Nahost-Medien Quotenjagd mit Antisemitismus

Etliche Muslime sehen die Mohammed-Karikaturen als Angriff auf den Islam. Dabei sind einige arabische Zeitungen auch nicht zimperlich. Niemand regt sich darüber auf, dass Juden-Hetze in der arabischen Welt zur Norm geworden ist.

Hamburg - Es war das Abbild des Propheten Mohammed, das das Fass zum Überlaufen brachte. Mohammed war mit einem als Bombe mit Zündschnur geformten Turban auf dem Kopf dargestellt worden. Auf der Website der arabisch-europäischen Liga - eine Gruppe, die die Rechte muslimischer Gemeinden in Europa unterstützt - stand daraufhin geschrieben: "Das Problem für uns ist nicht, dass der Prophet abgebildet wurde oder irgendwelche anderen theologischen Bedenken. Es geht darum, dass hier ganze Völker mit mehr als einer Milliarde Muslimen stigmatisiert wurden, indem ihr Symbol als Terrorist, als Größenwahnsinniger, Frauenhasser und Psychopath dargestellt wurde."

Zweifellos ein bedenkenswerter Einwand. Doch wäre dieser viel schlagkräftiger, hätte dieselbe Website ein paar Tage zuvor nicht eine politische Karikatur veröffentlicht, die Anne Frank im Bett mit Adolf Hitler zeigte, der angesichts des Liebesdienstes ganz friedfertig aussieht. Als ob das nicht schon gereicht hätte, setzt der Karikaturist noch eins drauf, indem er auch noch auf Marc Dutroux anspielt, den verurteilten belgischen Serienkiller, einen der größten Verbrecher der jüngsten europäischen Geschichte, der Mädchen entführt und vergewaltigt hat und sie dann verhungern ließ. Der Zeichner lässt Hitler sagen: "Schreib diese auch noch in dein Tagebuch, Anne!"

Die Website verteidigt sich damit, die Karikatur mit dem Slogan "Kampagne für die Meinungsfreiheit: Hitler gibt den Dutroux" sei als Kritik gemeint für das europäische Schwärmen für die Pressefreiheit - auch wenn dabei gewisse Themen tabu blieben. Wäre die Hitler-Karikatur allerdings in einer Tageszeitung im Nahen Osten gedruckt worden, wäre sie kaum ins Auge gestochen. Gehässiger Antisemitismus, besonders in der Form der politischen Karikatur, ist nahezu täglich in der arabischen Presselandschaft zu sehen - dies nicht erst, seit die dänische Zeitung "Jyllands-Posten" vergangenen September zwölf Mohammed-Karikaturen veröffentlicht hat.

"In der arabischen Presse findet man die teuflischsten und ekelhaftesten Karikaturen, die man sich vorstellen kann", sagt Arieh Stav, Autor des Werkes "Die arabische Karikatur: eine Studie antisemitischer Abbildungen" und Direktor des Ariel-Zentrums für politische Forschung im israelischen Schaarei Tikva. "Die sind schlimmer als diejenigen, die im 'Stürmer' veröffentlicht wurden" - jenes ausgesprochen antijüdische Schundblatt der Nationalsozialistischen Partei, das von Julius Streicher gegründet wurde und von 1923 bis 1945 erschien. "Streicher hat die Deutschen in Verlegenheit gebracht, doch in der ganzen arabischen Welt findet man diese fürchterlichen Bilder", sagt Stav.

Ein kurzer Blick auf die Zusammenstellung der arabischen Presse von Juli bis Dezember 2005 auf der Website der "Anti-Defamation League" (Anti-Verleumdungsbündnis, http://www.adl.org/default.htm ) belegt, was Stav sagt. Ende November erschien in der saudi-arabischen Zeitung "al-Yawm" eine Karikatur, auf der ein Hakenkreuz über den Davidstern gelegt war. Eine Karikatur in einer Dezember-Ausgabe der in den Vereinigten Arabischen Emiraten erscheinenden Zeitung "al-Bayan" zeigt einen grinsenden Juden, der mit einem als Globus geformten Jojo spielt. Das häufig verwendete antisemitische Stereotyp des Juden, der die USA, die Uno, Dänemark und Europa kontrolliert, ist ebenfalls ein beliebtes Thema.

Dies alles geschah noch bevor die Mohammed-Karikaturen die muslimische Seele aufgewühlt haben. Seit Anfang Februar gibt es eine Tendenz, das Erscheinen der Mohammed-Karikaturen in westlichen Medien mit angeblich jüdischer Niedertracht zu verquicken. Zum Beispiel: Eine Karikatur aus Bahrein, die zum Boykott dänischer Produkte aufruft, zeigt eine dänische Flagge geschmückt mit einem Davidstern, der in einem Stück Havarti-Käse steckt. Womit ist die Karikatur überschrieben? "Das Eindringen des Zionismus in Dänemark."

