Nachruf auf Ted Kennedy Eine Ikone, ein Gigant - ein Präsidentenmacher

Nachruf auf Ted Kennedy: Eine Ikone, ein Gigant - ein Präsidentenmacher
Foto: Charles Dharapak/ APHamburg - Präsident konnte er selbst nicht mehr werden, dieser Lebenstraum war schon vor vielen Jahrzehnten in einem Skandal gestorben. Also griff Ted Kennedy am Ende zur zweitbesten Möglichkeit: Er half mit, einen Präsidenten zu küren.
Im Januar 2008 war das, als sich das Vorwahlduell zwischen Hillary Clinton und Barack Obama aufheizte. Da ergriff Kennedy, Bruder des 1963 ermordeten John F. Kennedy und Patriarch einer der großen Polit-Dynastien Amerikas, Partei - nicht für die andere Dynastie, die der Clintons, sondern für den Underdog aus Chicago. "Es ist wieder Zeit für eine neue Generation", sagte er, und warb mit seinem gesamten politischen Gewicht für Obama.
Es war ein entscheidender Moment auf dessen Weg ins Weiße Haus. Ein "Stabwechsel", wie die Kommentatoren gerne schrieben, der sich später bei Kennedys letztem Auftritt vor einer großen Öffentlichkeit vollzog. Gestützt von Nichte Caroline schlurfte der "Löwe des Senats", damals schon vom Tod gezeichnet, bei Obamas Wahlparteitag in Denver auf die Bühne. "Der Traum lebt weiter!", rief er mit brüchiger, doch weiterhin unverkennbarer Stimme.
Da gaben ihm die Ärzte schon nicht mehr viel Zeit. Doch Kennedy hielt durch, allen Prognosen zum Trotz. Als er in der Nacht zum Mittwoch schließlich mit 77 einem Gehirntumor erlag, auf den Tag genau ein Jahr nach seinem Parteitagsabschied, trauerte das politische Amerika, wie es es seit Ronald Reagans Tod nicht mehr getan hatte.
Denn dass die Nation hier nicht nur einen hoch angesehenen Staatsmann verloren hat, sondern das Symbol einer vergangenen, größeren Zeit, das zeigte sich allein an einer der ersten Reaktionen. Diese kam von Orrin Hatch, Kennedys erzkonservativem Senatskollegen: "Ich habe einen geschätzten Freund verloren", klagte der Mann, der ihm ideologisch wohl kaum ferner hätte sein können. Kennedy, so Hatch, sei "ikonisch" gewesen, "überlebensgroß", ein "Gigant".
"Fluch der Kennedys"
Da geht im Pathos der Trauer natürlich manche Feinheit der Realität verloren. "Hochbegabt und voller Makel", so nannte die "New York Times" ihn vielmehr in ihrer Frühausgabe. Und das umreißt Kennedys Leben wohl etwas besser: Geboren in eine geradezu vorgezeichnete Laufbahn aus Ruhm, Reichtum und Macht, verfolgt von Skandalen und Tragödien, trotzdem unverbiegbar bis in den Tod - eine Figur von Shakespeare'scher Größe.
Anfangs waren es seine älteren Brüder, die mehr im Rampenlicht standen, John und Robert. Ted war Wahlkampfmanager für JFK, und zwei Jahre, nachdem der 1960 ins Weiße Haus eingezogen war und Robert zum Justizminister gemacht hatte, "erbte" Ted Johns Senatssitz. Doch es dauerte nicht lange, bis der grausige "Kennedy-Fluch" erneut zuschlug: Ted Kennedy verlor beide Brüder durch Attentate, 1963 und 1968.
Der vierte im Bunde, Joe Kennedy, war schon im Zweiten Weltkrieg gefallen, Schwester Kathleen starb bei einem Flugzeugabsturz 1948. Plötzlich war Ted, das schwarze Schaf, die letzte Hoffnung des Clans, der damals von Ex-Botschafter Joseph Kennedy mit harter Hand geführt wurde. Der Einzige seiner Generation, wie "Vanity Fair" kürzlich in einer Eloge den irischen Poeten William Butler Yeats zitierte, der lange genug leben würde, "um sich graues Haar zu kämmen".
Das Ende vom Traum als nächster US-Präsident
Es war eine viel zu schwere Last für den nicht einmal 40-Jährigen: Kennedy war sperrig, fehlerhaft, - und kaum so glamourös wie John F., dessen kurze Ära die Amerikaner schnell als "Camelot" verklärten, nach dem Hofstaat des legendären Königs Arthur. Und wie dessen Sage im Unheil endet, hatte das Schicksal auch für Ted Kennedy noch viele Rückschläge parat, die anderen schnell den Mut geraubt hätten. Doch nicht ihm.
1964 wurde er selbst bei einem Flugzeugabsturz schwer verletzt, seither litt er lebenslang an Rückenschmerzen. 1969 fuhr er mit seinem Wagen auf der kleinen Insel Chappaquiddick, unweit des Kennedy-Familiensitzes in Massachusetts, nach einer Party von einer Brücke ins Wasser, er selbst rettete sich, seine junge Beifahrerin Mary Jo Kopechne jedoch, hilflos zurückgelassen, starb.
