
Der Kommentar am Morgen Wer stumm bleibt, ist feige


Polnischer Nato-Jet über Litauen: Wer die Balten nicht schützt, gibt sich selbst auf
Foto: Jakub Kaminski/ dpaIm Nato-Vertrag gibt es kein Kleingedrucktes. Es gibt keine Abstufung zwischen den Ansprüchen der Mitgliedstaaten und keinen Passus, wonach bestimmte Zusagen nur bis Windstärke drei gelten, jenseits davon aber nicht mehr. Das ist gut so.
Zugleich hat das Bündnis seit seiner Gründung regelmäßig die eigenen Prioritäten abgewogen. Wie viel Geld soll in die Landesverteidigung fließen, unter der Prämisse einer militärischen Bedrohung aus dem Osten? Und wie viel etwa in die Fähigkeit, beinahe überall auf der Welt in einen bewaffneten Konflikt ziehen zu können, wenn es alle miteinander für richtig halten?
Jetzt ist wieder ein Moment, neu nachzudenken. Russland verändert unter Wladimir Putin den Kurs. Wenn er so weitermacht, ist sein Land wieder mehr Gegner als Partner des Westens. Und der Skandal besteht nicht darin, dass die Nato es eine ganze Zeitlang für höchst unwahrscheinlich hielt, ihr Bündnisgebiet gegen einen Angriff aus Russland verteidigen zu müssen. Der Skandal ist, dass die Debatte über die veränderte Bedrohungslage allein in geheimen Nato- und Regierungszirkeln geführt wird. Wenn die Bürger (und die Politik) darüber rätseln, wie weit der Kreml wirklich gehen würde, dann gehört die Debatte darüber, wie das Bündnis reagieren soll, in die Öffentlichkeit.
Stimmt es, dass die Nato im Osten so nackt ist wie der Kaiser in seinen neuen Kleidern? Dass ihr zentrales Versprechen, jedes Mitgliedsland militärisch verteidigen zu können, für Balten und Polen de facto gar nicht gilt?
Vor allem die Bundesregierung schuldet den Osteuropäern eine Antwort, denn Deutschland hat am meisten profitiert vom Ende des Kalten Kriegs. Es bekam seine Wiedervereinigung und Ostdeutschland bekam - zu Recht - einen Freifahrtschein in die EU und in die Nato. Potenzielle Schlachtfelder sind nun andere, weiter östlich gelegene Länder. Allein das verleiht den Sorgen dieser Länder moralisches Gewicht.
Für die Travestiefigur Conchita Wurst beim Eurovision Song Contest zu stimmen, ist das eine, und man kann darin ein Zeichen von lässiger europäischer Selbstgewissheit sehen. Wenn es beim Kampf für westliche Werte wie Toleranz und Meinungsfreiheit aber nur für ein Televoting aus dem Fernsehsessel reicht, dann wäre es Gratismut gewesen.
Unangenehmer ist eine Debatte, wie viel Geld und Wille uns das Nato-Versprechen wirklich wert ist, wenn Russland weiter aggressiv auftritt. Conchita Wurst war lustig. Jetzt wird es ernst. Wer die Balten nicht schützen will, gibt sich selber auf.