Nahost In Ramallah wird Arafats Grabstätte vorbereitet
Ein Lastwagen schiebt alte, zerbombte Autowracks zu einem Haufen zusammen, Bagger räumen quietschend riesige Betonbrocken zur Seite. Es ist ein skurriles Schauspiel, das sich seit heute Nachmittag auf dem riesigen Vorplatz von Arafats Hauptquartier, der Mukata in Ramallah, abspielt: Während hunderte Journalisten aus aller Welt und auch einige Palästinenser seit Stunden draußen campieren und auf die endgültige Nachricht vom Tode des palästinensischen Präsidenten warten, werden drinnen schon die Vorbereitungen für dessen Begräbnis getroffen.
Gleichzeitig fahren Dutzende verdunkelter Limousinen im Minutentakt in den Gebäudekomplex hinein und wieder heraus: Der Premierminister Ahmad Kurei alias Abu Ala, sein Vorgänger Mahmud Abbas alias Abu Mazen, so gut wie alle Minister und Sicherheitskommandeure hielten sich heute zumindest stundenweise in der Mukata auf. Nach draußen drang kaum etwas. Außer natürlich, dass der "Rais" Arafat nach wie vor am Leben und der gestrigen Pressekonferenz des PLO-Außenministers Nabil Schaath im Moment nichts hinzuzufügen sei. Der hatte gesagt, Arafats Herz schlage noch. Heute fügte er allerdings hinzu, dass er im Sterben liege. Die Nieren und die Leber arbeiteten nicht mehr. "Er wird sterben, wenn Gott es entscheidet."
Der demokratische Oppositionspolitiker Mustafa Barghouti ergänzte nach der Teilnahme an einer der zahlreichen Sitzungen, dass sich die palästinensische Führung unter Beteiligung auch der oppositionellen Gruppen darauf verständigt habe, Arafat, wenn es so weit ist, eben hier zu begraben. Die Rede ist von einem Platz zwischen den einzigen zwei Bäumen auf dem weitgestreckten, vor einigen Jahren von der israelischen Armee in weiten Teilen zerstören Anlage.
Am Tag davor soll eine internationale Trauerfeier in der ägyptischen Hauptstadt Kairo stattfinden. Ramallah gilt als symbolbehaftete Wahl: Hier, wo der Präsident die letzten drei Jahre unter Hausarrest ausharrte, soll er auch weiter als Symbol der Standfestigkeit des palästinensischen Volkes zu finden sein, erklärte Barghouti.
Ursprünglich waren als denkbare Bestattungsstätten auch Jerusalem und Gaza im Gespräch gewesen, doch ersteres Ziel war gegen Israel nicht durchzusetzen, während Gaza offensichtlich als zu wenig prestigeträchtig erachtet wird, auch wenn Familienmitglieder Arafats dort begraben liegen. "Jerusalem wäre schön gewesen, und Gaza auch, weil er dort lange gelebt hat", sagte eine palästinensische Marktfrau in Ostjerusalem heute Morgen. "Aber Ramallah ist auch gut, weil es nah an Jerusalem ist". In der Tat scheint dieser Gedanke bei der Festlegung eine Rolle gespielt zu haben: Mustafa Barghouti sagte gegenüber SPIEGEL ONLINE, dass Ramallah günstigstenfalls nur eine vorübergehende Ruhestätte sein würde: Nach Friedensverhandlungen mit Israel sei eine Verlegung nach Jerusalem denkbar.
Spielt Suha Arafat noch eine Rolle?
Zwischen den Zeilen war unterdessen sowohl den gestrigen als auch den heutigen Statements zu entnehmen, dass Arafat in einem irreversiblen Koma gefangen ist und sein Herz möglicherweise das einzige ist, was noch funktioniert. Ganz offiziell war gestern von Hirnblutungen und einem "sehr ernsten Zustand" die Rede gewesen. Nur noch Gott habe das Leben des "Rais" in der Hand. Der eigens nach Paris gereiste islamische Würdenträger Taisir Tamimi sagte heute allerdings, noch sei Arafat nicht klinisch tot, ein Abschalten der Maschine sei deshalb nach Maßgabe der religiösen Regeln undenkbar.
