

Die Lage am Morgen Amerika spaltet sich in drei Lager

Liebe Leserin, lieber Leser, guten Morgen,
heute beschäftigen wir uns mit Donald Trumps zweitem Amtsenthebungsverfahren, das heute beginnen soll. Außerdem widmen wir uns der Frage, ob Twitter und Facebook zu viel Macht haben. Und schließlich geht es noch um den künftigen Parteichef der CDU – und um Arnold Schwarzenegger.
Ist Trump politisch wirklich erledigt?
Langsam wird sichtbar, welche Folgen der Angriff von gewaltbereiten Trump-Anhängern auf das US-Kapitol hat – für die amerikanische Demokratie und für den Nochpräsidenten. Es ist ein prägender Moment für das Land: Die Nation ist schockiert, das Image des scheidenden Präsidenten ist auch im eigenen Lager schwer ramponiert. Selbst langjährige republikanische Unterstützer von Donald Trump wenden sich von ihm ab. Fünf Menschen starben bei dem Angriff, zu dem der Präsident am Mittwoch faktisch aufgerufen hatte, nachdem er erneut Lügen über angeblichen Wahlbetrug verkündet hatte. Mittlerweile werden die Angreifer nach und nach identifiziert und verhaftet.
Im Repräsentantenhaus könnte bereits heute das zweite Amtsenthebungsverfahren gegen den Nochpräsidenten eingeleitet werden – ein Jahr nach seinem ersten Impeachment und nur neun Tage vor der Amtseinführung seines Nachfolgers Joe Biden. Die Demokraten haben dafür die nötige Mehrheit; morgen oder spätestens Mittwoch wollen sie über die Anklagepunkte gegen den Präsidenten abstimmen. Doch im Senat müssten danach 67 der 100 Senatoren einer Entfernung aus dem Amt zustimmen, die 50 Demokraten wären auf eine große Zahl von Republikanern angewiesen – das macht einen Erfolg unwahrscheinlich. Ohnehin wäre die Zeit wohl zu knapp, um Trump vor Ende seiner Präsidentschaft aus dem Amt zu entfernen. Es bliebe nur eine rückwirkende Entfernung aus dem Amt – verbunden mit dem Verbot, noch einmal für ein politisches Amt zu kandidieren.
Die Frage, die sich viele Republikaner gerade stellen, lautet: Ist Donald Trump nun wirklich politisch erledigt oder gibt es eine Chance, dass er doch noch einmal wiederkehrt? Davon hängt wohl ab, wie viele sich am Ende wirklich gegen ihn und seine fanatischen Anhänger stellen – viele von ihnen haben zwar genug von Trump und sagen es öffentlich; aber manche hoffen, dass Trump noch selbst zurücktritt. Einiges spricht dafür, dass die USA dabei sind, statt bisher zwei künftig drei Lager herauszubilden: die Demokraten, die Republikaner – und das Trump-Lager, in dem Rechtsextreme und Verschwörungsgläubige zunehmend die Oberhand gewinnen. Im Moment sieht es so aus, als ob Trump sich vom Wahnsinn seiner letzten Amtswochen nicht mehr erholen kann – aber wer weiß das schon. Dieser Mann wurde schon viel zu oft totgesagt.
Die zu große Macht der Techmilliardäre
Die großen Techkonzerne haben gehandelt: Facebook und Twitter haben nach dem Angriff aufs Kapitol die Konten von Donald Trump dauerhaft gesperrt. Amazon und Apple gehen gegen Parler vor, eine rechte Social-Media-Plattform, in der radikale Trump-Anhänger ohne jede Kontrolle zu Gewalt aufrufen. Das ist ein bemerkenswerter Moment: Jahrelang wuschen die Techkonzerne ihre Hände in Unschuld – sie ließen viel zu lange zu, dass ihre Plattformen missbraucht wurden, nicht nur zur massenhaften Verbreitung von Desinformation, sondern auch zu Gewaltaufrufen. Politiker genossen besonderen Schutz – ein normaler Nutzer, der sich gleich verhalten hätte wie Trump, wäre schon viel früher gesperrt worden.
