Ermordeter Jesuit in Syrien Er teilte den Schmerz
"Ja, und außerdem liebe ich Steine!" Tonnenschwere römische Mühlsteine, Wasserbecken, Stelen aus dem schwarzen Basalt der Umgebung, die er von Bauern kaufte oder geschenkt bekam. Frans van der Lugt, der niederländische Jesuitenabt von Homs, war im Sommer 2011 ein schwer ergründlicher Mann. Seit 35 Jahren in Syrien, hatte er ein fast 100 Hektar großes Landgut außerhalb der Stadt aufgebaut, eine Behindertenschule mit Internat dort gegründet, die Kelterei produzierte den besten Weißwein Syriens - und dann lagen auch noch überall diese schwarzen Antiken-Relikte verstreut zwischen Gebäuden und Gärten.
Es war jener Sommer, als jeden Freitag überall in Syrien Zigtausende auf die Straßen gingen, friedlich gegen die Diktatur Baschar al-Assads zu demonstrieren. Die berüchtigten "Sicherheitsdienste" ließen in die Menge schießen, und allein in Homs waren im Sommer bereits Hunderte Menschen nach ihrer Verhaftung spurlos verschwunden. Das Land war gefährlich, aber "Abuna Franz", Pater Franz, lud uns nach Homs ein. Er wusste, wer wir waren, ein Reporter und ein Fotograf des SPIEGEL, aber weder hat er darüber ein Wort verloren, noch uns je später an die Behörden verraten. Obwohl er beim hausgemachten Arak im Kloster gelegentlich von "Terroristen" sprach, die dort auf die Straßen gingen, ganz im Duktus des Regimes. Den Groll der Menschen wiederum könne er verstehen.
Unten Yoga, oben Drohnen
Während in Homs demonstriert und geschossen wurde, ging es mit Pater Franz hinaus aufs Landgut. Er hatte etwas von einem "Seminar zur inneren Einkehr" erzählt, doch das hieß: zwei Tage lang meditieren, Yoga-Übungen im Morgengrauen machen und Nachtwanderungen unternehmen, derweil über uns Drohnen sirrend am Himmel kreisten.
Frans van der Lugt war 72 damals, und mit seinem Landgut "al-Ard", die Erde, hatte er ein kleines Paradies geschaffen. Aber seine Berufung sollte er in den folgenden zweieinhalb Jahren in der Hölle auf Erden finden.
Als Monate später der Sturm der Armee auf die rebellischen Viertel der Stadt begann, ging er nicht fort wie alle übrigen Ausländer in Homs. Er blieb im Kloster in der Altstadt. Er blieb auch, als die Artillerie der Armee ganze Stadtteile einäscherte, als Hunderttausende flohen und von den einst 60.000 Christen am Ende ganze 66 blieben. Als die Kirchen in Trümmer sanken, ebenso auch Teile des Jesuitenklosters, und die Bewohner ihre Stadt Homsgrad tauften nach dem Vorbild an der Wolga. Franz blieb, der letzte Hirte seiner Gemeinde und der Beschützer von ein paar Dutzend Familien, die im Kloster Schutz gefunden hatten, Christen wie Muslime.
Im Frühjahr 2012 hatte die Belagerung der Altstadt begonnen, niemand durfte mehr heraus, und keine Nahrungsmittel durften mehr hinein. Vorräte aus verlassenen Häusern, selbst angebautes Gemüse, unter Lebensgefahr geschmuggelte Rationen waren alles, was es für Tausende Zivilisten - und Rebellen - noch gab. Über Skype meldete sich Frans: "Eine muslimische Wohlfahrtsorganisation gibt uns vier Kilo Mehl pro Woche. Damit versorgen wir die 30 schlimmsten Fälle, Behinderte, Alte, Muslime wie Christen." Ein halbes Fladenbrot, ein paar Oliven, etwas Thymian.
"Ich kann nicht akzeptieren, dass wir verhungern"
Ende 2013 verhungerten die ersten, und in wackeligenVideobotschaften beschwor der Jesuit die Welt: "Die Menschen werden wahnsinnig vor Hunger. Sie bekommen Panikattacken, Paranoia, psychotische Schübe. In den Straßen sind die Gesichter fahl, die Körper kraftlos. Aber ich kann nicht akzeptieren, dass wir verhungern, dass die Wellen des Todes uns unterpflügen."
Als im Februar 1400 Eingeschlossene auf Druck der Uno die Altstadt verlassen durften und 400 Männer entgegen den Vereinbarungen festgenommen wurden, blieb Pater Frans weiterhin in der Stadt. Er störte die Narrative der Herrschenden von Damaskus, derzufolge alle Christen im Lande in Gefahr seien, von islamistischen Radikalen niedergemacht zu werden. Denn hier lebte einer Priester, Ausländer überdies, seit zwei Jahren mitten unter diesen Radikalen, die ihre kargen Rationen mit ihm und seinen Schützlingen teilten. Aber er wollte nicht fort.
"Ich habe die Menschen hier in Homs in all ihrer Großzügigkeit erlebt", sagte er in einer seiner letzten Videobotschaften aus der weiterhin belagerten Stadt: "Ich habe mit ihnen die guten Zeiten geteilt, nun teile ich den Schmerz mit ihnen."
Am Montagmorgen zerrte ein Vermummter Frans van der Lugt aus dem Haus, verletzte den Wächter der örtlichen Rebelleneinheit und tötete Frans mit zwei Schüssen in den Kopf.