Nachruf auf Shimon Peres Kriegsminister und Friedensstifter
Nur wenige Politiker haben für Israel mehr geleistet als Shimon Peres, aber in seiner Heimat begegnete man ihm misstrauisch. Er diente seinem Land zwar in wichtigen Ämtern, zum Beispiel als Außenminister- oder Verteidigungsminister. Doch er erhielt von den Wählern nie ein Mandat, um ins Büro des Regierungschefs einzuziehen.
Premierminister wurde er nur als "Lückenbüßer" - zum Beispiel nach der Ermordung von Jizchak Rabin im Jahre 1995. Als er als Friedensnobelpreisträger wenige Monate später gegen seinen Konkurrenten Benjamin Netanyahu antrat, verlor er die Wahl.
So war es oft bei Shimon Peres. Häufig lebte er in einem Zwiespalt: International bewundert, in der Heimat unter verschärfter Beobachtung. Vordenker der atomaren Aufrüstung seines Landes, Vordenker des Friedens mit den Palästinensern.

Shimon Peres: Wehrhafter Visionär
Peres prägte Israels Verteidigungspolitik
Peres, 1923 in Polen geboren, kam zusammen mit seinen Eltern als Elfjähriger ins damalige Palästina. Seine neue Heimat fand er zunächst in Tel Aviv, später in einem Kibbuz. Seine Liebe für die Politik entdeckte er früh: In der Jugendbewegung der zionistischen Sozialisten übte er seine rednerischen Fähigkeiten und riskierte auch schon mal einen polemischen Schlagabtausch. "Ohne unbescheiden zu sein, gehörte ich bei solchen Debatten nur selten zu den Verlierern", schrieb Peres in seiner Autobiografie.
Das rhetorische Talent wurde bald vom künftigen Premier, dem legendären David Ben-Gurion, entdeckt. Er holte ihn als Assistenten nach Tel Aviv, 1953 wurde Peres Generaldirektor des neu gegründeten Verteidigungsministeriums. Nach dem Unabhängigkeitskrieg musste die Armee organisiert und eine Sicherheitsdoktrin entworfen werden. Peres, damals gerade 30 Jahre alt, war an den Schalthebeln der Macht angekommen - und er sollte sie fast bis zu seinem Tod nicht mehr loslassen. Kaum ein anderer Politiker kann von sich sagen, so lange an den höchsten Positionen eines Staates gewirkt zu haben.
Obwohl er nie in der Armee diente, prägte Peres die Verteidigungspolitik Israels von Anfang an. Ben-Gurion gab ihm in den Fünfzigerjahren den Auftrag, eine Atomindustrie aufzubauen. Die Franzosen sollten ihm dabei helfen. Als sich diese zunächst weigerten, nutzte Peres die Suezkrise von 1956, um den Franzosen einen Deal vorzuschlagen: Israel würde sich aus dem soeben eroberten Sinai zurückziehen; im Gegenzug würde sein Land Zugang zur Nukleartechnologie erhalten - um in der Lage zu sein, sich gegen einen Angriff Ägyptens, das damals von der Sowjetunion unterstützt wurde, verteidigen zu können.
Die versteckte Atomrüstung
In der Wüstenstadt Dimona baute der erfolgreiche Unterhändler eine als "Textilfabrik" getarnte Atomanlage. Israel hatte sich zwar vertraglich verpflichtet, nur aus wissenschaftlichen Zwecken an der Nukleartechnologie interessiert zu sein. Peres trieb das Projekt aber voran, ohne das Parlament zu konsultieren. Bis heute ist die israelische Atombehörde ein Staat im Staat.
Offiziell hat Israel den Besitz von Atombomben zwar nie bestätigt, aber auch nie dementiert. Die bis heute gültige Maxime der Geheimniskrämerei geht auf Peres zurück. Als er vom damaligen US-Präsidenten John F. Kennedy gefragt wurde: "Ist Israel auf dem Weg zur Atommacht"?, antwortete Peres schlagfertig: "Herr Präsident, wir werden gewiss nicht die ersten sein, die Atomwaffen im Nahen Osten einführen."
In seiner Autobiografie ließ er es indessen offen, ob er 1967, kurz vor dem Ausbruch des Sechs-Tage-kriegs, nicht doch konkreter daran gedacht hat. Er habe damals Verteidigungsminister Mosche Dajan "einen bestimmten" Vorschlag unterbreitet, "der meiner Meinung nach die Araber abgeschreckt und den Krieg verhindert hätte". Aus Gründen der Staatssicherheit, so Peres nebulös, könne er seinen Vorschlag nicht näher beschreiben. In den USA wurden die Worte von Peres dahingehend interpretiert, dass Israel zur Abschreckung einen demonstrativen Atomtest durchführen könne.
Vision von einer blühenden Wirtschaftszone im Orient
Das war die eine Seite des Shimon Peres. Ein Sicherheitspolitiker, der die Anwendung massiver Gewalt in Betracht zieht. Doch es gab auch den Friedenspolitiker.
Zu seinen großen Leistungen gehört es, den Friedensprozess mit den Palästinensern eingeleitet zu haben. Heute wirkt seine Vision fast schon märchenhaft: Inspiriert vom Beispiel der Europäischen Union, sprach er vom "neuen Mittleren Osten". Peres schwebte eine blühende Wirtschaftszone im Orient vor, in der Israel ein zentrales Mitglied sein würde.
Wie utopisch das war, lässt sich auch daran erkennen, dass es Israelis in den Neunzigerjahren noch verboten war, mit der PLO, der Palästinensischen Befreiungsbewegung von Jassir Arafat, zu verhandeln. Doch zusammen mit Jizchak Rabin begriff Peres: Ohne direkte Gespräche mit der PLO würde Israel isoliert bleiben. Um den Frieden zu ermöglichen, müssten auch entsprechende ökonomische Anreize geschaffen werden. Seine Kontakte zur PLO führten schließlich im Herbst 1993 zum Abschluss einer Prinzipienerklärung.
Der Friedensnobelpreis kam zu früh
Zusammen mit Rabin und Arafat wurde er dafür mit dem Friedensnobelpreis geehrt. Zu früh vielleicht, denn nach Jahren des Aufbruchs erwiesen sich die Hoffnungen als Illusion. Nach Raketenangriffen der Hisbollah auf den Norden Israels ordnete Peres 1996 persönlich die Operation "Früchte des Zorns" an - und ließ den Libanon mit Artillerie beschießen und aus der Luft bombardieren.
Peres war sich stets der Risiken seiner Friedensavancen bewusst. Ohne ökonomische Leitplanken bestünde die Gefahr, dass die Leute mit dem Aufstieg zum Frieden zu früh beginnen und in die Tiefe stürzen, bevor sie das Ziel erreicht haben, schrieb Peres in seiner Biografie - als ob er das Ende des Friedensprozesses vorausgesehen hätte.
Peres war nicht nur ein Mann der Visionen, sondern auch der Tat. In den Achtzigerjahren befreite er das Land von der Hyperinflation, reduzierte die Arbeitslosigkeit und leitete den Rückzug der israelischen Armee aus dem Südlibanon ein. Bei allen Schwierigkeiten, mit denen Israel konfrontiert ist, blieb er stets Optimist. Pessimismus sei Zeitverschwendung, sagte er einmal.
Bis ins hohe Alter war Peres fit und aktiv. 2007 wählte ihn das Parlament zum Staatspräsidenten. Er fuhr noch viele Jahre in die wichtigsten Hauptstädte der Welt, empfing Amtskollegen in seiner Villa - stets darum bemüht, erster Botschafter seines Landes zu sein.