Motive von Terroristen "Er kam einfach aus dem Nichts"

Mutmaßlicher Attentäter B.: "Er kam aus dem Nichts"
Foto: REUTERS/ Scanpix SwedenNein, es war nicht der 11. September Norwegens, was da am Freitag in Oslo und auf der Insel Utøya geschah. Auch wenn der Schock groß und die Trauer tief ist angesichts der mindestens 92 Toten: Weder Ausmaß noch Hintergrund und absehbare Folgen lassen den Vergleich mit den Anschlägen von New York und Washington zu, die sich im Herbst zum zehnten Mal jähren. Keine islamistische Schläfer-Zelle hat die norwegische Hauptstadt angegriffen, sondern - danach sieht es derzeit jedenfalls aus - mindestens ein rechtsextremer, christlicher Fundamentalist. Nach einem möglichen weiteren Täter suchen die Fahnder noch.
Schon früh hieß es bei der Suche nach angemessenen Vergleichen denn auch in der norwegischen Polizei: Alles deutet eher auf "ein norwegisches Oklahoma City" hin als auf einen skandinavischen 11. September. In der Hauptstadt des US-Bundesstaates Oklahoma hatte 1995 der Rechtsradikale Timothy McVeigh ein Regierungsgebäude in die Luft gesprengt, 168 Menschen starben. Selbst die Autobombe, die im Zentrum Oslos detonierte, enthielt einen ähnlichen Sprengstoff, wie den von McVeigh verwendeten. Ein Ermittler bezeichnete die Bombe als "eine Art Oklahoma-City-Typ". Demnach verwendete der Attentäter von Oslo eine Mischung aus Dünger und Diesel.
Mittlerweile hat Anders Behring B. in den Verhören der Polizei ein Teilgeständnis abgelegt, jedoch sind seine Motive den Sicherheitsbehörden weiterhin unklar. Laut seinem Anwalt bekennt sich der Täter zu seiner Verantwortung. Sein Mandant habe sein Handeln als "grausam" beschrieben, sagte Anwalt Geir Lippestad am Samstagabend dem norwegischen Fernsehsender NRK. Er habe aber "diese Taten zu Ende bringen müssen". Sie seien "wahrscheinlich seit langem geplant" gewesen. Anders Behring B. werde am Montag vor dem Untersuchungsrichter weitere Einzelheiten nennen.
Zwar rufen jetzt Polizei und Ministerpräsident dazu auf, nicht über die Motive des Täters und die Hintergründe der Tat zu spekulieren. Doch nach allem, was über den festgenommenen mutmaßlichen Attentäter von Oslo und Utøya bislang bekannt ist, drängen sich schon Fragen auf: Wie groß ist die Gefahr, die von Rechtsradikalen in Europa ausgeht? Gibt es eine paramilitärische Szene, die zu solchen Anschlägen fähig ist? Und in welchem gesellschaftlichen Klima wächst eine Gesinnung heran, die jemanden zur Waffe greifen lässt?

Doppelanschlag in Norwegen: Schießerei in Jugendcamp, Bombe in Oslo
Einfache Antworten darauf gibt es nicht. An sich sei Rechtsradikalismus in Norwegen eher schwach ausgeprägt, sagt Hajo Funke, Politikwissenschaftler an der Freien Universität Berlin. Der Rechtsextremismus-Experte bezeichnet es als ungewöhnlich, wenn ausgerechnet Norwegen Ziel eines rechtsradikal motivierten Anschlags sein sollte. Sehr viel stärker sei in der Vergangenheit die rechtsextreme Szene in Schweden gewesen. Auch sei die Ideologie der norwegischen Rechten wesentlich weniger stark gewaltverherrlichend als etwa bei deutschen Neonazis.
Doch Funke wies auch darauf hin, dass es mit der norwegischen Fortschrittspartei eine Formation gebe, die bis zu 25 Prozent der Wähler erreichen könne. Dies sei zwar "nicht unmittelbar verantwortlich für solche Gewalttaten, aber das kann das Klima anheizen." Er sagte, "jede Form von Rechtspopulismus" senke die Hemmschwelle für solche Täter.
Auch in anderen westeuropäischen Städten beobachten die Sicherheitsbehörden besorgt, wie sich rechtsextreme Einstellungen verbreiten und von einer giftigen Mischung aus anti-muslimischen Reflexen, Widerstand gegen das Zusammenleben mit Einwanderern und wachsenden wirtschaftlichen Nöten genährt werden.
Sollten sich die Hinweise auf das Motiv des Attentäters erhärten, sei die Botschaft nicht zu unterschätzen, sagt Hagai Segal, ein Experte für Sicherheitspolitik an der Londoner Außenstelle der New York University. "Ein solcher rechtsextremer Angriff wäre in Europa und ganz sicher in Skandinavien beispiellos." Auch er zieht den Vergleich zu Oklahoma City. Die nächste entscheidende Frage sei, ob der Mann auf eigene Faust oder als Teil einer Gruppe gehandelt habe.
"Erhöhte Unsicherheit"
Über Verbindungen zur rechtsextremen Szene des festgenommenen mutmaßlichen Attentäters ist allerdings nichts bekannt. "Er kam einfach aus dem Nichts", sagte ein Polizist. Er gehörte demnach nicht zu einer bekannten extremistischen Vereinigung. "Wir hätten ihn auf dem Radar gehabt, wenn er in einer Neonazi-Gruppe aktiv gewesen wäre", sagte der Polizist. Aber der Mann könne von deren Ideologie beeinflusst sein - so wie es auch Experte Funke andeutete.
Schon zuvor hatte ein Experte des "Norwegian Institute of International Affairs" (Nupi) gesagt, der Angriff auf der Insel spreche eher für einen rechtsextremen als für einen islamistischen Hintergrund. "Es wäre sehr seltsam für Islamisten, wenn sie eine lokalpolitische Sichtweise hätten."
Die europäische Polizeibehörde Europol hat in ihrem Jahresbericht 2010 zwar festgestellt, es gebe derzeit keinen rechtsextremen Terrorismus auf dem Kontinent. Sie beobachtete zugleich jedoch eine zunehmende Professionalisierung der Szene. Dies zeige die Entschlossenheit der Rechten, weitere Anhänger anzuwerben und ihre Ideologie zu verbreiten. "Damit stellen sie eine Gefahr in den EU-Mitgliedstaaten dar."
Die obersten Sicherheitsbehörden Norwegens stellten erst im Februar eine "erhöhte Unsicherheit" fest. In diesem Jahr seien mehr Aktivitäten der Rechtsextremen zu erwarten, hieß es im nationalen Sicherheitsbericht. "Norwegische Rechtsextreme stehen in Kontakt mit schwedischen Rechtsextremen, genauso wie mit anderen rechtsextremen Gruppen in Europa."
Die Taten von Oslo und Utøya könnten nach den Worten des Wissenschaftlers Segal eine gefährliche Eskalation dieser Entwicklung markieren: "Die Taktik dieses Angriffs wäre frappant, wenn er auf einen einheimischen, weit rechts angesiedelten Täter zurückgeht. Dass jemand versucht, den norwegischen Ministerpräsidenten zu töten, ist eine Sache und nicht überraschend für Extremisten. Aber ganz normale Bürger auf diese Weise zu töten, ist sehr, sehr ungewöhnlich, auch für Rechtsextreme oder Rassisten, und ganz bestimmt für solche in Europa."
Bei all diesen Einschätzungen darf man jedoch nicht vergessen: Noch handelt es sich um Annahmen.