
Moratorium: Nordkoreas Atom-Arsenal
Nordkorea stoppt Atomprogramm Amerikaner rätseln über Kim Jong Uns neuen Kurs
Hillary Clinton krempelte kurzfristig die Tagesordnung um. Eigentlich sollte sie vor einem US-Kongressausschuss über reguläre Haushaltsfragen sprechen. Doch dann kam etwas dazwischen.
Es war ein Bulletin aus Pjöngjang, das selbst Insider überraschte: Nordkorea erklärt sich zu einem vorläufigen Stopp seiner Atom- und Raketentests bereit, außerdem will das Regime internationale Atominspekteure wieder ins Land lassen - erstmals seit drei Jahren. Im Gegenzug wollen die USA die Lebensmittelhilfe für das hungernde Land neu ankurbeln.
Also verlief Hillary Clintons Routineauftritt vor dem Bewilligungsausschuss des US-Repräsentantenhauses am Mittwoch ein bisschen anders als geplant. Nachdem sie alle Abgeordneten per Handschlag begrüßt hatte, bestätigte die Außenministerin die Nachricht - mit Vorbehalt: "Die Vereinigten Staaten haben, und das möchte ich gleich hinzufügen, weiter große Bedenken." Sie las den Satz von ihrem blauen Blackberry ab, auf den sie schielte.
Clintons eisige Miene verzog sich dabei kurz zum Schmunzeln. Schließlich ist diese zögerliche Reaktion schon fast ein Reflex: Nordkorea veranstaltet seit Jahrzehnten Katz- und Maus-Spiele mit den Amerikanern. Auch jetzt bleibt die Frage: Ist der Schwenk Pjöngjangs nur eine weitere Kapriole - oder ein tatsächlicher Durchbruch unter dem neuen Führer Kim Jong Un?
"Der nordkoreanische Tanz geht weiter"
Die westlichen Akteure trauen dem Tauwetter nicht - es gibt noch zu viele Hürden, bevor von einem Durchbruch die Rede sein könnte. "Wir sind nicht nur um der Gespräche willen an Gesprächen interessiert", hieß es in US-Regierungskreisen skeptisch. Dem "positiven ersten Schritt", sagte Jay Carney, der Sprecher des Weißen Hauses, müssten nun Taten folgen.
Oder, so der britische Nordkorea-Analyst Aidan Foster-Carter in einem Web-Beitrag für die BBC: "Der nordkoreanische Tanz geht weiter."
Die unerwarteten Konzessionen waren Resultat eines zweitägigen Treffens von Vertretern beider Seiten vorige Woche in Peking - das erste seit dem Tod des Machthabers Kim Jong Il und dem Aufstieg von dessen Sohn Kim Jong Un. Das Ergebnis überraschte selbst Kenner. Admiral Robert Willard, der Kommandeur der US-Flotte im Pazifik, deutete den positiven Drall zwar schon am Dienstag an, vor dem Streitkräfteausschuss des US-Senats. Zugleich warnte er aber, dass Kim "die restriktive Strategie seines Vaters weiterführen" werde.
Nach der harten Linie der letzten Jahre wären dies in der Tat enorme Zugeständnisse. Der junge Diktator, über dessen Motivation die Welt bis heute rätselt, will alle Atomtests und die Urananreicherung vorerst stoppen. US-Hardliner wittern eine Falle: "Pjöngjang wird sein heimliches Nuklearwaffenprogramm wahrscheinlich direkt vor unserer Nase fortsetzen", erklärte die Republikanerin Ileana Ros-Lehtinen, die Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses im Senat.
Dass sich das abgeschottete Land der Internationalen Atomenergiebehörde IAEA öffnen will, deren Inspekteure es im April 2009 ausgewiesen hatte, wäre jedenfalls eine erste Voraussetzung für Verhandlungen. "Das heißt, dass wir einen Eindruck von einem unbeaufsichtigten Atomprogramm bekämen, das seit mehr als drei Jahren ununterbrochen vorangeschritten ist", sagte Victor Cha, ein Asien-Analyst am Center for Strategic and International Studies, der "Washington Post".
Kurzfristig profitieren beide Seiten
Doch solche Inspektionen könnten auch neue Komplikationen bringen. Ein Team von US-Experten hatte den Fünf-Megawatt-Reaktor in Yongbyon zuletzt im November 2010 in Augenschein genommen. Die alten Plutoniumanlagen schienen damals stillgelegt. Daneben gab es aber eine brandneue Einrichtung zur Urananreicherung. Unklar ist nun, ob auch diese Anlage unter das Moratorium fällt.
Die staatliche Nachrichtenagentur KCNA hielt sich denn auch clever ein Hintertürchen offen: Man werde die Absprachen einhalten - "so lange die Gespräche fruchtbar voranschreiten".
Das alte Spiel. Schon oft hatten die USA in diesem diplomatischen Dauerstreit Fortschritte errungen, nur um dann von Pjöngjang düpiert zu werden. Weshalb auch die Aussicht auf einen Neustart der Sechs-Parteien-Gespräche (Nordkorea, Südkorea, China, USA, Russland, Japan) in Washington kaum Jubel auslöst: Die letzten Gespräche hatten sich fünf Jahre dahingequält, bis Pjöngjang sie 2008 platzen ließ und sich jeder Aufsicht entzog.
Zumindest aber profitieren beide Seiten kurzfristig von der Entwicklung. US-Präsident Barack Obama verspricht sich in einem harten Wahljahr etwas Entlastung an der Atomfront, die dieser Tage von dem unberechenbaren Konflikt zwischen Iran und Israel beherrscht wird. Kim verspricht sich die Konsolidierung seiner intern noch wackligen Machtposition.
Pjöngjang sendet widersprüchliche Signale
Der Diktator kann die Lebensmittelhilfen als Bonus verbuchen: Nach Jahren des Hungers könnten die 240.000 Tonnen Hilfsgüter die Lage im Land erheblich verbessern. "Das hilft ihm, sich vor seinen Leuten als ein Führer zu beweisen, der mit den Amerikanern umgehen kann", sagte Kim Yong Hyun, Analyst an der Dongguk University in Seoul, der "New York Times".
Sofern die Nahrung natürlich die richtigen, notleidenden Adressaten erreicht und nicht in korrupten Regierungskanälen versandet. Deshalb sollen die neuen Lieferungen nicht aus Reis und Korn bestehen, die leicht umgeleitet werden können, sondern aus Nährstoffmitteln.
Zweifel an Nordkorea sind aber auch anderweitig angebracht. Noch vorige Woche hatte sich Pjöngjang martialisch aufgeplustert: "Wir haben kriegerische Mittel, die mächtiger sind als die US-Atomwaffen", erklärte sein Verteidigungsausschuss NDC. Anlass des Ausfalls war ein Manöver von Amerikanern und Südkoreanern, das Nordkorea als "Kriegshysterie" verurteilte.
Zugleich gab es aber auch ganz offensichtliche Zeichen der Entspannung. Am Dienstag dockte ein US-Marineschiff im Hafen von Pjöngjang an. Nach einer Vereinbarung soll es bei der Suche nach den sterblichen Überresten von rund 5500 vermissten US-Soldaten aus dem Koreakrieg mithelfen.
Viele "mixed messages" also, die die Experten in den USA weiter rätseln lassen. Nordkorea ist und bleibt ein undurchsichtiger Gesprächspartner.