Nach Anschlag Bei Deutschen wächst Misstrauen gegen afghanische Partner

Die Attentäter von Talokan hatten offenbar Helfer bei den örtlichen Sicherheitskräften - nur so konnten sie die Bombe Tage vor dem Anschlag platzieren. Deutsche Politiker fordern nun eine Überprüfung der Zusammenarbeit mit den Afghanen.
Ausbildung von afghanischen Sicherheitskräften: "Beschädigung des Vertrauens"

Ausbildung von afghanischen Sicherheitskräften: "Beschädigung des Vertrauens"

Foto: Anja Niedringhaus/ AP

Berlin - Das tödliche Attentat auf ein Treffen einer hochrangigen Bundeswehrdelegation mit afghanischen Spitzenpolitikern und Militärs im nordafghanischen Talokan war zwar nicht die Tat eines Selbstmordattentäters in Polizeiuniform. Doch auch die neuen Erkenntnisse beunruhigen die Bundeswehr: Offenbar wurde für die Attacke eine Mine im Amtssitz des Gouverneurs versteckt und später ferngezündet - was ohne Komplizen nicht zu bewerkstelligen war. "Wer eine solche Bombe in einem von Soldaten und der Polizei bewachten Gebäude platzieren kann", sagte ein hochrangiger Nato-Offizier in Kabul, "muss Mittäter unter den Sicherheitskräften bis hinauf zum Gouverneur haben."

Wie weit, diskutieren derzeit Bundeswehroffiziere, sind die Sicherheitskräfte und die lokalen Provinzregierungen eigentlich von den Taliban oder ihren Sympathisanten unterwandert? Und kann die Bundeswehr den Vertretern der afghanischen Regierung und ihren Soldaten überhaupt noch trauen?

Seit Monaten verstärkt die Truppe in Afghanistan ihre Kooperation, das sogenannte Partnering, mit den Afghanen. Mit der neuen Strategie bilden die internationalen Soldaten ihre afghanischen Kollegen in der Praxis aus. Durch das intensive Training, also durch eine sehr enge Kooperation bis hin zu gemeinsamen Operationen, soll die bisher ineffiziente Armee schneller selbständig werden und so einen schrittweisen Abzug der internationalen Truppen ermöglichen.

Nach dem erneuten Tod von zwei Bundeswehrsoldaten aber sitzt das Misstrauen tief bei den deutschen Soldaten.

Warum wurde die Bombe am Treffpunkt für das Sicherheitsmeeting nicht vorzeitig von deutschen Soldaten entdeckt? Routinemäßig, ähnlich wie bei Terminen von deutschen Spitzenpolitikern in Deutschland, suchen normalerweise spezialisierte Feldjäger der Truppe die Örtlichkeiten nach Bomben und anderen Gefahren ab. Ob dies im aktuellen Fall auch im Gouverneurspalast von Talokan stattfand, ist bisher noch unklar. Zwar haben theoretisch die Afghanen die Hoheit über ihre Gebäude, doch normalerweise untersuchen die Deutschen selbst den Veranstaltungsort.

Unmittelbar vor dem Treffen der Deutschen mit den Afghanen gab es nach Informationen von SPIEGEL ONLINE eindringliche Warnmeldungen der Geheimdienste über einen drohenden Selbstmordanschlag der Taliban in Talokan. Ohne Details oder ein mögliches Ziel zu nennen, warnten sowohl die Amerikaner als auch der deutsche Geheimdienst vor einem drohenden und gut geplanten Attentat in der Hauptstadt der Provinz Takhar. Nach solchen Warnungen, heißt es innerhalb der Truppe, hätte man noch vorsichtiger sein müssen vor dem Treffen der hochrangigen Militärs und Spitzenpolitiker in Talokan.

Der blutige Angriff hat unter den Politikern die Debatte um die Zusammenarbeit mit den Afghanen neu entfacht. Wie soll die Bundeswehr in Afghanistan weitermachen, so die entscheidende Frage, wenn der Partner immer mehr zum Sicherheitsrisiko wird?

