Rakete über Japan Nordkoreas Hochrisikospiel
Japans Premier Shinzo Abe hat Nordkoreas Provokationen bislang gerne genutzt, um sich als Krisenmanager zu profilieren. Mit Blick auf den zunächst erwarteten Raketenabschuss Richtung Guam ließ er kürzlich eigens Abwehrsysteme nach Westjapan verlegen, um nordkoreanische Flugkörper notfalls abschießen zu lassen.
Doch Nordkoreas Diktator Kim Jong Un schert sich nicht um japanische Katastrophenpläne. Mit dem heutigen Abschuss einer Rakete über Nordjapan hinweg wählte er eine Route, mit der in Tokio kaum jemand gerechnet hatte. Abe wirkte ziemlich überrascht und ziemlich hilflos.
Das gleiche gilt für die Staats- und Regierungschefs der USA, Chinas und Südkoreas. Sie alle wurden erneut von Machthaber Kim ausgetrickst, der im Korea-Konflikt eindeutig den Ton angibt.
Der aktuelle Raketentest, nach Einschätzung von Experten in Südkorea erfolgreich, beweist: Kim lässt sich weder durch Drohungen einschüchtern, wie sie US-Präsident Donald Trump ("Feuer und Zorn") ausspricht. Noch lässt er sich mit verklausulierten Gesprächsangeboten locken, wie Außenminister Rex Tillerson ("Wir sind nicht Ihr Feind") sie unterbreitet. Doch kaum hat sie der Außenminister ausgesprochen, grätscht der Präsident dazwischen. Zum jüngsten Raketenabschuss sagte er: "Die Welt hat Nordkoreas Botschaft laut und deutlich vernommen. Alle Optionen liegen auf dem Tisch."
Und von China, das kürzlich die Einfuhr von Kohle, Eisenerz, Blei und Meeresfrüchten aus Nordkorea stoppte, lässt sich Kim schon gar nichts sagen. Sein Ehrgeiz besteht darin, von den

Nordkoreas Rakete: Flug über Japan
USA ernst genommen zu werden - um auf diese Weise auch vom mächtigen Nachbarn China unabhängig zu werden.
Eben dafür haben Kim und seine Vorgänger so lange und so konsequent ihr Nuklearprogramm vorangetrieben, von dem sie sich das Überleben des Regimes versprechen und versprachen. Kim, der treue Erbverwalter seines Vaters und Großvaters, sieht sich nun offenbar kurz vor dem Ziel, die USA durch eine Interkontinentalrakete bedrohen zu können. Viele Experten weltweit kommen zu einem ähnlichen Urteil. Um allerdings als Atommacht von den USA akzeptiert zu werden, muss er noch eine ganze Reihe von Raketen testen und Atomversuche anordnen.
Erst danach dürfte Kim bereit sein zu Gesprächen mit den USA - aber auch nur auf Augenhöhe.
Gefahr von Missverständnissen und Fehlkalkulationen wächst
Die Zeit arbeitet derzeit für Kim. Er weiß, dass die USA einen militärischen Präventivschlag gegen ihn nicht erwägen können, ohne Hunderttausende oder gar Millionen Opfer in Südkorea und Japan zu riskieren. Ein anderes Szenario wäre gar eine militärische Konfrontation zwischen der Supermacht USA und China, der Schutzmacht Nordkoreas, die dem Regime bereits im Korea-Krieg (1950 bis 1953) gegen die USA zur Hilfe eilte. Denn ein geeintes Korea unter amerikanischem Einfluss - das wäre ein Horrorszenario für die Machthaber in Peking. Die Folgen einer solchen Konfrontation zwischen den Vereinigten Staaten und China wären kaum absehbar.
Und so provoziert Kim die USA und ihre Verbündeten Japan und Südkorea seelenruhig weiter. Doch diese Strategie ist brandgefährlich. Denn jeder neue Raketentest birgt das Risiko von Missverständnissen und Fehlkalkulationen auf allen Seiten - mit wenig stabil anmutenden Befehlshabern, in Washington D.C. wie in Pjöngjang. Kims Poker mit den beteiligten Mächten kann nur glimpflich ausgehen, wenn nicht einem von Kims Gegenspielern in Washington, Tokio oder Seoul plötzlich die Nerven versagen.
Im Video: Nordkorea schießt Rakete über Japan hinweg