NSA-Skandal Europa sagt Amerikas Datenklau den Kampf an

Swift-Zentrale bei Brüssel: NSA zapft auf mehreren Ebenen an
Foto: CHRISTIAN WEIDEMANN/ APDie jüngsten SPIEGEL-Enthüllungen über das Ausmaß der Abschöpfung von EU-Bankdaten durch den US-Geheimdienst NSA sorgen für Empörung innerhalb der EU. "Da nun feststeht, was bislang nur vermutet wurde, müssen wir laut und deutlich protestieren", sagt Jan Philipp Albrecht, Justizexperte der Grünen im Europaparlament, zu SPIEGEL ONLINE. Er fordert die Aussetzung des Swift-Datenschutzabkommens, das die Übermittlung ausgewählter Bankdaten von EU-Bürgern an amerikanische Terrorfahnder regelt. Schließlich gehe es um massive und andauernde Grundrechtsverletzungen, so Albrecht.
Wie aus Unterlagen aus dem Archiv von Edward Snowden hervorgeht, die der SPIEGEL einsehen konnte, überwacht der Militärgeheimdienst NSA weite Teile des internationalen Zahlungsverkehrs sowie Banken und Kreditkartentransaktionen. Danach ist ein NSA-Zweig namens "Follow the Money" für das Ausspähen von Finanzdaten zuständig. Die dort gewonnenen Informationen fließen in eine NSA-eigene Finanzdatenbank namens Tracfin. 2011 enthielt sie 180 Millionen Datensätze. Beim Gros der Daten, 84 Prozent, handelte es sich um Kreditkartendaten.
In der NSA-Datenbank Tracfin landen aber auch Daten der in Brüssel beheimateten Genossenschaft Swift, über die Tausende Banken ihren internationalen Zahlungsverkehr abwickeln und die von der NSA als "Ziel" definiert wird. Wie aus neuen Dokumenten hervorgeht, zapft die NSA das Swift-Netzwerk gleich auf mehreren Ebenen an - unter anderem ist daran die NSA-Abteilung für "maßgeschneiderte Operationen" beteiligt. Einer der Zugangswege zu den Swift-Informationen besteht den Dokumenten zufolge darin, den "Swift-Druckerverkehr zahlreicher Banken" auszulesen.
"Washington soll klipp und klar Stellung beziehen"
Auch der Präsident des Europäischen Parlaments Martin Schulz (SPD) fordert daher im Gespräch mit SPIEGEL ONLINE Konsequenzen. "Die Datenschutzrichtlinie der Europäer muss klarer Maßstab auch im Umgang mit den Amerikanern sein." Zwar bringe es nichts, das Swift-Abkommen aufzukündigen, wenn man keine klare Alternative für den wichtigen Bankenverkehr parat habe. Doch die US-Regierung müsse ihrer zugesagten Auskunftspflicht nachkommen, so Schulz. Ähnlich äußerte sich Manfred Weber, CSU-Innenexperte im Europäischen Parlament. "Washington soll klipp und klar Stellung beziehen." Zudem müsse man den Verbraucherschutz in den Blickpunkt stellen, dies hinterlasse bei den Amerikanern Eindruck. "Dann werden Unternehmen und Politiker in Amerika hellhörig", hat Weber bei Gesprächen zu dem Thema in der US-Hauptstadt festgestellt.
Die Reaktionen sind auch so heftig, weil die EU-Parlamentarier bei den Verhandlungen zum Swift-Abkommen einst ihre Macht bewiesen. Sie lehnten die Vereinbarung Anfang 2010 zunächst ab, bevor sie auf massiven Druck Washingtons doch zustande kam, jedoch nur unter strengen Datenschutzauflagen.
Doch deren Einhaltung ist schwierig. EU-Innenkommissarin Cecilia Malmström hat nach langem Schweigen zwar mittlerweile eine Stellungnahme vom US-Innenministerium verlangt. Vertretern von Sozialdemokraten, Liberalen, Grünen und Linken im Europaparlament reicht das jedoch nicht. Sie fordern zumindest eine Aussetzung des Vertrags zwischen EU und USA. "Die Amerikaner brechen offensichtlich in die Systeme ein. Wir werden an der Nase herumgeführt und unkontrolliert ausspioniert", sagte die liberale EU-Parlamentarierin Sophie in 't Veld. Das Aus der Datenschutzvereinbarung wäre eine Premiere im transatlantischen Verhältnis. Sie ist zudem nicht sehr wahrscheinlich, denn neben einer Mehrheit im Parlament wäre dafür auch die Zustimmung des Rates der EU-Mitgliedstaaten nötig, der vor einer solchen Attacke gegen Washington wohl zurückschrecken würde.
Die USA wollen lediglich früh vor finanziellen Krisen warnen
"Doch wir Parlamentarier müssen endlich Farbe bekennen", sagt Grünen-Politiker Albrecht. "Seit 14 Wochen sind die NSA-Enthüllungen bekannt, aber immer noch ist keine echte Aufarbeitung bei EU-Regierungen oder den Amerikanern zu erkennen".
Tatsächlich beteuert US-Geheimdienstkoordinator James Clapper laut "Washington Post", die Behörden speichere diese Informationen lediglich, "um die Vereinigten Staaten und alle unsere Verbündeten früh vor finanziellen Krisen warnen zu können, die sich negativ auf die weltweite Wirtschaft auswirken könnten".
Jedoch toben selbst in den USA mittlerweile lebhafte Debatten über die Grenzen des Überwachungsstaats. So sagte der ehemalige US-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld, sonst stets ein Hardliner im Kampf gegen den Terror, dem SPIEGEL zu den NSA-Spähprogrammen: "Auch hier in den USA sind viele Republikaner und Demokraten darüber besorgt. Und sollten sie das sein? Aber natürlich sollten sie das! Niemand möchte, dass alles, was er tut, sagt oder online treibt, überwacht wird."