
Neuseeland: Sozialpolitik und "kindness"
Sozialpolitik von Jacinda Ardern Wie Neuseelands Regierungschefin ihr Land heilen will
Mit großen Versprechen und der Ankündigung, radikale Veränderungen durchzuführen, ist Neuseelands neue Regierung im Herbst angetreten. Das Kabinett unter Leitung von Premierministerin Jacinda Ardern, 38, will zeigen, wie moderne Sozialdemokratie aussehen kann.
Dabei schlug die jüngste Premierministerin in der Geschichte des Landes bereits bei der Kabinettsbildung neue Wege ein: Erstmals regiert eine Dreierkoalition aus ihrer sozialdemokratischen Labour-Partei, den Grünen und der rechtskonservativen Partei New Zealand First, die Zuwanderung begrenzen will. Ganz oben auf der Agenda stehen Armutsbekämpfung, soziale Gerechtigkeit und Naturschutz.
Im vergangenen Jahr hatte Ardern kurz vor der Wahl die Führung der angeschlagenen Labour-Partei übernommen und nach neun Jahren die konservative Regierung abgelöst. Nun hat sie es sich zum Ziel gemacht, das Land umzukrempeln. Internationale Beachtung fanden dabei jedoch zunächst zwei Dinge: Arderns Schwangerschaft und das vor Kurzem verabschiedete Gesetz zum Schutz von Opfern häuslicher Gewalt.
Aus sechswöchiger Babypause zurück
Als zweite Regierungschefin weltweit war Neuseelands Premierministerin im Amt Mutter geworden. Nach sechswöchiger Babypause kehrte Ardern am Donnerstag zurück ins Amt. Für ihre erste Woche kündigte sie an, sie wolle sich in den kommenden Tagen um Themen kümmern, die "mir sehr viel bedeuten". Speziell nannte sie psychische Gesundheit, Umwelt und Handel.

Neuseeland: Sozialpolitik und "kindness"
Doch auch während Arderns Abwesenheit drückte die Regierung in Wellington aufs Tempo: In der vergangenen Woche wurde ein Gesetz verabschiedet, das es Opfern häuslicher Gewalt ermöglicht, künftig zehn Tage bezahlten Urlaub zu nehmen, um beispielsweise eine neue Unterkunft zu suchen. Eine ähnliche Rechtslage gibt es bisher nur auf den Philippinen und in einzelnen kanadischen Provinzen. Dem Gesetz vorausgegangen sind allerdings mehrere Jahre Vorbereitung. Die Grundlagen schuf Grünen-Ministerin Jan Logie bereits früher, damals war sie allerdings noch Teil der Opposition.
Entstanden ist das Gesetz auch deshalb, weil Statistiken zufolge in keinem anderen entwickelten Land so viele Fälle häuslicher Gewalt gemeldet werden wie in Neuseeland. Auch in anderen Negativ-Rankings liegt das Land weit vorn: Es hat im Vergleich zu anderen Industrienationen mit Abstand die höchste Jugendselbstmordrate und die meisten Obdachlosen im Verhältnis zu den Einwohnern. Fast jedes dritte Kind lebt in Armut.
Ardern und ihre Regierung wollen das ändern und haben in den vergangenen Monaten bereits einiges in die Wege geleitet:
- Kinderarmut
Der Kampf gegen Kinderarmut ist ein persönliches Anliegen der Premierministerin. So hat sie sich selbst den sperrigen Titel "Ministerin für Kinderarmutsreduktion" gegeben. Von den rund 300.000 Kindern, die laut Unicef in Neuseeland unterhalb der Armutsgrenze leben, will ihre Regierung in den kommenden drei Jahren mindestens 70.000 aus der Armut holen. Dazu beitragen sollen auch die folgenden Maßnahmen:
- Mindestlohn
Unter der Regierung von Ardern wurde der Mindestlohn bereits einmal angehoben, von 15,75 auf 16,50 Dollar die Stunde. Weitere Erhöhungen in mehreren Schritten sind beschlossen. Bis 2021 soll der Mindestlohn auf 20 Dollar steigen.
- Familienpolitik
Ende Juni verabschiedete Neuseeland ein umfangreiches Familienpaket. Wichtigste Punkte: die Einführung einer wöchentlichen staatlichen Unterstützung von 60 Dollar im ersten Geburtsjahr eines Kindes sowie die Verlängerung der bezahlten Elternzeit von 22 auf 26 Wochen vom Jahr 2020 an.
- Sozialer Wohnungsbau
Unter der vorherigen konservativen Regierung hatte Neuseeland sein Engagement bei Sozialbauprojekten weitgehend zurückgefahren. Das soll sich nun ändern: Allein für Obdachlosenunterkünfte sollen in den kommenden Jahren hundert Millionen Dollar investiert werden. Von den geplanten 1500 neuen Einrichtungen stehen bereits 1000 zur Verfügung. Auch Tausende neue Sozialwohnungen sollen in den nächsten Jahren landesweit entstehen.
Zusätzlich hat die Regierung das Programm "KiwiBuild" ins Leben gerufen. Dadurch sollen 100.000 bezahlbare Häuser für Erstkäufer entstehen. Bisher haben sich mehr als 6000 Menschen für eines der geplanten "KiwiBuilds" registriert. Entstehen sollen die Gebäude in den nächsten zehn Jahren. Zusätzlich gibt die Regierung seit Kurzem finanzielle Unterstützung, damit sozial schwache Familien ihre Häuser ausreichend gegen Kälte isolieren können.
- Gesundheit und Bildung
Im neuen Haushaltsplan kommen vor allem Gesundheit und Bildung gut weg. Allein ins Gesundheitswesen sollen in den kommenden vier Jahren etwa 3,2 Milliarden Dollar zusätzlich fließen. Für Kinder unter 14 Jahren sind Behandlungen beim Arzt künftig kostenfrei.
Auch ins Bildungssystem investiert Neuseeland stärker. Hunderte neue Klassenräume sollen geschaffen werden. Vorgesehen sind auch etwa 1500 zusätzliche Stellen für Lehrer und die Renovierung von Schulen für Behinderte.
Das erste Universitätsjahr ist nun für alle kostenlos. Debattiert wird noch über einen Vorschlag der Grünen, wonach psychologische Betreuung für Menschen unter 25 Jahren künftig ebenfalls kostenfrei sein soll. Schulen in armen Gegenden sollen mit medizinischem Personal ausgestattet werden.
Arderns Regierung wird alle ihre Vorhaben aber kaum umsetzen können, denn die Legislaturperiode in Neuseeland dauert nur drei Jahre. Eine zweite Amtszeit der Premierministerin gilt vielen Experten bereits jetzt als wahrscheinlich. Dann hätte sie insgesamt sechs Jahre Zeit, um den Sozialstaat nach ihren Vorstellungen umzugestalten.