Nato-Eingeständnis in Afghanistan US-Soldaten erschießen versehentlich schwangere Frauen

Versuchte Vertuschung: Zwei Monate nach einer Razzia in Afghanistan räumt die Nato ein, dass US-Spezialkräfte dabei drei Frauen erschossen. Anfangs hieß es noch, sie seien Opfer einer Familientragödie geworden. Doch zivile Ermittler entdeckten Ungereimtheiten in der Darstellung der Militärs.
US-Soldaten bei der Februar-Offensive in Afghanistan: Razzia mit tragischem Ausgang

US-Soldaten bei der Februar-Offensive in Afghanistan: Razzia mit tragischem Ausgang

Foto: GORAN TOMASEVIC/ REUTERS

Kabul/London - Eine Februarnacht im Osten Afghanistans. US-Spezialkräfte durchkämmen den Ort Khataba auf der Suche nach Taliban. Aus einem Haus treten zwei Männer, einer ist mit einer Kalaschnikow bewaffnet. Der örtliche Polizeichef und sein Bruder, sie wollen nach dem Rechten sehen. Die US-Soldaten feuern sofort und ohne Warnung - und töten beide Männer.

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Außerdem werden später die Leichen von zwei Schwangeren gefunden und ein totes Mädchen. Ein -Sprecher erklärt, sie seien gefesselt und geknebelt gewesen, ihre Körper hätten Hieb- und Stichwunden aufgewiesen. Fazit der Militärs: Die Frauen seien offenbar schon lange vor der Razzia Opfer eines schrecklichen Verbrechens geworden, man werde eine forensische Untersuchung veranlassen.

Afghanistan

In einem Land, in dem Frieden herrscht, würde wahrscheinlich niemand eine solche Koinzidenz als Erklärung akzeptieren. Eine tödliche Razzia, ausgerechnet in einem Haus, wo gerade gemordet wurde. In , wo die Gewalt regiert, wo in den Wirren des Kriegs ständig auch Zivilisten zu Tode kommen, scheint ein solches Szenario eher plausibel.

Doch die Überlebenden des US-Angriffs vom 12. Februar erzählen eine andere Geschichte. Nach ihren Angaben feierte die Familie die Taufe des jüngsten Kindes, 25 Verwandte waren zusammengekommen, drei Musikanten spielten. Die Augenzeugen sagen: Auch die beiden Schwangeren - die eine Mutter von zehn, die andere von sechs Kindern - und das Mädchen sind von den Amerikanern erschossen worden.

Das Innenministerium in Kabul schickt seine besten Ermittler, um die Angelegenheit zu klären; parallel dazu leitet ein kanadischer Brigadegeneral eine militärische Untersuchung der Vorgänge ein.

Afghanische Ermittler stoßen auf Ungereimtheiten

Die Kriminalisten analysieren das Videomaterial, das die Amerikaner bei der Razzia aufgenommen haben, sie untersuchen den Tatort, sie befragen Augenzeugen und Überlebende der tödlichen Razzia. Und sie fördern schnell Ungereimtheiten zutage. "Ich denke, die Special Forces haben ihren Oberbefehlshaber belogen, was den Hergang betrifft", sagt einer der Ermittler der britischen Tageszeitung "Times". Er will ungenannt bleiben, bis die endgültigen Ergebnisse der Untersuchung vorliegen, aber die wichtigsten Erkenntnisse gibt er dennoch vorab preis:

  • Die Amerikaner hätten das Haus viele Stunden abgeriegelt, afghanische Polizei hätte den Tatort erst sieben Stunden nach dem Zwischenfall in Augenschein nehmen können.
  • Auf dem Video der Special Forces sei klar zu erkennen, dass elf Schüsse fallen. Am Tatort seien später nur sieben Kugeln sichergestellt worden. "Ich habe also den Oberbefehlshaber McChrystal gefragt, warum seine Leute Kugeln vom Tatort entfernt hätten - dazu sind sie nicht berechtigt. "
  • Auch an den Leichen wurde offenbar manipuliert: "Rund um die Wunden wurden die Körper mit Alkohol gereinigt. Jemand hat die Kugeln aus den Leichen herausoperiert und dabei große Löcher hinterlassen."