"Sie wollen alles vorbereiten, bevor sie seinen Tod verkünden", sagte heute hingegen ein junger Mann, der seinen Namen nicht veröffentlicht wissen möchte. Er spricht mit einiger Autorität, denn er es handelt sich bei ihm um einen der zahlreichen, wahrscheinlich mehrere Dutzende umfassenden Adoptivsöhne Arafats. Der Palästinenserführer, der sich stets als Vater seines gesamten Volkes verstand, hat seit den Tagen des Libanonkrieges immer wieder palästinensische Jungen, der Eltern gefallen waren, an Kindes statt angenommen und auch mit Geld und Posten versorgt. Aus der Bemerkung dieses Adoptivsohnes kann herausgelesen werden, dass die lebenserhaltenden Maschinen möglicherweise doch irgendwann abgeschaltet werden sollen. Der junge Mann ist nicht der einzige, der das glaubt. Im Gegenteil, viele Palästinenser halten Arafat für schon seit Tagen tot.
Die Ehefrau Arafats, Suha, spielt möglicherweise auch noch eine Rolle in dem jetzt ablaufenden Drama. Zuerst hatte sie mit einer verbalen Breitseite in einem Interview die palästinensische Führung düpiert. Dann versöhnte sie sich gestern wieder mit ihnen, nur um heute einen Anteil an Arafats finanziellem Erbe und einen Posten in der Palästinensischen Autonomiebehörde zu verlangen. Dies zumindest verlautet aus Sicherheitskreisen, die angaben, entsprechende Telefonate mitgehört zu haben. Die Palästinenser sorgen sich mittlerweile, dass das Hin und Her der letzten Tage und das geheimnisvolle Auftreten Suhas einen Schatten auf Würde und das Ansehen des sterbenden Präsidenten werfen könnten.
Demonstranten verlangen Begräbnis in Jerusalem
Schon gestern hatten die Menschen in den palästinensischen Gebieten fest mit der Verkündung des Todes ihres nationalen Symbols gerechnet, spätestens, nachdem der arabische Satellitensender al-Arabia unter Berufung auf "vertrauenswürdige Quellen" von dessen Ende berichtet hatte. Erste Tränen liefen den Menschen auf den Straßen von Ramallah die Gesichter herunten. Die wenig später abgehaltene Pressekonferenz von Nabil Schaath in Paris stellte dann den Nerven aufreibenden Zustand zwischen Bangen und Verzweifelung wieder her, in dem die Palästinenser seit über zehn Tagen gefangen sind.
"Abu Ammar, Abu Ammar" - mit dem im Chor gerufenen Kampfnamen ihres Präsidenten drückte am Nachmittag, schon kurz vor Sonnenuntergang, eine Demonstration von Studenten der nahe gelegenen Bir Zeit Universität vor der Mukata ihre Solidarität und Hoffnung auf Genesung aus. Kurz zuvor waren am anderen Ende der Straße israelische Militärjeeps zu sehen gewesen. Zu einer Konfrontation kam es nicht.
Nervosität lag trotzdem in der Luft: Die Studenten verlangten, dass - falls der Tod Arafat verkündet werden sollte - deutlich gemacht werde, dass er von Israel getötet worden sei. Dabei war erst gestern auf der Pariser Pressekonferenz eine Vergiftung ausgeschlossen worden, die potenziell explosive Verschwörungstheorie damit eigentlich ihrer Grundlage beraubt. Außerdem forderten die Studenten, dass Arafat in Jerusalem und nirgendwo sonst beerdigt wird.
Die palästinensische Führung hatte zu diesem Zeitpunkt die Mukata bereits wieder verlassen, wie aus Kreisen der darum postierten Sicherheitsdienste und Polizisten zu erfahren war. Ob und wann sie sich wieder zusammenfinden, um möglicherweise endgültig und offiziell des Tod Arafats zu verkünden, ist zur Stunde unklar. Die Vorbereitungen gehen davon ungerührt erst einmal weiter: Im Inneren des Hauptquartiers wurden neu angekommene Sicherheitskräfte bereits trainiert, um Unruhen bei der Begräbnisfeier zu verhindern.