Nach »Hirntod«-Kritik Macrons
So könnte die Nato reformiert werden
Hat die Nato noch eine Zukunft? Nach Kritik von Frankreichs Präsident Macron hatte Heiko Maas eine Reformkommission angeregt. Jetzt wurde bekannt: Sie will offenbar die Vetooptionen der Mitgliedstaaten begrenzen.
Frankreichs Präsident Emmanuel Macron hatte vor rund einem Jahr gesagt, was er gerade erlebe, sei für ihn der »Hirntod« der Nato. Nun steht das Verteidigungsbündnis vor einer schwierigen Reformdebatte.
Nach Angaben aus Bündniskreisen hat eine von Generalsekretär Jens Stoltenberg eingesetzte Expertengruppe zu Beratungen der Außenminister am kommenden Dienstag eine Reihe von Ideen vorgelegt. Dazu gehört nach Informationen der Nachrichtenagentur dpa die Empfehlung, eine Blockade von Bündnisentscheidungen durch einzelne Mitgliedstaaten zu erschweren.
Vorgeschlagen wird demnach auch, die Staats- und Regierungschefs von EU-Staaten ohne Nato-Mitgliedschaft zu Gesprächsrunden am Rande der Nato-Gipfel einzuladen und sich deutlich stärker Gefahren zu widmen, die von China ausgehen könnten.
Höchst unwahrscheinlich, dass alle Vorschläge umgesetzt werden
Um die politische Zusammenarbeit innerhalb des Bündnisses zu stärken, empfiehlt das Expertengremium mehr Gespräche auf hoher politischer Ebene. Diese sollen nicht nur in der Nato-Zentrale in Brüssel, sondern auch in den Mitgliedstaaten organisiert werden. So könnten etwa zusätzliche Treffen der Außenministerinnen angesetzt und auch Zusammenkünfte von Innenministern zum Thema Terrorismus einberufen werden.
Es gilt als unwahrscheinlich, dass die Vorschläge alle umgesetzt werden können. So dürfte der Vorschlag für höhere Blockadehürden zum Beispiel bei Bündnispartnerinnen wie der Türkei und Ungarn kaum auf Zustimmung stoßen. Ungarn nutzt die derzeit unkomplizierten Veto-Möglichkeiten bereits seit 2017 dazu, wegen eines Streits mit der Ukraine Treffen der Nato-Ukraine-Kommission auf Spitzenebene zu verhindern. Die Türkei erzwang zuvor aus Verärgerung über Türkei-kritische Äußerungen österreichischer Politiker, die Zusammenarbeit der Nato mit Österreich einzuschränken. Die Alpenrepublik ist nicht Teil des Bündnisses.
Wegen der derzeitigen Spannungen zwischen der Türkei und der EU gilt es auch als unrealistisch, dass die Regierung in Ankara die notwendige Zustimmung zu einem Ausbau der Kooperation zwischen Nato und EU gibt. Auch in Großbritannien wird eine zu enge Verflechtung von Nato und EU nach Informationen der Nachrichtenagentur dpa eher kritisch gesehen.
Das Expertengremium der Nato war im Frühjahr auf Initiative des deutschen Außenministers Heiko Maas (SPD) eingerichtet worden. Zuvor hatte Frankreichs Präsident Macron dem Bündnis plakativ einen »Hirntod« attestiert. Macron wollte damit vor allem die zuletzt immer wieder fehlende Abstimmung von Nato-Partnern bei wichtigen sicherheitspolitischen Entscheidungen anprangern. Ein Negativbeispiel für ihn war etwa die Militäroffensive der Türkei in Nordsyrien, die innerhalb der Nato nicht abgesprochen war. Sie war erst durch einen ebenfalls nicht abgesprochenen Rückzug der US-Armee aus dem Gebiet möglich geworden.
Die am Mittwoch innerhalb des Bündnisses verteilten Empfehlungen des Expertengremiums werden am kommenden Dienstag bei einer Videoschalte der Außenministerinnen erstmals auf hoher politischer Ebene diskutiert werden. Nato-Generalsekretär Stoltenberg will im Anschluss mit den Mitgliedstaaten ein konkretes Handlungskonzept entwickeln. Ziel ist es, die Arbeit bis zum nächsten Nato-Gipfel abzuschließen, der im zweiten Quartal des kommenden Jahres stattfinden könnte.
Deutschland war in dem zehnköpfigen Expertengremium durch den früheren Verteidigungs- und Innenminister Thomas de Maizière (CDU) vertreten. Als Co-Vorsitzender leitete er die Arbeit der Gruppe gemeinsam mit dem früheren US-Diplomaten Wess Mitchell. Frankreich entsandte den früheren Außenminister Hubert Védrine in das Gremium.
Die Nato-Zentrale wollte sich zu den Empfehlungen am Mittwochabend nicht äußern. Sie bestätigte lediglich, dass der Bericht der Expertengruppe übergeben wurde. Eine Veröffentlichung soll demnach erst nach der offiziellen Präsentation beim Außenministertreffen in der kommenden Woche erfolgen. Auch Delegationen von Mitgliedstaaten verweigerten zunächst Stellungnahmen.