Kim-Jong-Un-Show in Nordkorea Die angeblich »mächtigste Waffe der Welt«

Nordkoreanische Militärparade am 14. Januar: Die USA als »größter Feind«
Foto: - / AFPDas martialische Debüt fand nach Einbruch der Nacht statt. Diktator Kim Jong Un, im Ledermantel und mit Pelzmütze, winkte strahlend von der Tribüne, ringsum schwenkten seine Untertanen rote Fahnen. Nach und nach rollten mindestens vier neuartige schwarz-weiße Raketen über den Kim-Il-Sung-Platz der nordkoreanischen Hauptstadt Pjöngjang.
Den Aufschriften nach handelte es sich um ballistische Raketen vom Typ »Pukguksong 5«. Staatliche Medien bezeichneten die Neuheit später als »mächtigste Waffe der Welt«. Auch neuartige Kurzstreckenraketen waren zu sehen. Sie lassen sich angeblich mit festem Treibstoff betreiben – dies spart Kosten und erhöht im Ernstfall die Zuverlässigkeit.
Hyperschallwaffen und Atom-U-Boote angekündigt
Die Militärparade am Donnerstag war ein schrilles Signal in Richtung USA, vor allem an den nächsten Präsidenten Joe Biden. Kurz zuvor, auf dem Parteitag der Arbeiterpartei, hatte Kim die westliche Supermacht bereits als »unseren größten Feind« bezeichnet. Detailliert listete er die dann öffentlich vorgeführten neuen Waffentypen auf. Außerdem kündigte er an, Hyperschallwaffen, militärische Aufklärungssatelliten sowie Atom-U-Boote zu entwickeln. Der Aufbau einer Atomstreitmacht sei das »strategische und hervorragende Ziel« seiner Nation.

Militärparade in Pjöngjang am 14. Januar: Angeblich »mächtigste Waffe der Welt«
Foto: KCNA/EPA-EFE/ShutterstockBereits der Parteitag war als Demonstration der Stärke inszeniert.
Eine derartige Massenveranstaltung ist in diesen Tagen weltweit eine Seltenheit. Über 7000 Delegierte, dicht an dicht, alle ohne Maske, jubelten aus vollen Kehlen. Es war der erste Parteitag seit fünf Jahren, der achte in der Geschichte des stalinistischen Landes. Am Ende des Spektakels präsentierte sich der Diktator mächtiger als je als zuvor. Er schmückt sich jetzt mit dem Titel »Generalsekretär« – wie einst sein vor neun Jahren verstorbener Vater Kim Jong Il und der Großvater, der legendäre Staatsgründer Kim Il Sung.
Offiziell gibt es in Nordkorea keine Corona-Fälle
Doch der glanzvolle Eindruck der jüngsten Waffenschau trügt. Tatsächlich stecke Kims 25-Millionen-Staat in einer »ernsten Wirtschaftskrise«, sagt Tomoki Iimura, Nordkoreaforscher am Japan Institute of International Affairs in Tokio. Offiziell gibt es in Nordkorea zwar keine Fälle von Corona-Infektionen, gleichwohl ist die Angst des Regimes vor dem Virus und seinen Folgen schon an den Landesgrenzen sichtbar. Seit rund einem Jahr schottet Nordkorea sich hermetisch ab, selbst gegenüber China, dem überragend wichtigen Wirtschaftspartner und Unterstützer.
Dass Kim gleichwohl Tausende Genossen nach Pjöngjang rief, macht deutlich, wie nervös das Regime wegen der wirtschaftlichen Krise ist. Zu tief geht nach Ansicht von Experten die Unzufriedenheit selbst in der nordkoreanischen Elite. Der Diktator hielt es daher anscheinend für dringend geboten, die Untertanen demonstrativ auf Treue zum Regime einzuschwören.
In seiner langen Rede lieferte er ein Eingeständnis, das für einen Herrscher mit angeblich gottgleichen Fähigkeiten höchst ungewöhnlich ist: Er räumte ein, dass sein jüngster fünfjähriger Wirtschaftsplan gescheitert sei. Zur Begründung verwies Kim auf die weltweite Coronakrise, die verheerenden Überschwemmungen des vergangenen Sommers und die internationalen Sanktionen gegen das Land.
Die nukleare Trumpfkarte bleibt alles, was Kim vorweisen kann
Der tiefere Grund für Nordkoreas Krise ist indes hausgemacht: »In den vergangenen fünf Jahren hat sich bestätigt, dass sich wirtschaftliches Wachstum und das Atomprogramm nicht miteinander vereinbaren lassen«, sagt Iimura. Die nukleare Trumpfkarte bleibt alles, was Kim vorweisen kann. Auf sie stützt er nun erst recht seine Herrschaft und das Überleben der Dynastie. Von den bislang sechs nordkoreanischen Nukleartests hat Kim vier zu verantworten; schon 2017 verkündete er den Durchbruch zur Atommacht.
Dass Kim sein nukleares Drohpotenzial konsequent ausbauen konnte, verdankt er auch dem scheidenden US-Präsidenten Donald Trump. Mit zwei pompösen Gipfeltreffen und einem Besuch der demilitarisierten Zone bescherte Trump dem Diktator jene diplomatische Aufwertung, von der seine Vorgänger nur träumen konnten. Sicher war es vernünftig, dass Washington wieder mit Pjöngjang redete. Und mit seiner »Feuer und Zorn«-Tirade hatte Trump zuvor selbst dazu beigetragen, dass die koreanische Halbinsel an den Rand eines Kriegs geriet.
Doch dann schwenkte der Mann im Weißen Haus allzu begeistert und naiv auf Schmusekurs um. Auf dem ersten Gipfel mit Kim 2018 in Singapur weckte er die Illusion, durch eine Art Deal könne er Kim dessen Atomprogramm gleichsam abkaufen. Von Trumps angeblichen Erfolgen blieben dann nur schöne Fernsehbilder.
Trump beschwor die staatsmännische »Liebe«
Spätestens mit dem gescheiterten Gipfel vom Februar 2019 in Hanoi wurde klar: Trump besaß weder die nötige Geduld noch eine durchdachte Strategie, um Kim substanzielle Zugeständnisse abzuringen. Am Ende beschwor der US-Präsident zwar immer wieder die staatsmännische »Liebe« zwischen ihm und dem Diktator, der ihm schmeichelhafte Briefe schrieb. Aber das Interesse an Nordkorea und dessen Atomwaffen hatte Trump ganz offensichtlich verloren.
Kim kehrt nun wieder zum politischen Ausgangspunkt des ewigen Atomstreits zurück: »Egal wer in den USA die Macht hat, der wahre Charakter der USA und ihre grundlegende Politik gegenüber Nordkorea ändert sich nie«, sagte er auf dem Parteitag.

