden war. Außerdem entließ Israel im Austausch gegen seine Agenten den Hamas-Gründer Scheich Ahmad Yassin und Dutzende weitere Palästinenser und Jordanier aus seinen Gefängnissen.
Eine offizielle Untersuchung kam anschließend zu dem Ergebnis, der Mossad sei "fixiert auf riskante Operationen". Der Dienst war blamiert, für etliche Jahre hielt er sich danach mit Killerkommandos zurück - oder agierte sehr vorsichtig.
Geheimdienst in Schwierigkeiten
Der Mord von Dubai, sollte er tatsächlich vom Mossad zu verantworten sein, könnte eine ähnliche Wirkung haben - denn nie zuvor wurde eine Killeroperation gefilmt oder das Kommando öffentlich enttarnt.
Tatsächlich hat der Mossad schon seit Jahren viel von seinem Nimbus eingebüßt. Im Inneren haben die anderen israelischen Nachrichtendienste an Renommee gewonnen. In der Region gilt der jordanische Geheimdienst mittlerweile als für die USA ebenso wichtig wie der Mossad.
Das betrifft allerdings vor allem die Bekämpfung von Terroristen oder Terrorverdächtigen. Die Hauptaufgabe des Mossad findet derweil weit weniger öffentliche Beachtung, auch wenn der Einsatz von Killerkommandos auch hier eine Rolle spielen dürfte. Denn nach israelischer Überzeugung ist es für das Land wesentlich wichtiger, den Iran am Bau einer Atombombe zu hindern - auch mit Geheimdienstmethoden. Hier, sagen die Israelis, sei der Mossad richtig gut. Nur könne man das leider nicht sehen.