Nepal Maoisten-Rebellen drängen ins bürgerliche Leben
Matt schimmert die neue Kreissäge im Sonnenlicht, beinahe liebevoll streicht Jag Bahadur Gharti, 46, über das Sägeblatt. Die Säge steht still, nach einem Sturm ist der Strom ausgefallen, seit zwei Tagen schon. Das ist hier, in den Bergen von Ropal im Westen von , durchaus nichts Besonderes. Aber es ist ärgerlich, denn gerade läuft das Geschäft so gut für den Schreiner.
Gharti baut künstliche Bienenstöcke. Er setzt engmaschige Gitter in speziell angefertigte Holzrahmen und hängt die in einen Kasten. Das ist eine Marktlücke in der Gegend. Bienen gibt es genug, den Wunsch nach Honig auch. Mit seinen Stöcken können die Bienenzüchter die Honiggewinnung drastisch erhöhen.
Jahrelang hat Gharti sich als Bauer oder Straßenarbeiter durchgeschlagen, vor allem aber als Aktivist der maoistischen Rebellen. Er soll für die Wartung der Waffen zuständig gewesen sein, doch darüber redet er nicht gern. Aber dass er als Bote für die Maoisten zwischen den Dörfern unterwegs war und bis heute ist, als eine Art Agitator, der im Ernstfall die Basis mobilisiert, das gibt er offen zu.
Der Ernstfall - das ist heute der Generalstreik oder eine Massendemonstration, um die Regierung in Katmandu unter Druck zu setzen. Aber es ist noch gar nicht lange her, da war Bürgerkrieg.
Das bergige Hinterland von Ropal im Westen war und ist die Hochburg der Maoisten. Von hier aus starteten sie 1996 den bewaffneten Kampf gegen die Monarchie in Nepal und stürzten sie. Hier warten heute viele der einstigen Kämpfer, ob der Waffenstillstand von 2006 hält und sich die Parteien auf eine neue, demokratische Verfassung einigen können, die Nepals Frieden garantiert.
Was wird aus den maoistischen Rebellen?
Gharti steht in Fußball-Shorts des AC Mailand und grünem Hemd im Schatten seines Unterstands in Ruinibang, einem armseligen Kaff am Berghang. Er träumt von einer bürgerlichen Zukunft, 28 Bienenstöcke hat er schon verkauft, für 1300 Rupien das Stück, rund 13 Euro, das ist hier ein kleines Vermögen. Für ihn, seine Frau und seine acht Kinder im Nachbardorf, das fast einen Tagesmarsch entfernt liegt.
Aber wenn die Partei ruft, "dann mach ich meine Arbeit", daran lässt er keinen Zweifel. Dann lässt er freiwillig die Säge stehen und folgt der Partei. Seit neun Jahren ist er Mitglied. "Die ist die einzige, die sich um die Entwicklung auf dem Land kümmert", sagt er.
Gut möglich, dass Gharti zwischen den Dörfern wieder als Botschafter unterwegs sein muss. Denn der Friedensprozess stockt. Am 28. Mai, so hatte es das Waffenstillstandsabkommen eigentlich vorgesehen, sollten sich die Parteien des Landes auf eine neue Verfassung geeinigt haben. In letzter Minute wurde die Frist um ein Jahr verlängert, seitdem streiten die großen Drei - das sind die Maoisten, der bürgerliche Nepal Congress (NC) und die Vereinigten Marxisten Leninisten (UML) - um einen Kompromiss.
Wichtigster Streitpunkt: Was wird aus den 19.604 maoistischen Rebellen, die als Mitglieder der Volksbefreiungsarmee PLA offiziell registriert sind?
Die maoistische Partei will ihre Ex-Kämpfer in Armee und Polizei des Landes übernommen sehen, ihre politischen Gegner wollen, aus Sicherheitsgründen, lediglich 3000 bis 4000 Kämpfer akzeptieren.
Baburam Bhattarais Sonderrolle im Friedensprozess
An dieser Frage scheiterte schon die erste Regierung der Nationalen Einheit, die nach dem Waffenstillstand von den Maoisten und sieben weiteren Parteien gebildet wurde. Nach neun Monaten, im Mai 2009, hatte der Anführer der Maoisten, Pushpa Kamal Dahal, genannt Prachanda, genug. Er trat als Ministerpräsident zurück.
Jetzt muss eine Lösung her, sonst ist der Friedensprozess ernsthaft gefährdet. "Die Armee hat 95.000 Soldaten und 35.000 paramilitärische Polizeikräfte, die meisten wurden während des Krieges rekrutiert. Warum sollen die PLA-Kämpfer nicht auch in die Armee aufgenommen werden," sagt Maoisten-Vize Baburam Bhattarai. "Ich verstehe die Logik nicht."
Bhattarai kommt im Friedensprozess von Nepal eine besondere Bedeutung zu. Er ist einer von zwei Stellvertretern Prachandas, er gilt als eher liberal und neuer starker Mann der Partei. Prachanda und Bhattarai - das waren Freunde und Kampfgenossen, jetzt konkurrieren sie um den Führungsanspruch der Maoisten im zivilen Leben.
Bhattarai wird als Finanzexperte geschätzt. Unter seiner Verantwortung als Finanzminister stiegen die Einnahmen des öffentlichen Haushaltes in neun Monaten Regierungsbeteiligung rasant an. Er gilt als möglicher Kompromisskandidat für eine neue, große Regierungskoalition, an der mehr als ein Dutzend der 22 im Parlament vertretenen Parteien beteiligt sein könnten - falls Prachanda den Weg frei macht.