Kennedy wurde wegen Fahrerflucht zu einer Bewährungsstrafe verurteilt, Zweifel an seiner Version des Unfalls hielten sich aber weiter, und seine Aussichten auf eine Präsidentschaftskandidatur waren ein für allemal dahin. Einmal noch versuchte er es, 1980, doch unterlag schon im Vorwahlkampf dem Parteirivalen Jimmy Carter.
Ein Leben zwischen Skandalen und Verlusten
Statt dessen machte er also den Senat zu seiner Lebensaufgabe. "Ich finde, dass der Senat der Ort ist, an dem die Musik spielt", sagte Kennedy einmal, als wolle er seiner verbogenen Laufbahn nachträglich neuen Sinn geben. "Wo die großen Fragen von Krieg und Frieden, die Fragen der Menschenrechte und die Probleme der Armut debattiert werden." Wer wollte da noch Präsident werden? "Ich würde sagen, der Senat ist das wichtigste Forum für Wandel in unserem Land und im System."
Aus seiner Sicht traf das auch sicher zu. Siebenmal in Folge wiedergewählt, war er zuletzt der am zweitlängsten amtierende Senator der Gegenwart, nach dem 91-jährigen Robert Byrd, und der am drittlängsten amtierende in der US-Geschichte. Er profilierte sich als Verfechter linker und sozialer Interessen, als polternde Stimme für Arme, Entrechtete, Einwanderer, Minderheiten, die sonst nur wenig Beistand finden im machtzentrierten Washington.
"Flasche in der Hand und Blondine im Arm"
Seine Reden hatten Donnerhall und konnten auch schon mal im Handstreich die Karrieren anderer beenden - wie die des Konservativen Robert Bork, dessen Kandidatur für den Obersten Gerichtshof Kennedy 1987 zerschlug.
Sein Leben blieb weiter von Skandalen und Verlust geprägt. Seit Chappaquidick verfolgten ihn die Paparazzi, Kritiker beschrieben Kennedy als "alternden irischen Jüngling, Flasche in der Hand und Blondine im Arm", so der Reporter Michael Kelly 1990 im Magazin "GQ". Sein Schwager Stephen Edward Smith starb an Krebs, sein Sohn Teddy Jr. verlor durch Krebs ein Bein, sein Neffe William Kennedy Smith wurde der Vergewaltigung angeklagt (und nicht zuletzt dank Kennedys Aussage freigesprochen), sein Neffe, JFK-Sohn John F. Kennedy Jr., kam 1999 ebenfalls bei einem Flugzeugabsturz um.
Schützling Obama
Sein größtes politisches Anliegen konnte Kennedy am Schluss nicht mehr zum Erfolg begleiten - eine großangelegte, nationale Gesundheitsreform, die er jahrzehntelang vergeblich propagiert hat, die unter der Ägide seines Schützlings Obama nun erstmals richtige Chancen hatte - aber jetzt im sommerlichen Protestgetöse unterzugehen droht.
Kennedys Schicksal war seit dem 17. Mai 2008 besiegelt. Da brach er auf dem Familiensitz in Hyannis Port zusammen, während er die Hunde am Strand ausführte. Die Ärzte entdeckten einen bösartigen Gehirntumor. Im Juni wurde er operiert, doch der Krebs war schon zu weit fortgeschritten. Trotz Strahlung und Chemotherapie gaben ihm die Ärzte nur noch wenige Monate.
Schon am Krankenbett begann der Zank um seine Nachfolge als Familienoberhaupt. Um das Zepter stritten sich JFK-Tochter Caroline, Roberts ältester Sohn Joe Kennedy II. und Teds Ehefrau Vicky, die vom Rest der Familie aber immer schon argwöhnisch geschnitten wurde. Ted Kennedy wollte seine Lieblingsnichte Caroline zur politischen Matriarchin erheben, deshalb drängte er sie persönlich dazu, sich um den vakanten Senatssitz der künftigen Außenministerin Hillary Clinton zu bewerben.
Kennedys Stimme brachte den Durchbruch
Caroline Kennedys Ambitionen scheiterten jedoch, am Widerstand der hämischen Presse und des New Yorker Gouverneurs David Paterson, der alleine den Nachrückkandidaten bestimmte - und nicht zuletzt an Carolines eigenen Zweifeln und Unzulänglichkeiten. Mit ihrem Verzicht erstarben Ted Kennedys letzte Hoffnungen, den Namen der Dynastie hochzuhalten.
Am 9. Februar erschien Kennedy zum letzten Mal an dem Ort, der fast ein halbes Jahrhundert lang seine politische Heimat war. Schleppend und auf eine Krücke gestützt betrat er das Plenum des Senats, schon derart gezeichnet von seiner Krankheit, dass viele Kollegen ihn erst auf den zweiten Blick erkannten. Seine weiße, einst wallende Haarmähne war schütter, seine Hände zitterten, als er seine Stimme für Obamas Konjunkturpaket abgab.
Es war die 61. Stimme - die entscheidende, die dem Milliardengesetz erst zum Durchbruch verhalf.
Korrektur: In einer früheren Version hieß es, Kathleen sei Ted Kennedys einzige Schwester gewesen. Das ist nicht korrekt, er hatte insgesamt fünf Schwestern. Wir bitten, den Fehler zu entschuldigen.