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Nobelpreis für Obama Mehr Bürde als Ehre

Warum Barack Obama? Der Nobelpreis kommt für ihn zu früh. Denn bislang hat der US-Präsident noch keine wirklichen Erfolge vorzuweisen. Ein Kommentar von Claus Christian Malzahn.

Berlin - Früher wurde Politikern der Nobelpreis verliehen, wenn sie handfeste politische Erfolge vorzuweisen hatten. Immer wieder waren auch amerikanische Präsidenten und Politiker darunter: Theodor Roosevelt wurde 1906 für seine Rolle bei der Stiftung des Friedensvertrags zwischen Russland und Japan mit der Auszeichnung aus Oslo geehrt. Thomas Woodrow Wilson erhielt den Nobelpreis 1919 für sein Engagement bei der Stiftung des Völkerbundes, einer Vorläuferorganisation der Uno. Martin Luther King bekam 1964 den Preis für seinen Einsatz für die Bürgerrechte von Afroamerikanern. Der US-Außenminister Henry Kissinger, weit umstrittener, erhielt ihn 1973 für das Friedensabkommen mit Vietnam.

Nun also erhält der 44. Präsident der USA, Barack Obama, den Preis: für seine außergewöhnlichen Bemühungen, die internationale Diplomatie und die Zusammenarbeit zwischen den Völkern zu stärken, so die Begründung des Komitees.

Reicht das?

Bei allem Respekt vor der Person und seinem Amt: reicht das?

Barack Obama regiert seit neun Monaten im Weißen Haus. Seine Versuche, mit fulminanten Reden und diplomatischen Initiativen Auswege aus festgefahrenen Konflikten zu suchen, sind der Mühe allemal Wert. Er hat versucht, ein internationales Klima zu schaffen, in dem Gespräche und ehrliche Bilanzen wieder möglich sind.

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Obama-Regierung gegen Fox News: Medienkrieg in Washington

Foto: Susan Walsh/ ASSOCIATED PRESS

Doch Obama steht noch immer ganz am Anfang. Dass er heute bereits den Nobelpreis erhält, wirkt wie der Medaillenregen auf einen Marathonläufer, der gerade den ersten Kilometer absolviert hat. Die Lage im Irak ist immer noch fragil, in Afghanistan hat sie sich sogar verschlechtert. Trotz massiver Anstrengungen der US-Administration, einen Ausgleich im Nahen Osten zwischen Israel und den Palästinensern zu schaffen, scheint sich nicht viel zu bewegen. Das iranische Regime spielt mit dem Westen nach wie vor seine atomaren Spielchen auf dem diplomatischen Parkett und schleift zu Hause einen Dissidenten nach dem anderen aufs Schafott. Das nuklear bewaffnete Pakistan droht zu zerfallen, in Nordkorea streichelt Dr. Seltsam seine Bombe.

Verwunderung in den USA

Am meisten wird man sich über die Osloer Entscheidung deshalb wohl in den USA wundern. Denn ausgezeichnet wurde heute nicht der amerikanische Präsident, der harte und möglicherweise unpopuläre Entscheidungen zu treffen hat, sondern eine globale Symbolfigur, in die schon während des Wahlkampfes 2008 aus aller Welt Hoffnungen und Wünsche investiert wurden. Obama hat diese zum Teil übermenschlichen Erwartungen, die in ihn gesetzt wurden, lange Zeit fast eingefordert. Doch neun Monate nach seiner Vereidigung besteht seine politische Aufgabe nun darin, neben dem global geschätzten Hoffnungsträger endlich auch den Realpolitiker sichtbar werden zu lassen. Die Entscheidung aus Oslo wird ihm dabei nicht helfen. Sie ist eher eine Bürde als eine Ehre.

