Musharrafs Coup Die großen Sieger sind die Taliban
Musharrafs wichtigste Ziel war es, den Obersten Gerichtshof zu säubern. Das hat er erreicht alle seine Richter wurden zum Rücktritt gezwungen, einige stehen unter Arrest, der Oberste Richter, Iftikhar Chaudry, inbegriffen. Der Oberste Gerichtshof war zum Hauptstörfaktor für die Militärherrschaft geworden. Er wollte Anfang dieser Woche entscheiden, ob Musharraf für weitere fünf Jahre Präsident bleiben kann.
Also zielt die Verhängung des Ausnahmezustandes nicht in erster Linie auf jene Extremisten, die weite Teile Nordpakistans terrorisieren, sondern auf die demokratische, säkulare Elite des Landes. Dutzende Richter, Anwälte und Menschenrechtler sind verhaftet worden, mehr noch sind abgetaucht, um einer Verhaftung zu entgehen. Musharraf zielte auch auf Journalisten und Medien, die auf zuvor unvorstellbare Art schikaniert wurden.
Asma Jahangir, Pakistans führende Menschenrechtlerin steht unter Hausarrest. Sie appellierte an die britische und die amerikanische Regierung, "alle Unterstützung des labilen Diktators zu stoppen, da seine Machtgeilheit das Land an den Rand einer noch schlimmeren Form ziviler Zwietracht bringt".
Durch sein Handeln und in seiner Rede an die Nation in der Nacht zum Sonntag strafte Musharraf den Obersten Gerichtshof mit absoluter Missachtung ein Vorgehen, das langfristig zerstörerische Folgen haben wird angesichts einer sich vertiefenden Kluft zwischen einer Armee, die nicht zur Rechenschaft gezogen wird und einer Öffentlichkeit, die gerne eine unabhängige Justiz, Gesetzestreue und Achtung der Verfassung hätte.
Musharraf und die Armee haben einmal mehr entschieden, dass sie über dem Gesetz und internationalen Verpflichtungen stehen - ungeachtet der Tatsache, dass sein politischer Rückhalt bereits vor vier Monaten zusammenbrach, als Anwälte und politische Opposition unablässig gegen ihn demonstrierten.
Musharrafs Falle
Amerikanische und britische Diplomaten gingen in die Falle, als sie glaubten, Musharraf habe mit der früheren Premierministerin Benazir Bhutto einen Deal ausgehandelt, um seiner schwindenden Popularität entgegenzuwirken. Jetzt sieht es so aus, als ob sie dem listigen General auf den Leim gegangen sind. Eine peinlich berührte Bhutto ist zur Kehrtwende gezwungen. Sie muss Musharraf nun verurteilen und versuchen, alle Oppositionellen um sich zu scharen.
Der Hauptgewinner dieser Entwicklung ist Nawaz Sharif, der im Punjab sehr populär ist und sich bisher stets geweigert hat, mit der Armee gemeinsame Sache zu machen. Das Festhalten an einer klaren Abgrenzung von Musharraf erweist sich jetzt als richtig, während Bhuttos weiche Haltung stark von der schockierten Opposition kritisiert wird.
Ein großer Verlierer ist die regierende Pakistanische Liga der Muslime (PML). Ihre Glaubwürdigkeit ist beschädigt, ihre Politiker werden beschimpft und sind nicht mehr wählbar. Premierminister Shaukat Aziz und Chaudry Shujjat Hussain, der Doyen der PML, haben Musharraf zur Verhängung des Ausnahmezustandes gedrängt, um selbst noch eine Weile an der Macht zu bleiben.
Schlachtfeld Nordpakistan
Das wirkliche Schlachtfeld für Musharraf aber sollte in Nordpakistan liegen. Dort erobern aufständische pakistanische Taliban unterstützt durch al-Qaida, afghanische Taliban sowie einer Fülle terroristischer Gruppen aus Algerien bis Zentralasien immer mehr Gebiete und setzen ihre Vorstellung eines sogenannten Scharia-Staates durch. In einer wahren Welle von Angriffen und Selbstmordattentaten der Extremisten hat die Armee Hunderte Männer verloren, mindestens 400 Soldaten wurden von den militanten Islamisten als Geiseln genommen.
Es ist zweifelhaft, ob Musharraf seine durch den Ausnahmezustand dazugewonnene Macht dazu nutzen wird, im Norden eine militärische Offensive zu starten - trotz der Erwartungen seitens des Pentagon, das erklärt hat, Pakistan weiterhin Militärhilfe zukommen zu lassen. Sein eigenes politisches Überleben ist Musharraf wichtiger als die Bekämpfung von Extremisten, zumal die Armee schwer demoralisiert ist und es satt hat, einen unendlichen Kampf gegen die eigenen Landsleute zu führen.
Man darf freilich hastig ausgehandelte Waffenstillstände und wackelige Friedensvereinbarungen mit den pakistanischen Taliban erwarten, was sie fürs erste festigen wird. Als Beruhigungspille fürs amerikanische Militär wird es zur "vorübergehenden" Verhaftung einiger hochrangiger afghanischer Taliban kommen, möglicherweise gar zu der von ein, zwei Anführern der Qaida. Doch die Extremisten wissen, dass der pakistanische Staat langfristig und unwiederbringlich geschwächt ist, und dass nun die Zeit gekommen ist, die Ernte einzubringen statt den Vormarsch abzublasen.
Auftrieb für die radikalen Islamisten in Afghanistan
Auch die künftige Stabilität Afghanistans hängt am seidenen Faden und damit die Sicherheit von etwa 40.000 amerikanischen, britischen und Nato-Soldaten, die dort stationiert sind. Die afghanischen Taliban werden ihre anhaltende Offensive auch während der rauen Wintermonate fortsetzen. Durch das Chaos in Pakistan, wo sie Kämpfer rekrutieren und logistische Unterstützung durch die pakistanischen Taliban und al-Qaida erhalten, können sie nur ermutigt sein.
Die Ausbreitung des Hasses auf den Westen und das Aufkommen des islamischen Fundamentalismus' wurde durch eine US-Politik gefördert, die nur darauf aus war, den General an der Macht zu halten, statt ihn zu zwingen, einen nationalen politischen Konsens anzustreben und eine repräsentative zivile Regierung einzusetzen, die im Kampf gegen die Extremisten die moralische Unterstützung der Öffentlichkeit hätte.
Das Fehlen jeglicher öffentlicher Unterstützung für Musharraf bedeutet, dass sich seine Herrschaft und der Ausnahmezustand nicht lange halten lassen und sogar ein noch schlimmeres politisches Chaos in den kommenden Monaten verursachen könnten. Der Westen muss ein vitales Interesse an einem stabilen Pakistan haben. Doch bis jetzt war seine Reaktion zu lau, um eine Alternative zu den Generälen zu ermöglichen.