Bhattarai ist Maoist, aber er ist auch pragmatisch. "Wir haben gegen die Monarchie und den Feudalismus gekämpft und gesiegt," sagt er, "aber der Bevölkerung geht's immer noch schlecht, es gibt immer noch keine Gerechtigkeit, und die Menschen sind immer noch unterdrückt." Er sagt auch: "Wir wollen einen säkularen Staat in einer modernen kapitalistischen föderativen Ära", und bewegt sich damit für einen Maoisten erstaunlich wendig auf die anderen zu. Ein föderaler Bundesstaat Nepal, das wird von nahezu allen wichtigen Kräften gefordert, nur wie er aussehen soll, das ist die Frage.
Ohne die Maoisten geht nichts in Nepal
Die Maoisten wollen einen direkt gewählten Präsidenten mit weitreichenden Verfassungsrechten, die anderen eine parlamentarische Demokratie mit einem starken Parlament und womöglich auch mächtigen Bundesländern. "Jede Partei will die Direktwahl, entweder des Präsidenten oder des Regierungschefs, also sind wir eigentlich nicht mehr so weit auseinander", sagt Bhattarai und macht Zweiflern Mut.
Aber vieles, was seine Genossen formulieren, hört sich lange nicht realitätstauglich an.
Amrita Thapa Magar, 38, zum Beispiel, ist einflussreiches ZK-Mitglied und Generalsekretärin der militanten Jugendorganisation. Sie träumt von einem neuen "Präsidialsystem nach dem Vorbild der USA, einem Föderalismus wie in Deutschland oder der Schweiz und einem Sozialsystem mit Gleichberechtigung für Frauen wie in Skandinavien". Sie sagt "Maoismus ist ein Idee und muss sich anpassen" und lacht, als hätte sie grad einen guten Witz gemacht.
Wann ein Kompromiss zwischen den Parteien gefunden sein wird, weiß niemand. Klar ist nur: Ohne die Maoisten, die bei der Wahl mit knapp 40 Prozent zur stärksten politischen Kraft vor dem Nepal Congress (21 Prozent) wurden, geht nichts. In weiten Teilen des Landes haben sie ohnehin das Sagen, auch im Frieden. Davon kann Sarpe Budha ein Lied singen.
Budha ist kleiner Obst- und Gemüsebauer in Pobang, einem Bergdorf, zwölf bis 14 Autostunden von der Hauptstadt Katmandu entfernt. Der 66-jährige Maoist baut Maulbeeren und Avocados an, hat ein kleines Beet für Blumenkohl und ein paar Birnbäume.
Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit
Budha hat eine Schlüsselrolle. Er soll anderen im Dorf die Landwirtschaft nahe bringen, um die Selbstversorgung zu verbessern und ihnen eine Perspektive zu verschaffen. Unterstützt wird er dabei von der deutschen (GTZ).
Streit um 23 Mangobäumchen
Die Deutschen sind die einzigen, die sich hier, tief im maoistischen Hinterland, das nötige Vertrauen erworben haben, um sich frei bewegen zu können. Sie bilden alleinstehende Frauen aus, fördern Jugendclubs, unterweisen Kleinbauern. Als die GTZ Budha Setzlinge für Mangobäume zur Verfügung stellte, rief das allerdings die Maoisten auf den Plan.
"Wir wollen keine Mangos", erklärte die Partei ihrem verdutzten Anhänger, eine weitere Erklärung blieben sie ihm schuldig. "Ich weiß nicht warum, ich versteh nicht viel von Politik", sagt Budha.
Immer wieder sprachen Polit-Aktivisten bei ihm vor, drohten ihm mit Konsequenzen, bis er schließlich sagte: "Wenn ihr die Mangobäume nicht wollt, macht sie selbst weg." Seitdem hat er seine Ruhe. 23 Bäume stehen inzwischen in voller Pracht, seine zweite Ernte der Früchte steht unmittelbar bevor.
Die Menschen in dieser Gegen glauben an die Partei, normalerweise jedenfalls. "Wir haben die Maoisten gewählt, damit Frieden ist", sagt eine Bäuerin, "ich würde sie wieder wählen, sie sind die einzigen, die sich um uns kümmern."
Ohne die GTZ geht aber ebenfalls kaum etwas. Die Deutschen haben die Berge im Westen, die jahrelang fast völlig von der Außenwelt abgeschnitten waren, durch eine 60 Kilometer lange Autopiste mit den wichtigen Verkehrsadern verbunden, mit der neuen Welt. Rund 50 Prozent der Erwachsenen können nicht schreiben und lesen und nehmen nun dankbar die Trainingskurse an. Das durchschnittliche Pro-Kopf-Einkommen liegt bei 388 US-Dollar im Jahr, hier im Westen, in den armen Provinzen Rukum und Ropal, liegt es in den meisten Fällen drastisch niedriger. Umso wichtiger sind die Versuche, kleine Existenzen, durch den Kauf einer Nähmaschine, einer Ziege oder ein paar Setzlingen für Austernpilze zu stärken und zu stützen. 140 Frauen konnten in der Region inzwischen ein eigenes Geschäft aufmachen, mit bis zu 150 Euro Startkapital aus deutschen Kassen.
Was sich so unscheinbar anhört, ist eine kleine Erfolgsgeschichte, es ist ein Teil der "Friedensdividende", sagt GTZ-Landesdirektor Thomas Labahn. "Jeder Euro Investition in Ernährungssicherheit hier ist eine Investition in Frieden und Stabilität für's ganze Land", sagt Labahn.
Aus Ex-Kämpfern werden Staatsbürger.