Die Verleihung eines Friedensnobelpreises gilt natürlich der Person. Der Vorgang ist gleichzeitig auch immer ein zeitgenössischer, politischer Kommentar aus Oslo. Natürlich kann man diplomatische Anstrengungen belohnen und damit wirkungsmächtig werden. Der erste sozialdemokratische Bundeskanzler Willy Brandt hat 1971 sehr davon profitiert, als ihm der Nobelpreis für seine Ostpolitik verliehen wurde. Brandt war innenpolitisch nicht weniger umstritten als heute Barack Obama, die Opposition lief gegen ihn Sturm und verhöhnte ihn mit den anrüchigsten Methoden. Aber Brandt, wie Obama ein Freund internationaler Diplomatie, hatte die Ost-Verträge aus Warschau bereits unterzeichnet, als das Komitee seine Entscheidung fällte.

Wer hat dagegen bis heute Obamas ausgestreckte Hand ergriffen? Ahmadinedschad? Die Taliban? Kim Jong Il? Putin oder Medwedew? Netanjahu oder Abbas? Niemand. Kein Erfolg in Sicht, nirgends. Es ist deshalb sehr wahrscheinlich, dass Obama seine diplomatischen Offensiven im Laufe der Amtsperiode überdenken, revidieren, teilweise kassieren muss. Vielleicht greift er dann zu ganz anderen Maßnahmen als der wohlfeilen Sonntagsrede, vielleicht übersehen wir neben seiner ausgestreckten rechten Hand die linke Faust in der Hosentasche. Muss er den Preis eigentlich zurückgeben, wenn er sie rausholt?

Metamorphose von der Symbolfigur zum Politiker

Die Wirklichkeit in Washington ist längst nicht so romantisch, wie sie sich in Oslo zusammengereimt wird. In diesen Tagen geht es um eine veritable Truppenerhöhung in Afghanistan. Diese Entscheidung liegt bei Obama auf dem Schreibtisch. Barack Obama ist heute Nacht vermutlich auch nicht aufgewacht, weil er wieder einen wundervollen Traum über die Verbesserung des Zusammenlebens der Völker gehabt hat. Er muss sich vielmehr Gedanken darüber machen, wie er es verhindern kann, dass ihm am 11. September 2011, wenn sich der Terrorangriff auf das World Trade Center zum zehnten Mal jährt, die Taliban aus dem zurückeroberten Kabul fröhlich winken, während er am Ground Zero eine - sicherlich bewegende - Ansprache hält.

Die Freude über die Verleihung des diesjährigen Nobelpreises wäre weit größer, wenn sie nicht einer unverbindlichen Begeisterung über eine bislang ebenso ehrenwerte wie ergebnislose Diplomatie geschuldet wäre - sondern konkrete Ergebnisse adelte. Etwa dem Verzicht Irans auf nukleare Bewaffnung. Oder einer erfolgreichen Stabilisierung und Demokratisierung Afghanistans. Oder einem wirkungsvollen Friedensabkommen zwischen Israelis und Palästinensern. Oder, oder, oder.

Es hätte dem Nobelpreiskomitee deshalb nicht geschadet, den 44. Präsidenten der USA auf Wiedervorlage zu setzen und 2009 einem oppositionellen iranischen Blogger oder einem chinesischen Dissidenten die Ehre zuteil werden zu lassen. Barack Obama hätte sich über so eine Entscheidung sicher nicht beschwert.

In seiner kurzen, demütig vorgetragenen Stellungnahme vor dem Weißen Haus war Obama so klug, die Zweifel an der Entscheidung nicht unerwähnt zu lassen. Seine kurze Ansprache war weniger eine Dankesrede an das Komitee in Oslo als vielmehr eine, schnelle diplomatische Replik auf die anschwellende Kritik an der Entscheidung. Kein Politiker der Welt könne die Probleme alleine lösen, sagte er, und wies nebenbei darauf hin, dass er auch als Commander-in-Chief Verantwortung trägt. Denn die Amerikaner wollen einen Präsidenten im Weißen Haus, keine Wunschfigur aus Oslo.

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