Kim Jong Un nimmt die Militärparade ab: Sorge wegen der Unzufriedenheit im Land
Foto: KCNA/EPA-EFE/ShutterstockMit seiner Waffenparade hat Kim nun bestätigt, dass er nicht daran denkt, den Status einer Atommacht je wieder aufzugeben. Die Phase der Entspannung, die Trump verstreichen ließ, hat Kim genutzt, um weiter aufzurüsten. Schätzungen zufolge besitzt Nordkorea zwischen 20 und 60 Atomsprengköpfe. Kims Ziel dürfte sein: Er will Atomraketen entwickeln lassen, deren Reichweite die amerikanische Hauptstadt erfasst.
Der neue Präsident Biden tritt ein undankbares Erbe an. »Die Schwelle für künftige Verhandlungen mit dem Norden liegt nun sehr viel höher«, sagt Koh Yu-hwan, der Präsident des Korea Institute for National Unification in Seoul, der auch den südkoreanischen Präsidenten Moon Jae-in berät. Kohs Einschätzung nach kann Biden gegenüber Pjöngjang nicht einfach zur Politik der Obama-Ära zurückkehren. Damals strafte die US-Regierung das Kim-Regime weitgehend mit Nichtbeachtung. »Strategische Geduld« nannte sich diese Politik, die aber eben nicht verhinderte, dass der Diktator weiter aufrüstete.
Experte Koh warnt: Je mehr Zeit vergehe, desto schwieriger werde es künftig, mit Nordkorea über atomare Abrüstung zu verhandeln. Er erwartet, dass Biden an die positiven Aspekte von Trumps Singapur-Gipfel anknüpfen werde. Biden könnte nachholen, was Trump versäumte, und mit Kim über einzelne Abrüstungsschritte verhandeln. Im Gegenzug müssten die USA dem Norden durch konkrete Zugeständnisse entgegenkommen.
Ob und wann es zu neuen Gesprächen kommt, ist ungewiss. Im Wahlkampf nannte Biden den Diktator einen »Verbrecher«. Als ermutigendes Zeichen sieht Koh, dass Biden sich bisher nicht auf eine Nordkoreapolitik festgelegt hat. Im Gegensatz zu Trump bevorzuge der Nachfolger überdies eine Außenpolitik, die auf multilaterale Verhandlungen setze – wie einst bei den sogenannten Sechsergesprächen zwischen den USA, China, Russland, Japan und den beiden Koreas.
Allerdings findet Biden in Ostasien eine geopolitische Lage vor, die viel brisanter ist als zu Beginn der Ära Trump. Die Beziehungen zwischen den USA und China sind zerrüttet durch den bilateralen Handelskrieg, die chinesische Expansion im Südchinesischen Meer, die Unterdrückung von Hongkong und die Bedrohung Taiwans. Doch ohne Rückendeckung aus China lässt sich auf der koreanischen Halbinsel kein dauerhafter Frieden schaffen.
Kim hat Verhandlungen mit den USA nicht ausgeschlossen
In jedem Fall dürfte der klamme Diktator Kim weiterhin auf sich und seine Waffen aufmerksam machen. Es sei möglich, dass Kim weitere Botschaften in Richtung der Biden-Regierung senden werde, um deren Reaktion zu testen, sagt Experte Iimura in Tokio. Voraussichtlich werde es sich aber nur um begrenzte Provokationen handeln, wie den Test von Raketenantriebssystemen oder den Abschuss von Kurzstreckenraketen. »Ich glaube nicht, dass Nordkorea plötzlich eine Interkontinentalrakete abfeuert.«
Immerhin hat Kim künftige Verhandlungen mit den USA nicht ausgeschlossen. Allein diese Tatsache lässt sich schon als ermutigendes Zeichen werten.