Nach Gaddafis Tod In Libyen soll jetzt die Scharia gelten

Feierlichkeiten in Tripoli: Ende jahrzehntelanger Diktatur
Foto: MARCO LONGARI/ AFPBengasi - In Libyen ist am Sonntag die Ära des selbsternannten Revolutionsführers Muammar al-Gaddafi beendet worden. Der libysche Übergangsrat erklärte drei Tage nach dem Tod des früheren Machthabers die Befreiung des nordafrikanischen Landes von jahrzehntelanger autoritärer Herrschaft.
Vor Zehntausenden Menschen verkündete der Vorsitzende des Nationalen Übergangsrats Mustafa Abd al-Dschalil in Bengasi außerdem, im neuen Leben werde das islamische Recht Scharia die Grundlage aller Gesetze sein und bestehende Gesetze, die im Widerspruch zum Islam stünden, würden annulliert. Außerdem kündigte er die Gründung neuer Banken an, die islamischem Recht entsprächen. Damit dürften sie keine Zinsen mehr verlangen. "Gott hat über die Revolution und ihren Sieg gewacht", verkündete Dschalil.
Im Februar hatte in Bengasi der Aufstand gegen den dort besonders verhassten Diktator Gaddafi begonnen, nur wenige Tage nach dem Sturz des Präsidenten Husni Mubarak im benachbarten Ägypten. Die Schergen des Oberst hatten auf die zunächst gewaltlosen Demonstranten geschossen. "Die Revolution begann friedlich, aber ihre legitimen Forderungen wurden mit Gewalt beantwortet", erklärte Dschalil.
Der deutsche Außenminister Guido Westerwelle sagte dem libyschen Übergangsrat nach dessen Befreiungserklärung weitere Unterstützung beim Aufbau des Landes zu. Für Libyen habe nun "eine neue Zeitrechnung begonnen", erklärte der FDP-Politiker in Berlin. "Angst und Unterdrückung sind der Hoffnung auf Frieden und Freiheit gewichen."
Obduktion: Gaddafi starb durch Kopfschuss
Am Sonntag wurde ebenfalls das Ergebnis der Obduktion von Gaddafis Leichnam bekanntgegeben. Das Ergebnis: Gaddafi wurde durch einen Kopfschuss getötet. Auch im Bauch habe eine Kugel gesteckt. Ein Sprecher des Militärrats von Misurata teilte am Sonntag mit, die Autopsie sei am Morgen vorgenommen worden. Ursprünglich sei das nicht vorgesehen gewesen, sagte Fathi Baschaga der Nachrichtenagentur AFP. "Aber Tripolis hat uns darum gebeten und wir wollen die Dinge korrekt machen", fügte er hinzu.
Widersprüchliche Angaben des Militärs hatten international die Frage aufgeworfen, ob der 69-Jährige bei einem Feuergefecht gestorben oder exekutiert worden war. Auch drei Tage nach seinem Tod war Gaddafis Leichnam noch nicht beigesetzt, sondern halb bekleidet in einem Kühlhaus in Misurata zur Schau gestellt worden. Jetzt soll der Körper nach dem Willen der neuen Führung des Landes Gaddafis Familienangehörigen übergeben werden.
Gaddafi war am Donnerstag bei der Eroberung seiner Heimatstadt Sirt festgenommen worden. Aufnahmen zeigten ihn verletzt, aber lebendig. Wer den tödlichen Schuss auf ihn abgab, ist weiter unklar. Der Arzt Othman al-Sintani sagte am Sonntag, er werde einen vollständigen Bericht an die Staatsanwaltschaft übergeben, auch die Uno solle die Todesursachen untersuchen. Die Leiche von Gaddafis Sohn Mutassim wurde ebenfalls obduziert. Er war am Donnerstag wie sein Vater in Sirt, der Heimatstadt der Gaddafis, getötet worden.
"Jetzt ist es vorbei"
Die meisten Libyer sind an den Todesumständen Gaddafis, der 42 Jahre lang an der Macht war, wenig interessiert, sondern vor allem erleichtert über dessen Tod: Ein Gerichtsprozess hätte doch nur für Chaos gesorgt, erklärte ein Einwohner der Hauptstadt Tripolis. "Jetzt ist es vorbei."
Binnen eines Monats soll eine neue Übergangsregierung gebildet und innerhalb von acht Monaten sollen erste Wahlen zu einer verfassungsgebenden Versammlung abgehalten werden.
Ein enger Mitarbeiter Gaddafis schilderte am Sonntag in Interviews, wie der einstige Machthaber seine letzten Tage verbrachte. Er las viel im Koran, aß Nudeln, die seine Helfer aus verlassenen Häusern herbeischafften und beschwerte sich, dass es in der zerschossenen Stadt Sirt keinen Strom gab. Der einstige Machthaber habe nie verstanden, warum sich die Libyer gegen ihn erhoben hätten, sagte Mansur Dhao Ibrahim in einem Interview der "New York Times".
Gaddafi war diesen Angaben zufolge bis zum Schluss immer bewaffnet gewesen, habe aber nie einen Schuss abgefeuert. Kontakt zur Außenwelt habe er zum Schluss nur über sein Satellitentelefon gehabt, mit dem er TV- oder Radiosender anrief. Immer wieder habe Gaddafi in der verwüsteten Stadt, in der er häufig die Häuser wechselte, geklagt: "Warum gibt es keinen Strom? Warum gibt es kein Wasser?"
In einem anderen Interview habe Mansur Dhao Ibrahim geschildert, wie die letzten Getreuen am vergangenen Donnerstag versucht hätten, die Stadt in einem Konvoi zu verlassen. Gaddafi habe in einem Toyota Land Cruiser gesessen und während der Fahrt wenig gesagt. Nach etwa einer halben Stunde hätten Nato-Kampfflugzeuge den Konvoi ausgemacht und beschossen, schildert der Gaddafi-Vertraute die Ereignisse. Er sei getroffen und verwundet worden. Zusammen mit Gaddafi habe er dann zunächst versucht, eine Farm zu erreichen, dann eine größere Straße und schließlich die Abwasserrohre, in denen Gaddafi später gefunden wurde. Er selbst sei dann erneut getroffen worden und ohnmächtig geworden. Erst im Krankenhaus sei er wieder aufgewacht.