
S.P.O.N. - Der Schwarze Kanal Hysterie in der Nacktsauna

Okay, ich bin vielleicht derzeit nicht in der glücklichsten Position, um den NSA-Abhörskandal zu kommentieren. Vor zehn Tagen bin ich mit meinem Sohn in die USA gereist, in ein Ferienhaus an der Ostküste. "Finde als Patriot: Amerika geht nicht mehr", schrieb mir am Montag ein Kollege per SMS. Ich kann zu meiner Entschuldigung nur sagen, dass bei Reiseantritt das Ausmaß des Skandals noch nicht absehbar war.
Man muss sich inzwischen wirklich fürchten. Wenn ich es richtig verstanden habe, sind die Amerikaner auf dem besten Weg, in Europa einen Super-Überwachungsstaat zu errichten, mit Obama als schwarzem Daten-Stalin. Oder war es Obama als eine Über-Big-Brother? Egal, die Empörung eint alle guten Deutschen, und Sigmar Gabriel fordert bereits Ermittlungen gegen den NSA-Chef.
Es ist schwer, in Amerika an verlässliche Informationen zu kommen. Jeden Tag schlage ich die "New York Times" auf, um Näheres zu erfahren. Aber der größte Abhörskandal der Weltgeschichte kommt in dem führenden Blatt der linksliberalen Weltelite nur am Rande vor. Am Dienstag gab es ausnahmsweise mal ein Stück über die Aufregung nach den Enthüllungen über die Wanzen in der EU-Vertretung in Washington. Aber auch das erst auf Seite vier, hinter Syrien, Ägypten und der laxen Kreditvergabe der chinesischen Banken. Selbst Wimbledon war der "New York Times" wichtiger als die millionenhafte Verletzung von Bürgerrechten durch die US-Nachrichtendienste.
Unser Konzept von Privatsphäre
Es ist schwer, den Leuten hier die deutsche Sicht näherzubringen. Versuchen Sie mal einem Amerikaner zu erklären, weshalb wir nichts dabei finden, uns mit anderen nackt in die Sauna zu setzen, aber unser Haus verpixeln lassen, wenn der Google-Wagen vorbeigerollt ist. Ich habe mein Bestes gegeben, doch lassen Sie es mich so sagen: Unser Konzept von Privatsphäre leuchtet nicht jedem im Ausland auf Anhieb ein.
Wie ich festgestellt habe, ist Amerikanern auch nur schwer beizubringen, warum die Deutschen schon Einjährige am liebsten dem Staat anvertrauen, aber um Himmels willen ihre Daten vor ihm geheim halten wollen. Die Amerikaner haben sich damit abgefunden, dass man nicht ohne staatliche Institutionen auskommt, wenn es um die innere und äußere Sicherheit geht - ansonsten regeln sie ihre Dinge lieber allein. Wir haben uns aus irgendeinem Grund für das Gegenteil entschieden: Wir delegieren alles an den Staat, was wir gut auch selber erledigen könnten, aber misstrauen ihm ausgerechnet da, wo Selbsthilfe nicht weiterführt.
Das Problem mit dem Abhören ist, dass nie ganz klar wird, wovor genau wir uns eigentlich fürchten sollen. Die Gefahr ist eher abstrakt, was sie nur noch bedrohlicher macht. Wahrscheinlich muss man in unsere Vergangenheit gucken, um die deutsche Empfindlichkeit beim Datenschutz zu verstehen. Ein Land, das zwei Diktaturen durchgemacht hat, ist aus gutem Grund sensibler, was die Gefahren totaler Kontrolle angeht. Wir wissen ja, wie das geht: Wenn die demokratische Maske fällt und in uns allen wieder Hans und Sophie Scholl erwachen, ist es besser, die dunklen Mächte haben von uns kein Bewegungsprofil.
Amerikas Dienste sind unser Ohr in die Welt
Die traurige Wahrheit ist, dass die Deutschen von den Spähprogrammen derzeit erheblich profitieren. Leider ist die Bundesrepublik auf der Weltkarte der Islamisten alles andere als ein weißer Fleck. Die allermeisten Informationen über deren Umtriebe stammen von den Diensten, über die wir nun so empört sind. Sie sind auch für uns das Ohr und Auge in diese Welt.
Bislang haben die Deutschen darauf setzen können, dass die anderen mit Hinweisen aushalfen, wenn es ernst zu werden drohte, aber das wird nicht ewig so weitergehen. Auch im Überwachungsgeschäft gibt es nichts umsonst. Der Bundesnachrichtendienst würde deshalb gerne die Internetüberwachung verstärken. Wie die Dinge im Augenblick stehen, verzichten wir in Zukunft lieber auf geheimdienstliche Mittel zur Abwehr vor Anschlägen, als uns den Vorwurf an den Hals zu holen, wir hätten die Bürgerrechte missachtet.
Nach der Atomwende träumen die ersten jetzt von der Datenwende. Die Grünen sprechen bereits von der "Kernschmelze des Rechtsstaats", womit die Richtung klar ist. Man sollte diesmal vielleicht nur so ehrlich sein, den Bürgern rechtzeitig die Kosten zu nennen. Wenn demnächst in Hamburg oder Frankfurt eine Kofferbombe explodiert, weil wir zu spät die Verbindungsdaten der Täter gesichtet haben, wäre es schön, wenn die Justizministerin den Mut fände, den Leuten zu erklären, dass solche Anschläge nun einmal der Preis sind für das informationelle Selbstbestimmungsrecht, auf das wir im Augenblick so große Stücke halten.
Zur Strafe EU-Diplomaten abhören
Ein Rätsel bleiben auch am Ende dieser Woche die Wanzen in der EU-Botschaft. Was haben die Amerikaner von dieser Lauschaktion erwartet? Dass sie vor allen anderen erfahren, warum die Gurke nicht mehr krumm sein darf oder das Olivenölkännchen im Restaurant vom Tisch muss?
Es gibt nur eine Erklärung: Vermutlich unterhält auch die NSA eine Art Strafkompanie. Wer etwas ausgefressen hat, muss stundenlang den Gesprächen der EU-Diplomaten zuhören. Aber auch diese Menschenrechtsverletzung wird ja nun zum Glück abgestellt.