Die Tradition politischer Karikaturen gibt es laut Stav noch nicht lange. Vor 100 Jahren wurden so gut wie überhaupt keine Bilder gedruckt - gemäß der islamischen Tradition physische Darstellungen abzulehnen. Der Unmut, Menschen abzubilden, hat sich seither abgeschwächt, obwohl die Abbildung des Propheten Mohammed weiterhin streng verboten blieb. Ende der vierziger Jahre - unmittelbar nach dem arabisch-israelischen Krieg von 1948, so Stav - stieg die Anzahl politischer Karikaturen stark an. Die ersten Zeichnungen waren meist geschmacklose Nachahmungen von Karikaturen der Nazi-Propaganda - ein jüdischer Krake etwa, der seine Fangarme um den Globus legt. Schon bald wurden sie noch gehässiger.

"In den Karikaturen der Deutschen konnte man nie sehen, was sie den Juden wirklich antun wollten", sagt Stav über die Zeichungen im "Stürmer". In den arabischen dagegen wurde ganz deutlich dargestellt, wie die Juden getötet und Israel ausradiert werden sollte.

Der Holocaust-Karikaturen-Wettbewerb

Während die muslimische Gemeinde fortfährt, zu Massenprotesten und zum Boykott dänischer Produkte aufzurufen, geht das Juden-Bashing in der islamischen Presse unvermindert weiter. Im vielleicht beleidigendsten Wettstreit hat die iranische Zeitung "Hamshahri" Anfang vergangener Woche dazu aufgefordert, die zwölf "besten" Karikaturen über den Holocaust zu küren - ausdrücklich um die europäische Verpflichtung zur Meinungsfreiheit zu testen, indem sie Herausgeber aufforderten, sie nachzudrucken wie sie die Mohammed-Karikaturen nachdruckten.

"Das ist ein Problem und es ist zu verurteilen", sagt Tariq Ramadan, Wortführer der muslimischen Intellektuellen in Europa, über die Tendenz vieler Menschen in der arabischen Welt, auf jegliche Provokation seitens des Westens mit Antisemitismus zu reagieren. "Wir müssen einsehen, dass es keine doppelten Standards geben darf ... Ich meine, wir müssen gegen die israelische Angriffspolitik gegenüber den Palästinensern sein, doch es ist keinesfalls akzeptabel, diese politische Haltung mit irgendetwas in Verbindung zu bringen, das einen antisemitischen Diskurs akzeptiert und als normal hinnimmt."

Doch das ist eine Gratwanderung. Israel ist ein Lieblingsziel der arabischen Medien, und viele in der Region sehen den jüdischen Staat als Dorn im Nahen Osten. Es gibt keinen Mangel an Karikaturen, die den derzeit arbeitsunfähigen israelischen Premierminister Ariel Scharon zeigen, wie er mit Blut verschmierten Händen hämisch Palästinenser abschlachtet - eine legitime Methode politischen Protests, solange es bei der grafischen Darstellung bleibt. Und es gibt eine Menge politischer Karikaturen in der arabischen Welt, die sich jeglicher Art von Antisemitismus enthalten. Doch wie sich Deutsche oft den Vorwurf des Antisemitismus einhandeln, wenn sie Kritik an Israel üben, so machen sich arabische Karikaturisten angreifbar, wenn sie den Davidstern als Symbol für Israel verwenden.

Eine Karikatur, die die größte ägyptische Zeitung "al-Ahram" im November veröffentlichte - eine Zeitung, die einer Sprecherin der englischen Ausgabe zufolge "antisemitische Inhalte weder verbreitet noch befürwortet" - bietet ein prägnantes Beispiel dafür. Sie zeigt die Vereinten Nationen in Menschengestalt ächzend unter der gewaltigen Last einer Reihe von Resolutionen, die gegen verschiedene Staaten des Nahen Ostens verhängt wurden. Obenauf sitzt ein Jude mit dem Davidstern und hält eine blutige Axt. Obwohl der Jude dezent als "Scharon" gekennzeichnet ist, ist klar, dass die Zeichnung auf eine jüdische Beherrschung der Uno abzielt und - zieht man die Globusform der Uno-Figur in Betracht - darüber hinaus der Welt.

"Ich stimme überein", sagt Shujaat Ali, politischer Karikaturist der Onlineausgabe des arabischen Senders al-Dschasira, im Gespräch mit SPIEGEL ONLINE, "viele Zeichner in der arabischen Welt sind Antisemiten. Wir sollten Menschen anderen Glaubens respektieren", fährt er fort, "wir sollten einen ethischen Code unter uns Karikaturisten haben und uns fragen, wie weit wir gehen können."

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