Nach den Anschlägen von Paris Amerikas neue Antwort auf den Terror

US-Präsident Obama: "Wäre gern in Paris gewesen"
Foto: Carolyn Kaster/ AP/dpaFür den US-Präsidenten sollte es die Woche der Cyber-Sicherheit werden. Deshalb hat Barack Obama schon am Montag Gesetzesvorhaben zum besseren Schutz von Konsumenten und Daten präsentiert; deshalb bittet er an diesem Dienstag Kongressmitglieder zum Verhandeln ins Weiße Haus; und deshalb will er später am Tag noch den Versuch unternehmen, US-Unternehmen auf eine engere Zusammenarbeit mit der Regierung in Sachen Cyber-Sicherheit zu verpflichten. So war das geplant.
Doch mitten hinein in diese präsidiale Agenda platzte am Montag die Nachricht vom Hackerangriff auf die Twitter- und YouTube-Konten des zentralen Einsatzkommandos der US-Streitkräfte.
In der Mittagszeit kaperten mutmaßliche Anhänger des "Islamischen Staats" (IS) die Accounts des US Central Command (Centcom) in Florida, von wo aus der Kampf gegen die islamistischen Terrormilizen in Syrien und im Irak koordiniert wird. Unter dem Hashtag #CyberCaliphate twitterten sie von dieser Plattform aus unter anderem Drohungen gegen US-Soldaten ("Amerikanische Soldaten, wir kommen, seht euch vor!").
Nach rund 30 Minuten war der Spuk vorbei, die Seiten erstmal vom Netz. Wirklichen Schaden haben die Hacker offenbar nicht anrichten können: "Es wurden keine geheimen Informationen gepostet", teilte Centcom am Abend mit - und qualifizierte die Attacke lediglich als "Cyber-Vandalismus". Obamas Sprecher Josh Earnest sah das ganz ähnlich: Es gebe einen "ziemlich großen Unterschied zwischen einer breitangelegten Datenschutzverletzung und dem Hacken eines Twitter-Accounts".
Sensibilisiert für Symbolik
Gefährlich war die Attacke also nicht, aber eben doch: ärgerlich. Ausgerechnet jetzt. In den Tagen seit den Attentaten von Paris sucht die zivilisierte Welt nach Fassung, Rat und Sicherheit: Was tun gegen islamistische Terroristen?
Auch in Amerika herrscht derzeit eine Anspannung, die die Öffentlichkeit besonders für Symbolik sensibilisiert. Dass etwa weder Obama noch Außenminister John Kerry oder ein anderer US-Minister bei der "Charlie Hebdo"-Solidaritätsdemonstration am Sonntag in Paris mitmarschiert sind, entwickelt sich zum Wochenbeginn in Washington zum kleinen Polit-Skandal. Schließlich gesteht das Weiße Haus den Fehler ein. "Ja, es hätte ein hochrangigerer Vertreter vor Ort sein müssen", sagt Obama-Sprecher Earnest. Der Präsident wäre gerne in Paris gewesen, aber die Demonstration sei kurzfristig angesetzt worden, die nötigen Sicherheitsvorkehrungen für den Besuch eines US-Präsidenten oder Vizepräsidenten wären nur mit Mühe einzuhalten gewesen und hätten außerdem nur den Ablauf der Veranstaltung und die Teilnehmer behindert.
Das mag plausibel klingen. Doch dass der Anführer der freien Welt aus Sicherheitsgründen auf einen Besuch in Paris verzichtet, das ist dann wiederum kein allzu positives Signal. Hinzu kommt: Auch beim Schweigemarsch in Washington, den die IWF-Chefin Christine Lagarde sowie der französische und deutsche Botschafter anführten, war außer der Europabeauftragten Victoria Nuland kein hochrangiger US-Regierungsvertreter vor Ort. Soweit das Symbolische.
Experten warnen vor Überreaktion und Panik
Das Konkrete kommt von Daniel Byman und Jeremy Shapiro. Die beiden Terror-Experten und Ex-Regierungsmitarbeiter haben für die Washingtoner Denkfabrik Brookings in einer Studie gerade die Bedrohung für den Westen durch sogenannte Foreign Fighters analysiert. Ausländer also, die sich freiwillig Terrorgruppen anschließen. Es ist gewissermaßen Zufall, dass sie an diesem Montag ihre Ergebnisse präsentieren, nur wenige Tage nach den Anschlägen von Paris.
Byman und Shapiro warnen die Regierungen des Westens vor Überreaktionen und Panik auf der einen Seite und Passivität auf der anderen. Künftige Anschläge könnten nicht definitiv ausgeschlossen werden. Wer eine solche Perfektion anstrebe, habe im Kampf gegen die Terroristen schon verloren. Sie raten zu verstärkter Kooperation auf Geheimdienstebene und mahnen insbesondere die Europäer, ihre Bemühungen zur Integration muslimischer Minderheiten zu verstärken. Der Umgang mit rückkehrenden Kämpfern müsse verbessert werden. Denn die Gefängnisse, so Shapiro, seien ein effektiveres Radikalisierungsinstrument als jeder Kampfeinsatz.
Der Konflikt in Syrien habe mittlerweile zur "raschesten Mobilisierung ausländischer Kämpfer in der Geschichte der modernen dschihadistischen Bewegung geführt" - mit entsprechender Tendenz für die kommenden Jahre. Bis zu 15.000 ausländische Kämpfer seien US-Regierungsangaben zufolge bisher in Syrien und im Irak gelandet, 15 bis 25 Prozent davon stammten aus Westeuropa und Nordamerika.
Die meisten von ihnen kehrten nicht als Terroristen in ihre Heimat zurück, so Byman und Shapiro. Die Trainingsprogramme, die sie vor Ort durchlaufen, seien eher auf Guerillafähigkeiten als auf die eines Terroristen ausgerichtet. Obendrein würden viele schon in Syrien sterben, nicht zuletzt, weil die Besucher gern auf Suizidmissionen ins Kampfgebiet geschickt werden.
Als hilfreich im Kampf gegen den Terror könnten sich ausgerechnet die sozialen Medien erweisen. Zwar radikalisierten sich viele potenzielle Terroristen im Westen via Internet, schreiben die Autoren. Gleichzeitig ermöglichten Facebook, Twitter und YouTube den Sicherheitsbehörden aber auch Einblicke, die sie zuvor nicht hatten. "Diese Leute fühlen sich als Helden, sie wollen sich vor ihren Freunden brüsten", sagt Byman. Und so komme man ihnen in ihren Netzwerken auf die Spur.
Die Bedrohung sei laut Byman und Shapiro also größer geworden, andererseits gebe es jedoch mehr Möglichkeiten, eben diese zu unterbinden.