Nahost-Dilemma Netanjahus Trotz frustriert US-Friedensstifter
Washington - Ein Mann im grauen Nadelstreifenanzug läuft mit schnellen Schritten zum "Blair House", dem Gästehaus der US-Regierung direkt gegenüber vom Weißen Haus. Es ist George Mitchell, Präsident Barack Obamas Nahost-Beauftragter. Mitchell ist auf dem Weg zu Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu. "Sind Sie zufrieden mit seinen Ausführungen beim Treffen mit Obama?", fragt ein Reporter. Mitchells Miene versteinert, er beschleunigt seinen Gang. "Sind Sie zufrieden?", wiederholt der Journalist.
Wortlos verschwindet Mitchell im Gästehaus.
Keine Antwort ist auch eine Antwort. Und Mitchells beredtes Schweigen ist symptomatisch für die aktuelle Enttäuschung in Washington nach dem lang erwartetem Vieraugengespräch zwischen Netanjahu und Obama am Montag dieser Woche. "Die beiden haben sich auf fast nichts geeinigt. Es wird immer klarer, dass die Differenzen zwischen den USA und Israel so groß sind wie seit Jahrzehnten nicht mehr", schreibt M. J. Rosenberg auf der populären Website "Talking Points Memo". Andere Beobachter analysieren, Netanjahu sei für Obama nun wohl endgültig kein Verbündeter mehr auf dem Weg zum Frieden im Nahen Osten - sondern eher ein Hindernis.
Die beiden Regierungschefs saßen zwar fast zwei Stunden zusammen, beinahe doppelt so lange wie vorgesehen. Doch zu einem Durchbruch kam es nicht. Der israelische Ministerpräsident weigert sich nach wie vor, das Ziel eines Palästinenserstaates zu akzeptieren - obwohl Obama ihm schmeichelte, durch ein solches Bekenntnis und den Baustopp jüdischer Siedlungen in palästinensischen Gebieten könne er "Geschichte schreiben".
Netanjahu sprach aber lieber über die Bedrohung Israels durch Iran - und brachte erneut einen Militärschlag seines Landes gegen Teherans Nuklearanlagen ins Gespräch, den die USA unbedingt verhindern wollen.
Also breitete sich Frustration aus in Washington am Dienstag, den Netanjahu auch noch in der US-Hauptstadt verbrachte. John Kerry, Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses im US-Senat, mahnte beim Treffen mit Netanjahu, Israel müsse nach vorne blicken. Außenministerin Hillary Clinton betonte vor Reportern, Obama habe seine Forderung eines Siedlungsstopps sehr deutlich kommuniziert. "Das ist die US-Position", wiederholte Clinton, genau wie das Konzept eines eigenen Staates für die Palästinenser. Eine aktuelle Zogby-Meinungsumfrage zeigt dafür breite öffentliche Unterstützung: Danach wünscht sich jeder zweite Amerikaner, dass Obama gegenüber Israel härtere Töne anschlägt und auf einem Siedlungsstopp beharrt.
"Eine Überschrift löst das Problem nicht"
Netanjahu lässt all das weitgehend kalt, nach außen zumindest. "Ich glaube nicht, dass es Meinungsverschiedenheiten gibt", sagt er Reportern im Konferenzsaal des "Blair House". "Es gibt nur Definitionsunterschiede." Wenn es nur eine Sache der Definition sei, kontert eine israelische Reporterin, könne Netanjahu ja auch von einem Palästinenserstaat sprechen. "Eine Überschrift löst das Problem nicht", erwidert der Ministerpräsident knapp.
Ähnlich spitzfindig zeigt er sich bei der Siedlungsfrage. Schon die 2003 von Europäern und Amerikaner entworfene "Roadmap" zum Frieden im Nahen Osten sah ja einen Baustopp für jüdische Siedlungen im besetzten palästinensischen Westjordanland vor. Obama erinnerte daran bei seinen Ausführungen im Oval Office. Doch Netanjahu betont erneut, Israel habe ja Siedlungen abgebaut - die Palästinenser seien ihrer Verpflichtung, die Terrorinfrastruktur abzubauen, aber nicht nachgekommen.
Erst sie, dann wir, so lautet seine Losung - das klingt ganz anders als die mutigen Schritte, die Obama anmahnte. Wie wenig die Appelle des US-Präsidenten bei dem Israeli fruchten, zeigt eine Nachricht, die noch während Netanjahus Aufenthalt in Washington in dessen Heimat Israel für Schlagzeilen sorgte: Das israelische Verteidigungsministerium genehmigte den Bau von 20 neuen Wohneinheiten in der Siedlung Maskiot im Jordantal.
So avanciert der Besuch Netanjahus in Washington zum vorläufigen Tiefpunkt in den Beziehungen zwischen der neuen amerikanischen und der israelischen Regierung. Dabei waren die Erwartungen hoch gewesen. Obama wollte durch ein gelungenes Treffen mit Netanjahu seine Nahost-Initiative beleben - die bislang verhalten angelaufen ist. Zwar hat der neue US-Präsident bereits am zweiten Amtstag Sondervermittler Mitchell bestellt, der die Region schon dreimal bereist hat. Doch klare Konzepte hat auch Mitchell bislang nicht vorgelegt. Bei den Staatsbesuchen von Ägyptens Präsident Husni Mubarak und Palästinenserpräsident Abbas sowie seiner Rede an die muslimische Welt am 4. Juni in Kairo will Obama nun Umrisse einer umfassenden Friedenslösung skizzieren - die neben der Nahost-Vermittlung auch diplomatische Avancen an Iran und Syrien vorsehen soll.
Israel-Besuch auf unbestimmte Zeit verschoben
Auf Netanjahu kann er dabei vorerst nicht bauen, diese Einsicht dämmert den Obama-Beratern nun. Sie hatten, so ist aus diplomatischen Kreisen zu vernehmen, vor Obamas Kairo-Reise wenigstens auf Gesten Netanjahus an die arabische Welt gehofft - etwa den Abbau einiger Siedlungsposten. Doch selbst dazu war dieser offensichtlich nicht bereit. Im Gegenteil: Netanjahus Fixierung auf die Iran-Bedrohung könnte Obamas versuchte Verständigung mit Teheran torpedieren - weil Israel fortlaufend andeutet, höchstens ein Jahr lang auf Resultate der US-Diplomatie warten zu wollen.
So können sich Nahost-Beobachter nur trösten, dass es immerhin nicht zum offenen Eklat beim Gipfeltreffen gekommen ist - so wie beim Washington-Antrittsbesuch von Netanjahu in seiner Amtszeit als Ministerpräsident 1996. Damals belehrte er Präsident Bill Clinton so ungeschickt, dass dieser nach dem Treffen in unüberhörbare Schimpftiraden gegen seinen Gast ausbrach.
Nun müssen Obama und seine Berater ihre Strategie offenbar erst einmal überdenken: Ein Israel-Besuch des US-Präsidenten, so ist zu vernehmen, wurde auf unbestimmte Zeit verschoben.
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