Reporter der "Times" ließen sich von Augenzeugen den Hergang schildern, und auch sie zeichneten ein komplett anderes Bild. Demnach habe der Bruder des Polizeichefs noch gerufen "Wir sind unschuldig" - aber die Soldaten hätten trotzdem gefeuert. Der Polizist hätte daraufhin zurückschießen wollen, sei dabei aber von den drei Frauen zurück ins Haus gezogen worden. Ein zweiter Amerikaner habe das Feuer eröffnet und den Mann wie auch die drei Frauen erschossen.

Diese Version erscheint auch dem Ermittler aus Kabul plausibler als die Erklärung der Nato: "Wer kann sich denn eine Gesellschaft vorstellen, in der man Gäste einlädt und dann drei Frauen umbringt?" Die drei Leichen hätten nur wenige Meter entfernt von der Stelle gelegen, wo das Essen für das Fest zubereitet worden sei.

Die Nato gibt zu, was sich nicht mehr leugnen lässt

Ostersonntag dann die Kehrtwende bei der Nato. Das Militär räumt zwei Monate nach dem Zwischenfall ein, was nicht mehr zu leugnen ist. "Entgegen früherer anderslautender Erklärungen haben wir jetzt Erkenntnisse, dass die Frauen bei der Razzia versehentlich erschossen worden sind", sagt Nato-Sprecher Oberstleutnant Todd Breasseale. Man dementiere jedoch die Darstellung vehement, dass man versucht habe, den wahren Hergang zu vertuschen. Es handele sich um eine laufende Ermittlung, in der bisher kein Beweis für ein Fehlverhalten aufgetaucht sei.

Sein Sprecher-Kollege Brigadegeneral Eric Tremblay findet immerhin auch tröstende Worte für die Angehörigen: "Wir bedauern den Ablauf dieser Operation zutiefst. Wir übernehmen die Verantwortung für die Ereignisse dieser Nacht. Und es ist uns bewusst, dass die Familie diesen Verlust niemals vergessen wird." Die Spezialkräfte seien auf einen Hinweis vorgerückt, dass sich in dem Ort Taliban aufhalten - und hätten das Einschreiten der beiden Männer als Bedrohung interpretiert.

"Heute wissen wir, dass sie nur ihre Familie beschützen wollten", zitiert die "New York Times" Tremblay.

Wer hat versucht, die Spuren am Tatort zu verwischen?

Aber die ganze Wahrheit ist möglicherweise auch das noch nicht. Ein Nato-Insider, der wie der afghanische Ermittler ungenannt bleiben wollte, räumte in einem Interview mit der "Times" ein, dass nun unzweifelhaft feststehe, dass am Tatort Spuren verwischt wurden. "Es gibt tatsächlich Beweise dafür, dass manipuliert wurde, dass Wände gewaschen und Kugeln entfernt wurden." Man habe außerdem die Projektile nicht finden können, die zum Tod der Opfer geführt haben. "Aber es gibt keinen schlüssigen Beweis, dass es unsere Jungs waren, die Spuren verwischt haben."

Die Position bekräftigte die Nato am Montag auch noch einmal offiziell: "Wir haben im Laufe der Ermittlungen keine Beweise gefunden", erklärte Konteradmiral Gregory Smith, der Kommunikationschef des Oberbefehlshabers Stanley McChrystal, "dass unsere Leute Manipulationen am Tatort oder an den Opfern vorgenommen haben."

Dass die Manipulationen niemandem direkt nachzuweisen sind, ist keine wirkliche Entlastung.

Und es bleibt die Frage, warum die Soldaten bei ihrer ersten sieben Stunden währenden Untersuchung des Tatorts nicht feststellen konnten, dass es ihre eigenen Kugeln waren, die für die Tragödie verantwortlich waren. Und warum sie die Geschichte von dem blutigen Familienstreit in die Welt setzten, um den versehentlichen tödlichen Zwischenfall zu leugnen. Einen Zwischenfall, wie er in einem Krieg wie diesem immer wieder vorkommt.

oka
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