Nelson Mandela Fluch der Knochen
Der Konvoi hält vor dem umzäunten Grundstück von Nelson Mandelas Enkel in Mvezo. Polizisten, Anwälte und Kriminalmediziner sind angerückt, im Auto direkt hinter dem Leichenwagen sitzt Makaziwe Mandela, 61, die älteste Tochter des Nationalhelden. In ihren Händen hält sie ein 90 Minuten altes Gerichtsurteil, ausgestellt am Mittwoch voriger Woche im Prozess: Makaziwe Mandela gegen Mandla Mandela. Es ordnet an, die sterblichen Überreste von drei Kindern Mandelas zu exhumieren. Das Tor aus Stahlpalisaden ist verriegelt, ein Helfer sprengt das Vorhängeschloss mit einem Pickel auf. Dann graben sie die Gebeine aus.
Es ist das vorläufige Ende eines zwei Jahre währenden Streits, der begann, als Nelson Mandelas Enkel Mandla, 39, die Knochen heimlich auf dem Familienfriedhof in Qunu ausbuddeln ließ - und auf dem Gelände seines Anwesens im 20 Kilometer entfernten Mvezo wieder begrub.
Mvezo ist der Geburtsort des Friedensnobelträgers, aber nicht so wichtig wie Qunu, der Ort, an dem er aufwuchs. Doch sein Enkel Mandla, Chef des Familienclans, wollte durchsetzen, dass der berühmte Großvater in Mvezo beerdigt wird - und dafür musste er zunächst dessen verstorbene Kinder dorthin umbetten. Denn Mandla hat in Mvezo eine Art Wallfahrtsort geplant, ein Gedenkzentrum nebst Hotel, um aus dem Erinnerungstourismus Gewinn zu schlagen. Doch 16 Verwandte durchkreuzten nun seine Pläne per Gerichtsbeschluss.
Die weitverzweigte Familie ist seit Jahren heillos zerstritten. Es geht um das materielle und geistige Erbe des Freiheitskämpfers, um die Marke Mandela. Wie werden die Gewinne aus dem Handel mit Büchern, Bildern und Erinnerungskitsch verteilt? Wer verdient wie viel an den Museen und Gedenkstätten, die seine Verehrer aus aller Welt aufsuchen werden? Wer hat die Deutungshoheit über die nationale Ikone?

Bereits im April wollten zwei Töchter auf das Vermögen seiner Stiftung zugreifen, aber ihre Klage gegen die treuhänderischen Verwalter wurde abgewiesen. Nun also der Kampf um Knochen. Und all das, während der 94-Jährige in einem Krankenhaus in Pretoria im Sterben liegt, nachdem er vor einem Monat mit einer Lungenentzündung eingeliefert wurde; während im ganzen Land die Menschen für ihn beten, Schwarze wie Weiße.
Nelson Mandela werde durch Beatmungsgeräte am Leben gehalten, heißt es in einer eidesstattlichen Erklärung seiner Tochter Makaziwe Mandela, die dem SPIEGEL vorliegt. Sie hatte diese vorige Woche dem Richter präsentiert, um den Rechtsstreit über den Begräbnisort zu verkürzen.
"Die Fehde der Nachgeborenen beschmutzt den Namen Mandelas und bringt Südafrika in Verruf", sagt Buyelekhaya Dalindyebo, König der abaThembu, jener Volksgruppe, zu der auch Nelson Mandelas Clan gehört. Seine Majestät trägt einen olivgrünen Trenchcoat, Jeans und Doc Martens, er sitzt im Empfangsraum seiner Residenz in der Nähe von Qunu. An der Decke lösen sich Sperrholzplatten, die Wände schmücken Porträts von Widerstandskämpfern. Der Fernseher ist stummgeschaltet, es läuft "Skyfall", der neueste James Bond.
"Alle Angehörigen des Madiba-Clans liegen in Qunu. Hier hat Mandela seine Kindheit verbracht, hier will er auch begraben werden. Das hat er mir persönlich gesagt", erzählt der König. Mandla nennt er einen "Grabräuber".
Im traditionellen Ahnenglauben, der in vielen Kulturen Afrikas gepflegt wird, bevölkern die Verstorbenen eine Zone zwischen Diesseits und Jenseits; es sind wirkmächtige Wesen, die in den Alltag der Lebenden hineinregieren. Die Hinterbliebenen müssen sich gut mit den Toten stellen und ihnen Opfer bringen. "Sonst können sie großes Unheil anrichten", sagt der König, während ein Assistent seine Zigarette in einem Holzkelch ausdrückt. "Schwere Wolken hängen über uns. Die Ahnen sind zornig, sehr zornig." In jedem seiner Sätze ist zu spüren, wie sehr ihn der Familienzwist grämt.
Der König geht zu einem schwarzen Granitobelisken im Garten, der letzten Ruhestätte seines Vaters. Zwei Lobsänger knien zu seinen Füßen nieder, sie preisen den Herrscher, sein Volk und sein Land. Und sie rufen die Ahnen an, um Buyelekhaya Dalindyebo Weisheit zu schenken. Er wird sie brauchen, wenn er demnächst die Oberhäupter der abaThembu zusammenruft, um im Streit des Madiba-Clans zu schlichten.
Nur Nelson Mandela bekommt von den Zerwürfnissen der Angehörigen nichts mehr mit, zum Glück. Die gestohlenen und wiederbeschafften Gebeine seiner Kinder wurden am Donnerstag zum dritten Mal unter die Erde gebracht, auf einem Hügel in Qunu. Und bald könnte auch sein langes Sterben ein Ende haben. Es heißt, der Familienrat werde beschließen, die lebensverlängernden Geräte abzuschalten. Vorausgesetzt, es gibt nicht wieder Streit.