
Spenden für Notre-Dame Dafür ist Geld da


Kathedrale Notre-Dame in Paris nach dem Brand
Foto: Stephane de Sakutin / AFPWer noch etwas werden will, muss ganz vorne dabei sein. Die Feuerwehr kämpfte noch gegen die Flammen, da erkannte Friedrich Merz bereits das politische Potenzial der Brandkatastrophe von Notre-Dame: "Wir sollten eine Bürgerinitiative ins Leben rufen, die im ganzen Land Spenden sammelt für den Wiederaufbau dieses überragenden europäischen Kulturguts", twitterte der aufstiegsorientierte CDU-Mann am Abend des Brandes von Notre-Dame.
Da kann man nur sagen: Respekt. So macht man das. Die aktuelle Krise aufgreifen und mit eigenem Engagement verknüpfen, damit jeder weiß: Der schaut nicht nur zu, wenn's brennt. Der tut etwas.
Merz war freilich nicht der einzige. Angesichts der unerträglichen Bilder des leidenden Gebäudes rollte eine überwältigende Welle der Hilfsbereitschaft an, die bis heute nicht abgeebbt ist. Sagenhafte 900 Millionen Euro sollen mittlerweile für den Wiederaufbau zusammengekommen sein, vielleicht schon eine ganze Milliarde. Allein 500 Millionen wollen die französischen Unternehmerfamilien Arnault (Moët, Hennessy, Louis Vuitton), Pinault (Gucci, Yves Saint Laurent, Balenciaga) und Bettencourt-Meyers (L'Oréal) geben, der Mineralölkonzern Total legt noch weitere 100 Millionen drauf. Unfassbar viel Geld.
Es sind dieselben Leute, die sonst über zu hohe Steuern schimpfen, die nun für Notre-Dame gar nicht genug Geld loswerden können. Woher kommt diese plötzliche Großzügigkeit? Die Antwort gibt ein schönes französisches Wort: Prestige.
Wer für Notre-Dame spendet, verewigt sich in der französischen Geschichte. Frankreich ist ein Zentralstaat, Paris sein Zentrum, und Notre-Dame das Zentrum dieses Zentrums. Auf dem Platz vor der Kathedrale ist der französische "Kilometer null" eingelassen, alle Wege starten hier und führen hierhin. Nirgends bietet sich eine so gute Geldanlage für Menschen, denen es darum geht, dass ihr Name unsterblich wird. Und darum, per Spendenquittung Steuern zu sparen.
Selbstverständlich ist es richtig, die Kathedrale wieder aufzubauen. Sie ist mehr als ein altes Gebäude, ihre Bedeutung als nationales und europäisches Denkmal, als Ort der Kultur und Religion ist kaum zu überschätzen. Man muss kein Champagner-Unternehmer, kein Franzose und kein Christ sein, um das zu begreifen. Es ist deshalb eine gute Nachricht, dass der französische Kulturminister Franck Riester die Kathedrale als "fast gerettet" bezeichnet.
Gleichzeitig ist jedoch der Zorn derer nachvollziehbar, denen stets gesagt wird, man würde ja gern auch etwas für sie tun, aber leider sei dafür nicht genügend Geld vorhanden. "Notre-Dame braucht ein Dach. Wir auch" - mit dieser Forderung protestierten Mitglieder einer Obdachlosenorganisation in der Nähe der ausgebrannten Kathedrale.
Auch die profund unzufriedenen Gelbwesten hat das Geld für Notre-Dame noch wütender gemacht, über Ostern kam es wieder zu teilweise gewalttätigen Demonstrationen. Ironischerweise wollte sie der französische Präsident Emmanuel Macron just am Abend des Brandes mit umfangreichen Zugeständnissen besänftigen: mit Steuererleichterungen und Rentenerhöhungen. Seine Rede fiel aus, weil die ganze Welt gebannt auf die Flammen starrte.
Warum nicht die Eitelkeit bedienen, wenn sie die Zahlungsbereitschaft erhöht?
Diese Verschiebung könnte sich als Chance erweisen. Bis gerade eben noch wären Macrons Geschenke an die Gelbwesten eine Sünde an der kommenden Generation gewesen, denn selbstverständlich hätte die dafür aufkommen müssen, dass die heutigen Wutbürger weniger Steuern bezahlen und mehr Rente erhalten. Nach dem Brand der Kathedrale und der anschließenden Spendenrallye jedoch lässt sich nicht mehr verleugnen: Geld für die gute Sache ist vorhanden, hier, heute und offenbar im Überfluss.
Selbstverständlich könnte Notre-Dame aufgebaut und den Obdachlosen geholfen werden, um nur eine Gruppe herauszugreifen, die Hilfe benötigt. Macron müsste nur bei jenen anklopfen, deren Schatullen gerade sowieso weit offen stehen.
Vielleicht sollte man den Superreichen anbieten, sie im Gegenzug in der wieder aufgebauten Kathedrale zu verewigen. Warum nicht die Eitelkeit bedienen, wenn sie die Zahlungsbereitschaft erhöht? Wenn ein Tourist in hundert Jahren dann fragt, wer das denn sei, der da mit mildem Lächeln und von güldenem Schein umstrahlt vom Glasfenster grüßt, dem sagt der Führer: "Das ist Arnault, ein Heiliger von Notre-Dame."
Welch ein Prestige, unbezahlbar.