Nein der Niederländer zum EU-Abkommen Genugtuung in Russland, Trotz in der Ukraine

Die Niederländer haben das EU-Assoziierungsabkommen mit der Ukraine abgelehnt. Die russische Regierung versucht, nicht zu triumphal zu klingen - für Kiew ist es ein schwerer Schlag.
Putin-Sprecher Dmitri Peskow

Putin-Sprecher Dmitri Peskow

Foto: Maxim Shemetov / picture alliance / dpa

Der Kurznachrichtendienst Twitter liefert nach dem Ukraine-EU-Referendum in den Niederlanden das ganze Spektrum der Gefühle: Trotz auf der einen Seite, triumphaler Jubel auf der anderen. Schwedens ehemaliger Außenminister Carl Bildt, ein glühender Unterstützer einer Annäherung der Ukraine an die EU, rechnete in einem Tweet vor, da würden sich also gerade einmal 0,006 Prozent der EU-Bevölkerung anschicken, gültige Beschlüsse der EU-Parlamente zu kassieren.


In Moskau dagegen löste der Ausgang des Referendums Freude aus. Der Moskauer Universitätsprofessor Alexander Dugin, Vordenker von Russlands Falken und West-Hasser (SPIEGEL-Gespräch "Jeder Westler ist ein Rassist" ), twitterte am Donnerstag, dass "die Niederlande gegen die Ukraine gestimmt haben". Dugin twitterte diesen Satz sicherheitshalber innerhalb von vier Stunden auch gleich viermal - die frohe Kunde sollte nicht untergehen.

Der Kreml dagegen verzichtete auf eine allzu triumphale Geste. Als "Sieg für Putin", über den viele Medien im Westen schreiben, wollte Kreml-Sprecher Dmitrij Peskow das Referendum nicht interpretiert wissen. Er sieht Russland in der Rolle eines bloßen Beobachters, es handele sich ja schließlich um "eine absolute innere Angelegenheit" der Niederlande. Allerdings zeige sie die Einstellung der Bürger zu einem bestimmten Dokument. "Das heißt, die Bürger Hollands haben Fragen, Misstrauen und zeigen ihr Misstrauen", so Peskow.

Russland kann sich freuen

In den vergangenen zwei Jahren hatte Moskau aus Signalen aus Ungarn oder Griechenland oft den Schluss gezogen, eine Aufhebung der EU-Sanktionen gegen Moskau stehe kurz bevor. Tatsächlich verlängerten die EU-Staaten die Strafmaßnahmen dann aber doch einstimmig, ohne große Debatte. Deshalb ist der Kreml vorsichtig geworden mit allzu lauten Tönen.

Gut für Russlands Position ist der Ausgang des Referendums dennoch. Sollte Brüssel tatsächlich die Assoziierung mit der Ukraine stoppen, wäre eines von Moskaus wichtigsten außenpolitischen Zielen erreicht, Kiews Westkurs gestoppt. Der Kreml profitiert aber sogar in dem Fall, dass die EU die Annäherung an die Ukraine fortsetzt. Wann immer aus einer EU-Hauptstadt Kritik laut würde an der Entwicklung der Demokratie in Russland, würden Putin und Peskow kontern, mit der Achtung des Volkswillens sei es ja auch in Europa nicht weit her.

Alexej Puschkow, Chef des Auswärtigen Ausschusses des russischen Parlaments, geht davon aus, dass die Beziehungen zwischen Europa und der Ukraine nachhaltig beschädigt sind. Das Ergebnis des Referendums sei Resultat jener "Angst, die Europa vor der heutigen Ukraine empfindet". Das "Nee" der Niederländer sei "Selbstverteidigung". Puschkow zeichnet gern ein schockierendes Bild von Russlands Nachbarland. Auf seinem Twitter-Profil verbreitet er Meldungen, wonach Ukrainer den Niederländern angeblich Vergeltung androhen und einem Autoren des britischen "Guardian" Prügel, weil er für eine Ablehnung des Abkommens geworben habe.

In den Monaten vor der Abstimmung waren in Russland immer wieder Falschmeldungen lanciert worden, in denen die Rede von Vergeltungsanschlägen ukrainischer Nationalisten in den Niederlanden die Rede war. So verbreitete der Blog "Geen Stijl" zwei YouTube-Videos, in denen Maskierte vor einer Flagge mit Nazi-Rune den Niederländern mit Gewalt für ein "Nein" drohten. Dabei habe es sich um Mitglieder des ukrainischen Nationalisten-Bataillons "Asow" gehandelt. Die Gruppe stellte klar, sie habe nichts mit den Videos zu tun - und vermutete einen Versuch Russlands, die Ukraine zu diskreditieren.

Schwerer Schlag für die Ukraine

Für die Ukraine ist der Ausgang der Abstimmung ein schwerer Schlag. Die Annäherung an die EU ist parteiübergreifend unumstritten. Für Präsident Petro Poroschenko ist Europa eine Art "Reform-Anker": Wenn er von den Ukrainern Opfer verlangt, tut er dies oft mit dem Verweis auf Reformen, die für einen späteren Beitritt zur EU notwendig seien. Ukrainische Politiker hatten über Wochen in den Niederlanden um Zustimmung geworben, die Klitschko-Brüder gaben ein gemeinsames TV-Interview.

Mustafa Najem, Investigativreporter und seit 2014 Mitglied des Parlaments, machte den Staatschef für die Niederlage verantwortlich. Sie sei "ein Urteilsspruch gegen Poroschenko persönlich". Der Staatschef habe alle Hebel in der Hand, sich aber trotzdem nie zu einem entschiedenen Reformkurs entschlossen: "Vor die Wahl gestellt zwischen dem Alten und dem Neuen entscheidet er sich seit zwei Jahren systematisch und mit Nachdruck für das Alte."

Parlamentspräsident Wladimir Groisman, enger Vertrauter des Präsidenten und aussichtsreicher Kandidat auf den Posten des Premiers, verbreitete dabei weiter Optimismus. Kiew werde "an Fehlern arbeiten und der internationalen Gemeinschaft klare Signale geben, dass wir stetig weitergehen auf dem Weg europäischer Reformen". Poroschenko selbst verwies stur auf den "ausschließlich konsultativen Charakter" des Referendums.

Sollte es in der Regierung Zweifel geben, ob es mit der EU-Assoziierung überhaupt weitergeht, so ließ Kiew sie zumindest nicht erkennen. Der Ball liege nun im Feld der niederländischen Regierung, ließ der ukrainische Top-Diplomat Dmytro Kuleba auf Facebook wissen. Ein Stopp der Assoziierung werde für die EU schlimmere Folgen haben als ein Übergehen des Referendums. Die Union werde "auch dieses Problem überleben, die Frage ist bloß, zu welchem Preis."

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