Und doch: Dass ein paar Milliardäre aus dem Silicon Valley eigenhändig entscheiden können, wer gesperrt wird und wer weiterschreiben darf, ist unheimlich. Was wäre denn, wenn diese Konzerne eines Tages in der Hand von Rechtsextremen sein sollten, die dann über die Redefreiheit Linksliberaler entscheiden? Es ist klar: Facebook-Gründer Marc Zuckerberg und Twitter-Gründer Jack Dorsey haben zu viel Macht. Weniger klar ist, was die Konsequenz daraus ist. Eine staatliche oder supranationale Kontrolle solcher Plattformen birgt noch größere Risiken (China!), wie die oft geforderte »Zerschlagung« dieser Konzerne konkret aussehen soll, ist unklar. Aber die Debatte darüber beginnt jetzt, und sie ist dringend nötig.
Merz, Laschet, Röttgen – wo ist der Enthusiasmus?
Es ist die letzte Woche vor dem digitalen CDU-Parteitag, bei dem am Samstag entweder Friedrich Merz, Armin Laschet oder Norbert Röttgen zum CDU-Parteichef gewählt werden wird – der Ausgang ist offen. Ob einer der drei später allerdings auch Kanzlerkandidat der Union wird, ist noch mal eine andere Frage – denn übermäßige Begeisterung hat keiner bisher auslösen können, weder in der Partei, noch in der Bevölkerung.
Deshalb läuft sich im Verborgenen unter anderem Gesundheitsminister Jens Spahn für eine mögliche Kanzlerkandidatur warm, wie auch der SPIEGEL berichtete. Spahn schwächt damit allerdings die Position von Armin Laschet, mit dem er eigentlich ein Tandem bildet. Und dann gibt es bekanntlich auch noch CSU-Chef Markus Söder. Unionsfraktionschef Ralph Brinkhaus sagte vergangene Woche: Der Parteichef müsse nicht unbedingt auch der Kandidat sein. Dass diese Debatte in die Woche vor dem Parteitag hineinragt, sagt eigentlich alles.
Der englische Begriff »buyer’s remorse« bezeichnet das Gefühl, das ein Konsument verspürt, wenn er nach dem Kauf plötzlich glaubt, das Falsche erstanden zu haben. Bei der CDU scheint dieses Gefühl schon beim Betrachten der Auslage einzusetzen – man hat noch nichts gekauft, muss aber kaufen, was da ist, und das macht unfroh.
Gewinner des Tages…
…ist Arnold Schwarzenegger, 73. Der frühere Bodybuilder, Actionschauspieler und Gouverneur von Kalifornien hat nach dem Sturm auf das Kapitol ein emotionales, persönliches Video aufgenommen, in dem er die US-Demokratie gegen ihre Angreifer verteidigt – und sich an seine Kindheit in Österreich nach dem Zweiten Weltkrieg erinnert, sowie an die desillusionierten Mitläufer der Nazis, zu denen er auch seinen eigenen Vater zählt.
Er erinnert sich, wie sein nach dem Krieg gedemütigter Vater betrunken nach Hause kam und seine Frau und Kinder schlug – und so hätten es auch die Nachbarsväter getan auch. »Sie hatten körperliche Schmerzen von den Schrapnellen in ihren Körpern und emotionale Schmerzen von dem, was sie gesehen oder getan hatten. Es begann alles mit Lügen und Lügen und Lügen und Intoleranz.«
Auch Trump habe die Menschen mit Lügen in einen Putschversuch getrieben. Er verglich die Demokratie mit dem Schwert von »Conan«, seiner Filmfigur – je mehr sie gehärtet werde, desto stärker werde sie auch.
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