Neues Spitzenduo Europa setzt auf Nobodys

Neues Spitzenduo: Europa setzt auf Nobodys
Foto: A0173 epa belga Dirk Waem/ dpaLondon - Nach der Entscheidung war den 27 Staats- und Regierungschefs der EU die Erleichterung anzusehen. Bis unmittelbar vor dem Sondergipfel am Donnerstagabend hatte es so ausgesehen, als werde es eine lange Nacht - so weit lagen die Meinungen auseinander. Die Wahl ihres ersten ständigen Ratspräsidenten und ihres ersten Außenministers schien die Gemeinschaft wieder einmal vor eine Zerreißprobe zu stellen.
Doch dann die Überraschung: Es ging alles ganz schnell.
Schon beim Vorbereitungstreffen der sozialdemokratischen EU-Regierungschefs am Nachmittag wurde beschlossen, dass die Britin Außenministerin werden sollte. Und die Entscheidung für den Belgier als EU-Präsident fiel gleich während des Abendessens. Einstimmig obendrein. Hinterher klopften sich die Regierungschefs gegenseitig auf die Schulter und lobten sich für ihre "Handlungsfähigkeit".
Doch eigentlich haben die Spitzenpolitiker gar keinen Grund, stolz auf sich zu sein. Denn die Besetzung bestätigt sämtliche Vorurteile, die über die EU im Umlauf sind. Beide Posten gehen an Kandidaten, die in Europa unbekannt sind. Ashton ist nicht einmal ihren britischen Landsleuten ein Begriff. Sogar sie selbst zeigte sich vollkommen überrascht: Am Donnerstagmorgen habe sie noch nichts von ihrem neuen Job gewusst.
Außerdem waren beide in ihren vorherigen Jobs bloß Lückenfüller. Die politische Karriere des 62-jährigen Van Rompuy war bereits im Ausklingen, als er vor knapp einem Jahr als Übergangspremier einsprang, um das politische Chaos in Belgien zu sortieren. Und die 53-jährige Ashton wurde nur deshalb vor einem Jahr EU-Handelskommissarin, weil ihr Vorgänger Peter Mandelson dringend in London gebraucht wurde, um die Labour-Regierung zu retten.

Van Rompuy und Ashton: Die neue EU-Spitze
Kein Wunder also, dass die Nachricht viele Beobachter enttäuschte. Eigentlich waren die beiden neuen Posten dazu gedacht, das außenpolitische Profil der EU zu schärfen. Europa sollte mit neuem Gewicht in der Welt auftreten, Geschlossenheit und Selbstbewusstsein ausstrahlen. Stattdessen haben die Regierungschefs nun zwei Nobodys mit der Repräsentierung der EU beauftragt, die erst selbst um Anerkennung kämpfen müssen.
Farbloser Sitzungsleiter statt Strahlemann
Dahinter steckt das alte Denken der nationalen Staatsmänner: EU-Spitzenjobs werden nur an Leute vergeben, von denen sie nicht in den Schatten gestellt werden können. "Hast du einen Opa, schick ihn nach Europa", dieser Spruch scheint noch heute zu gelten. Van Rompuy und Ashton sind vom Typ her Hinterbänkler, keine Alphatiere - also genau die Sorte Politiker, die seit jeher nach Europa entsorgt wird. Die Tatsache, dass keiner der beiden nennenswerte außenpolitische Erfahrung mitbringt, fällt da schon nicht mehr ins Gewicht.
Das Argument, dass nichts anderes zu erwarten war, tröstet kaum über die vertane Chance hinweg. Van Rompuy hatte sich bereits in den vergangenen Wochen als Favorit herauskristallisiert. Die Regierungschefs hatten durchblicken lassen, dass sie einen bescheidenen Sitzungsleiter aus einem kleinen Land wollten, keinen Strahlemann. Seine Ernennung kam daher wenig überraschend.
Die Präferenz für einen farblosen Premier eines kleinen Landes war durch die Kandidatur des früheren britischen Premierministers Tony Blair befördert worden. Gegen Blair gibt es gute Gründe, doch stellt sich die Frage, warum außer ihm kein anderes politisches Schwergewicht im Rennen war. Die Kandidaten aus den großen Ländern haben sich nicht gerade um den Posten gerissen. Deutschland etwa hatte es vorgezogen, auf beide Ämter von vornherein zu verzichten, um den deutschen Anspruch auf den Chefposten der Europäischen Zentralbank nicht zu gefährden.
Die Welt staunt über ein Gesamtkunstwerk europäischer Diplomatie
Letztlich ist das neue Führungsduo ein Zeichen für die fehlende Wertschätzung der EU in den europäischen Hauptstädten. Die britische Regierung hätte mit Außenminister David Miliband und Wirtschaftsminister Peter Mandelson gleich zwei überzeugende Kandidaten für den EU-Außenministerposten vorschlagen können. Doch beiden ist die Präsenz in der nationalen Politik wichtiger - der Unterhauswahlkampf steht vor der Tür, und danach wird die Macht bei Labour neu verteilt. So fiel die Wahl auf Ashton, über die am Tag ihrer Wahl nur gesagt werden konnte, sie könne gut zuhören. Und natürlich wurde gefeiert, dass sie eine Frau ist.
Bundeskanzlerin Angela Merkel äußerte gnädig, die beiden Neuen würden in ihre Ämter schon hineinwachsen. Tatsächlich sind die Erwartungen so gering, dass Van Rompuy und Ashton nur positiv überraschen können.
Doch zunächst lässt sich nur eines festhalten: Die EU hat es erneut geschafft, sich selbst zu übertreffen. Außenministerin und Präsident kommen aus Westeuropa, EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso aus Südeuropa und EU-Parlamentspräsident Jerzy Buzek aus Osteuropa. Und wenn auch noch die restlichen Kommissare bekanntgegeben werden, wird die Welt über ein Gesamtkunstwerk europäischer Diplomatie staunen können - feinstens austariert nach Geografie, Landesgröße, Parteizugehörigkeit und Geschlecht.
Man kann das verteidigen und sagen: So geht das eben in Brüssel.
Dann sollte man sich aber nicht wundern, wenn keine Begeisterung über Europa aufkommen will.