Unter der Militärdiktatur in Myanmar
»Sie genießen die Angst der Bevölkerung«
Der vergangene Sonntag war der blutigste Tag in Myanmar seit dem Putsch vor einem Monat, mindestens 18 Demonstranten wurden erschossen. Der SPIEGEL hat mit einem Augenzeugen gesprochen.
Nach den tödlichen Schüssen an der Hledan Road in Yangon am 28. Februar, im Hintergrund die Barrikade. Der SPIEGEL zeigt in diesem Artikel Fotos, die Min Ant Thoon an jenem Tag gemacht hat.
Min Ant Thoon: Ich war in Yangon, vor einem kleinen Bahnhof an der Hledan Road, das ist eine wichtige Hauptverkehrsstraße. Demonstranten hatten dort eine mannshohe Barrikade errichtet. Es war zwischen 9.30 und 10 Uhr, als auf der anderen Seite der Barrikade die Sicherheitskräfte vorrückten. Erst feuerten sie Tränengas, dann explodierte eine Blendgranate. Dann hörte ich Schüsse. Ein junger Mann in meiner Nähe wurde getroffen.
SPIEGEL: Was geschah dann?
Min Ant Thoon: Alle sind auseinander gerannt und haben Deckung gesucht, hinter parkenden Autos, in Läden. Sieben oder acht Leute haben den verletzten jungen Mann in eine Seitenstraße getragen. Es waren Krankenwagen in der Nähe, kamen aber nicht durch, sie mussten Umwege durch die Gassen fahren. Der junge Mann ist noch vor Ort gestorben. Das Projektil war in sein Auge eingedrungen.
Geschosshülsen, die Demonstranten aufgelesen haben
Foto: Min Ant Thoon
SPIEGEL: Hatte die Gewalt damit ein Ende?
Min Ant Thoon: Nein. In der Nähe liegt eine Grundschule, viele Demonstranten haben sich dorthin geflüchtet. Die Barrikade gab ihnen Sichtschutz. Trotzdem hat ein Mann vor der Schule einen Schuss in den Bauch abgekriegt. Vom Winkel her kann es nicht sein, dass er von jemanden angeschossen wurde, der vor der Barrikade stand.
SPIEGEL: Ein Scharfschütze?
Min Ant Thoon: Der Schuss kam jedenfalls von der anderen Seite. Die ganze Straße war voller Blut. Helfer konnten die Wunde nicht stillen. Auch dieser Mann ist gestorben. Zwei Tote, sieben Verletzte, teils mit Beinschüssen, das war die Bilanz in Hledan.
Rettungssanitäter versorgen einen Schwerverletzten
Foto: Min Ant Thoon
SPIEGEL: Was war dem vorausgegangen? Haben Demonstranten Steine geworfen, bevor der erste Schuss fiel?
Min Ant Thoon: Niemand hat Steine geworfen. Von der Masse ging keine Gewalt aus.
SPIEGEL: Wer stand auf der Gegenseite, Polizei oder Militär?
Min Ant Thoon: Vorne war Polizei, dahinter standen Soldaten, und einer hat sich so übel verhalten wie der andere. Die Sicherheitskräfte glauben, sie allein hätten das Recht, zu regieren. Sie genießen die Angst der Bevölkerung. Die Soldaten waren schon immer brutal. In den Grenzregionen, wo ethnische Minderheiten leben, haben sie unschuldige Menschen erschossen, vergewaltigt, gefoltert, ihnen wertvolle Sachen gestohlen. Diese Soldaten wurden jetzt nach Yangon geschickt, um die friedlichen Demonstrationen mit Gewalt niederzuschlagen.
Min Ant Thoon: Wir haben Bauarbeiterhelme und Schutzschilder, so wie die Demonstranten in Hongkong. Der Unterschied ist, dass die Sicherheitskräfte in Hongkong mit Tränengas angegriffen und geschlagen haben. In Myanmar schießen sie auch.
Die Demonstration in Hledan, bevor die ersten Schüsse fielen.
Foto: Min Ant Thoon
SPIEGEL: Wie können Sie noch Ihrer Arbeit als Fotograf nachgehen?
Min Ant Thoon: Ich habe einen Helm, aber keine schusssichere Weste. Meine Agentur hat uns Fotografen angewiesen, dass wir uns nie zwischen den Sicherheitskräften und den Demonstranten bewegen sollen. Ansonsten versuche ich die Lage einzuschätzen: Wenn es nicht so angespannt ist, kann ich nach vorne gehen und fotografieren.
SPIEGEL: Es wird mehr geschossen, die Zahl der Toten steigt inzwischen jeden Tag, aber die Demonstrationen lassen nicht nach. Worauf läuft das hinaus?
Min Ant Thoon: Je mehr Druck, je mehr Schießereien es gibt, desto mehr Widerstand. Wenn die Bürger nicht mehr auf die Straße gehen können, werden sie andere Wege finden, zu demonstrieren. Ich habe viele Leute auf den Demonstrationen interviewt – sie wollen gegen die Militärdiktatur kämpfen bis zum Ende.
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Nach den tödlichen Schüssen an der Hledan Road in Yangon am 28. Februar, im Hintergrund die Barrikade. Der SPIEGEL zeigt in diesem Artikel Fotos, die Min Ant Thoon an jenem Tag gemacht hat.
Foto: Min Ant Thoon
Foto: Min Ant Thoon
Geschosshülsen, die Demonstranten aufgelesen haben
Foto: Min Ant Thoon
Rettungssanitäter versorgen einen Schwerverletzten
Foto: Min Ant Thoon
Die Demonstration in Hledan, bevor die ersten Schüsse fielen.