"Beschädigung des Vertrauens"

Die Antworten aus der deutschen Politik sind recht eindeutig. "Der Anschlag führt zu einer weiteren Beschädigung des Vertrauens in den afghanischen Sicherheitsapparat und zu einer Veränderung im Verhalten der deutschen Soldaten. Das hat Auswirkungen auf die Zusammenarbeit", so der verteidigungspolitische Sprecher der SPD-Fraktion, Rainer Arnold, zu SPIEGEL ONLINE.

Zwar halten Politiker von Union, SPD, FDP und Grünen die enge Zusammenarbeit in der Ausbildung afghanischer Sicherheitskräfte für alternativlos. Immer lauter wird jedoch die Forderung aus Berlin nach mehr Anstrengungen der Afghanen. "Ich fordere die afghanischen Sicherheitskräfte auf, die Sicherheit der deutschen Soldaten bei solchen Besprechungen zu gewährleisten", so Unions-Verteidigungsexperte Henning Otte (CDU). "Die Bringschuld liegt bei den Afghanen", sagt auch der Grünen-Politiker Omid Nouripour.

"Dass es eine tiefe Verunsicherung der deutschen Soldaten darüber gibt, ob der afghanische Soldat neben ihm auch bis zum Ende auf der richtigen Seite steht, ist verständlich", so Nouripour. "Deshalb müssen die Afghanen jetzt erklären, welche Maßnahmen sie ergreifen, damit so etwas nicht noch einmal passiert."

Nouripour schlägt vor, künftig die Aufnahme in afghanische Armee und Polizei durch ein Bürgensystem stärker abzusichern. "Das wäre in einer Stammesgesellschaft wie Afghanistan ein hocheffektives Mittel - weil der, der sich nicht an Regeln hält, nicht nur sich selbst diskreditiert, sondern auch seine Bürgen beschädigt", so der Grüne.

Warnung vor "schnellen Scheinlösungen"

Unions-Mann Otte fordert eine grundsätzliche Überprüfung der Sicherheitskette in Afghanistan. Es müsse erwogen werden, Sprengstoffspürhunde einzusetzen, sagt der CDU-Politiker. Die FDP hingegen setzt auf bessere Kontrolle der afghanischen Soldaten. Wichtig sei es, verstärkt die biometrischen Daten der afghanischen Armee- und Polizeiangehörigen zu erfassen, "so dass klar ist, wer zu welchen Gebäuden eine Zugangsberechtigung hat", so die verteidigungspolitische Sprecherin Elke Hoff.

SPD-Politiker Arnold hält die Überprüfung von biometrischen Daten indes für wenig hilfreich und warnt vor "schnellen Scheinlösungen". Biometrische Daten würden nicht helfen, wenn der Angreifer tatsächlich aus den Reihen der afghanischen Armee oder Polizei stamme. Die Afghanen bräuchten stattdessen mehr Hilfe dabei, Armee- und Polizeiangehörige nachrichtendienstlich zu überwachen. "Das einzige, was hilft, ist die Kontakte von afghanischen Soldaten und Polizisten stärker zu kontrollieren", so Arnold.

Für heftigen Widerspruch sorgt der Vorschlag des CDU-Politikers Beck zu einem Vergeltungsschlag gegen die Taliban. "Der Anschlag kann nicht ohne Folgen bleiben", hatte der Unions-Verteidigungsexperte am Wochenende erklärt. Nach einer solchen Attacke müsse "ein entsprechender Gegenschlag gegen die Taliban-Organisation in dieser Provinz" erfolgen. Beck sprach von einer "Eskalation der Ereignisse im Regionalkommando Nord".

"Ein Gegenschlag gegen die Taliban ist extrem schwierig. In so einer Situation ein Augenmaß zu finden, bei dem Zivilisten nicht getötet werden, ist fast nicht möglich", so Nouripour. Ähnlich sieht es die FDP-Politikerin Hoff: "Von einer militärischen Eskalation, von einem Gegenschlag gegen die Taliban halte ich nichts - das würde unsere Soldaten noch stärker in Gefahr bringen und im Übrigen der Strategie der Isaf widersprechen."

Die Wiedergabe wurde unterbrochen.
Merkliste
Speichern Sie Ihre Lieblingsartikel in der persönlichen Merkliste, um sie später zu lesen und einfach wiederzufinden.
Jetzt anmelden
Sie haben noch kein SPIEGEL-Konto? Jetzt registrieren