Nach Austritt aus Binnenmarkt
Lastwagen rollen auch nach dem Brexit
Großbritannien ist nicht mehr Mitglied des EU-Binnenmarkts – anders als befürchtet kamen die ersten Warenlieferungen problemlos über den Ärmelkanal. Nur in einem walisischen Hafen fehlten einige Papiere.
Nach dem Austritt Großbritanniens aus dem EU-Binnenmarkt ist der Grenzverkehr mit der Europäischen Union am Neujahrstag weitgehend reibungslos weitergelaufen. Rund 200 Lastwagen durchquerten den Tunnel unter dem Ärmelkanal in der Nacht zum Freitag »ohne Probleme«, wie die Betreiber-Gruppe Getlink mitteilte. »Der Verkehr war für eine außergewöhnliche und historische Nacht ziemlich gleichmäßig, alles lief gut.« Alle Lastwagenfahrer hätten die durch den Brexit nötig gewordenen Formalitäten erfüllt, niemand sei aufgehalten worden.
Auf französischer Seite traten die neuen Bestimmungen um Mitternacht in Kraft. Als erster Lastwagen stoppte ein mit Briefen und Paketen beladener Transporter aus Rumänien am Kontrollpunkt. Zusätzlich zu den üblichen Sicherheitskontrollen scannten die Beamten auch das Nummernschild.
»Ich bin sehr glücklich, es ist ein Privileg für mich«, sagte der 62-jährige Lkw-Fahrer Toma Moise, bevor die Bürgermeisterin von Calais, Natacha Bouchart, auf den Knopf drückte, der die Weiterfahrt erlaubte. Ein Video auf dem offiziellen Twitterkanal »Eurotunnel Company News« zeigt, wie sich die Schranke am Neujahrsmorgen erstmals hebt.
Rund 70 Prozent des Handels zwischen Großbritannien und der EU werden über die französischen Häfen Calais und Dünkirchen abgewickelt. Im Durchschnitt passieren täglich 60.000 Passagiere und 12.000 Lastwagen die beiden Häfen. Transportunternehmen müssen fortan ihre Waren beim französischen Zoll anmelden, was im Vorfeld über ein »Smart Border«-System erfolgt.
Großbritannien war zum 1. Februar 2020 als erstes Land in der Geschichte der europäischen Staatengemeinschaft aus der EU ausgetreten. Das Post-Brexit-Abkommen, das zahlreiche Handels- und Zollfragen regelt, war erst in letzter Minute am 24. Dezember vereinbart worden. Das Abkommen soll Chaos in den beiderseitigen Wirtschaftsbeziehungen verhindern – ohne den Deal hätten ab Freitag Lieferprobleme und lange Grenzstaus gedroht.
Für einen regulären Ratifizierungsprozess mit der Zustimmung durch das EU-Parlament reichte die Zeit bis zum Jahresende nicht mehr aus. Daher sollen die vereinbarten Regeln zunächst mindestens bis zum 28. Februar übergangsweise angewandt werden. Nach Einschätzung der Road Haulage Association müssen ab sofort täglich 220 Millionen Formulare ausgefüllt werden, um den Handelsaustausch zwischen Großbritannien und der EU zu organisieren.
Die Behörden hatten angekündigt, die neuen Regelungen anfangs recht locker zu handhaben. »Die Regierung kann nicht erwarten, dass Unternehmen in der Kürze der Zeit alle Formalitäten bereit haben«, sagte Tudor Price, Vizechef der Handelskammer der südostenglischen Grafschaft Kent.
In Irland hingegen warnte die Regierung vor Verzögerungen im Warenverkehr. Der Handel werde mit Sicherheit »durch sehr viel mehr Kontrollen, Zollerklärungen, Bürokratie und Papierkram« gestört, sagte Außenminister Simon Coveney der BBC. Die britische Provinz Nordirland ist de facto weiter Mitglied des Binnenmarkts, allerdings gibt es nun eine Zollgrenze in der Irischen See.
Der Fährenbetreiber Stena Line twitterte, dass sechs Frachtlieferungen den Hafen im walisischen Holyhead am Freitagmorgen nicht wie geplant verlassen und nach Irland übersetzen konnten, weil ihre Unterlagen nicht vollständig gewesen seien.
Seit Mitternacht ist Großbritannien nicht mehr Mitglied des EU-Binnenmarkts und der Zollunion. Die Feierlichkeiten dazu verliefen sehr ruhig, in der Silvesternacht waren die Straßen in der britischen Hauptstadt fast leer.
Wenige Stunden vor dem endgültigen Vollzug des Brexits waren auch die letzten Stolpersteine aus dem Weg geräumt worden: Die Regierungen in London und Madrid erzielten eine Grundsatzeinigung über die künftigen Regeln für Gibraltar. Für die britische Exklave sollen künftig die Bestimmungen des Schengen-Abkommens gelten. Damit sind Grenzübertritte ohne Passkontrolle weiterhin möglich. Ohne die Einigung wäre die Grenze zwischen Gibraltar und Spanien ab Freitag zu einer »harten Grenze« zwischen Großbritannien und der EU geworden.