Nachkriegs-Planung Bush träumte von Irak-Wunder mit 5000-Mann-Minitruppe

Jetzt haben es die Amerikaner schwarz auf weiß: Bisher geheime Strategiepapiere des US-Militärs von 2002 enthüllen, wie gründlich die Regierung Bush die Folgen des Irak-Kriegs unterschätzt hat. Ein Militär-Experte spricht von "reinen Wahnvorstellungen".

Berlin - In der Power-Point-Präsentation des Central Command (Centcom) vom 15. August 2002 sah alles ganz einfach aus: Aufmarsch, Angriff, Kriegsziele in den ersten Tagen, Sturz des Regimes, Wiederherstellung der öffentlichen Ordnung, Demokratisierung, Abzug der Truppen - und das binnen vier Jahren nach dem "A-Day", dem Start der Luftangriffe.

Vier Jahre nach Kriegsbeginn sollten bloß noch 5000 US-Soldaten im Irak stationiert sein, heißt es in dem Strategie-Papier, über das die "New York Times" heute berichtet. "Spätestens 45 Monate nach der Invasion", also im Dezember 2006, sollte diese Mini-Truppe im Land ausreichen. In Wahrheit befinden sich gegenwärtig 132.000 US-Soldaten im Irak - und Präsident George W. Bush will die Truppen in Kürze um 20.000 Soldaten aufstocken.

Die Kriegs-Planung (Codename: "Polo Step") wurde gut ein halbes Jahr vor Einmarsch der US-Truppen im März 2003 vom Zentralkommando der US-Streitkräfte (Centcom) vorgelegt. Das Material sollte dem Oberbefehlshaber Bush, dem Verteidigungsministerium dem Nationalen Sicherheitsrat und dem Generalstab eine Entscheidungsgrundlage für den Angriff auf den Irak liefern. Jetzt veröffentlichte das National Security Archive, ein unabhängiges Forschungsinstitut an der George Washington Universität, auf ihrer Internetseite eine Reihe von bislang streng geheimen Power-Point-Präsentationen, die den Ablauf der Planungen zum Feldzug skizzieren. Sie wurden jetzt unter dem sogenannten Freedom of Information Act freigegeben.

Dass sich die Regierung Bush in Kosten, Dauer und Kapazitäten für den Irakkrieg verkalkuliert hat, ist nicht neu. Aber das Papier von damals macht schwarz auf weiß deutlich, wie sehr die Regierung Bush den Einmarsch in den Irak und seine Folgen unterschätzt hat. Denn das Strategiekonzept zeichnet auf Dutzenden Schautafeln ein sehr optimistisches Bild von einem Irak nach dem Sturz des Saddam-Regimes: ein befriedetes, stabiles, pro-amerikanisches und demokratisches Land.

Eine Strategie voller Luftschlösser

So sah der Plan etwa vor, dass noch vor der amerikanischen Invasion eine provisorische irakische Regierung installiert sein würde, vorbereitet und installiert durch das US-Außenministerium.

Auch das irakische Militär war fest eingeplant: Nach den Vorstellungen der USA sollte eine verlässliche irakische Armee den Amerikanern den Rücken stärken. Doch auch diese Vision entpuppte sich als Luftschloss. Denn statt in den Kasernen zu verharren und später bei der Friedenssicherung zu helfen, floh ein Großteil von Saddams Soldaten, sobald die amerikanischen Truppen einmarschierten.

Bereits im November 2001 hatte Bush den damaligen Verteidigungsminister Donald Rumsfeld um ein Update der Kriegspläne gebeten - basierend auf Kriegsplanungen gegen Irak, die schon unter der Ägide von Bushs Vorgänger Bill Clinton angefertigt wurden: Rumsfeld beauftragte General Tommy R. Frank mit einer militärischen Einschätzung der Lage, welcher wiederum die Planer des Centcom einschaltete.

Als die Kriegs-Strategie vorgelegt wurde, befand sich die Regierung Bush mitten im Rechtfertigungskampf mit der Uno: Sie wollte beweisen, dass Saddam Husseins Massenvernichtungswaffen die internationale Sicherheit gefährden. Gleichzeitig waren die Kriegsvorbereitungen in vollem Gange.

"Von vornherein unrealistisch"

Die Zeit nach der Invasion wurde im Militär-Jargon steril als "Phase IV" im Feldzug gegen den Irak bezeichnet und in verschiedene Abschnitte eingeteilt: Für die Zeit nach dem Einmarsch veranschlagten die Planer eine zwei- bis dreimonatige "Stabilisierungsphase", gefolgt von einer knapp zweijährigen "Erholungsphase" und einer ein- bis anderthalbjährigen "Übergangsphase".

"Die Pläne für einen Irak nach dem Sturz des Saddam-Regimes waren von vornherein absolut unrealistisch", verurteilt Thomas Blanton, Direktor des National Security Archives, die ursprünglichen Pläne der USA. Die provisorische Regierung, die irakische Armee als verlässlicher Partner und eine in "Monaten" bemessene Aufbauphase nach der Invasion - "Reine Wahnvorstellungen", so Blanton.

Angesichts der brutalen Realität im heutigen Irak zeigt die einstige Strategie des US-Militärs, wie weit Prognosen von der Wahrheit abweichen können: Fast vier Jahre nach der Invasion existiert eine stabile demokratische Irak-Regierung nur in alten Planungspapieren.

Anm. d. Red.: Durch eine missverständliche Formulierung konnte in der Ursprungsfassung des Artikels der Eindruck entstehen, die USA hätten mit nur 5000 Mann die Invasion des Landes geplant. Dem ist nicht so, der Satz wurde entsprechend umformuliert.

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