Nusra-Front in Syrien Dschihadisten auf PR-Tour

Im Duell der islamistischen Terrororganisationen in Syrien versucht die Nusra-Front mit einer PR-Offensive Anhänger zu gewinnen. In einem Interview mit Al Jazeera gibt sich der Chef der Dschihadisten als gemäßigte Alternative zum IS.
"Emir" der Nusra-Front im Interview: Golani wurde behandelt wie ein Staatsoberhaupt

"Emir" der Nusra-Front im Interview: Golani wurde behandelt wie ein Staatsoberhaupt

Foto: Al-Jazeera

Der Terrorchef bekam ein Podium wie sonst nur Präsidenten und ranghohe Politiker: Eine Stunde lang interviewte der Al-Jazeera-Moderator Ahmed Mansour am Mittwochabend zur besten Sendezeit den Anführer der Nusra-Front, einer Dschihadistenmiliz in Syrien, die von USA, EU und Uno als Terrororganisation eingestuft wird.

Mansour redete seinen Gegenüber als Emir an - ganz so, als handele es sich um ein Staatsoberhaupt. Der Mann, der sich Abu Mohammed al-Golani nennt, verbarg sein Gesicht hinter einem schwarzen Tuch, niemand soll wissen, wie der selbsternannte Emir der Nusra-Front aussieht.

Golani empfing den Journalisten in einem prunkvollen Raum, mutmaßlich in Idlib, einer nordsyrischen Großstadt, die vor einigen Wochen von den Islamisten erobert wurde. Golani und Mansour nahmen auf thronartigen Stühlen Platz, auf denen einst der Gouverneur der Provinz seine Gäste platziert hatte.

"Wir sind keine Mörder"

Der Terrorchef wollte sich in dem Gespräch als Dschihadist mit menschlichem Antlitz präsentieren. Ja, die Nusra-Front betrachte Alawiten, Drusen, Schiiten und andere muslimische Minderheiten zwar als Häretiker, die vom wahren Islam abgefallen seien. Dies bedeute jedoch nicht, dass man sie rücksichtslos verfolge, wie es die mit der Nusra-Front verfeindete Terrororganisation "Islamischer Staat" (IS) tut.

"Unser Glaube beruht auf Gnade und unseren edlen Traditionen", dozierte Golani. "Wir sind keine Mörder. Wir werden ihnen nichts tun und sie nicht angreifen." Gleichwohl werde die Nusra-Front sich an jenen rächen, die sunnitische Dörfer angriffen und ihre Bewohner töteten.

Das Al-Jazeera-Interview ist nur die jüngste Episode in einer breitangelegten PR-Offensive der Nusra-Front. Die mit al-Qaida verbündete Miliz versucht seit Wochen, sich als eine gemäßigte dschihadistische Alternative zum IS zu präsentieren.

Zunächst schloss sich die Nusra-Front im März mit Teilen der syrischen Muslimbrüder sowie kleineren salafistischen Milizen und Einheiten der "Freien Syrischen Armee" zur "Jaish al-Fatah" zusammen, der "Armee der Eroberung". Der Name klingt neutral und soll den islamistischen Eifer der Kämpfer verbergen. Die Nusra-Front bildet aber die stärkste und am besten ausgerüstete Fraktion innerhalb dieses Zusammenschlusses.

Schon bald nach ihrer Gründung feierte die Armee militärische Erfolge im Nordwesten Syriens. Erst eroberte sie die Provinzhauptstadt Idlib, dann den Ort Jisr al-Shughur an der türkischen Grenze. Nächstes Ziel soll Aleppo sein, vor dem Krieg das wirtschaftliche Zentrum Nordsyriens, in dem Muslime und Christen friedlich zusammenlebten. Das ist längst vorbei, Hunderttausende Einwohner sind seit 2012 aus der Millionenstadt geflohen, die militärisch zwischen Regierungstruppen und Aufständischen geteilt ist.

Anfangs hatte die Nusra-Front versucht, in den eroberten Gebieten ein streng islamisches Regime zu errichten, ähnlich dem des IS: Frauen sollten wenn überhaupt nur mit Gesichtsschleier das Haus verlassen, Männer auf Haargel verzichten und den Bart wachsen lassen. Imame, die sich dem widersetzten, wurden verfolgt.

Nusra-Kämpfer töten Zivilisten

Nun hat die Nusra-Front ihre Taktik geändert: Das Rauchverbot in den von ihr kontrollierten Gebieten wurde gelockert, die Miliz bestraft öffentlich eigene Kämpfer, die Anwohner bedrängen. Die Dschihadisten beteiligen sogar andere Milizen an der Regierung von Städten und Dörfern.

Der Kurswechsel ist offenbar auf Anweisung aus Katar und Saudi-Arabien erfolgt. Die beiden Golfmonarchien gelten als wichtigste Unterstützer der Nusra-Front. Finanzspritzen und diskrete Waffenlieferungen von der arabischen Halbinseln haben maßgeblich dazu beigetragen, dass die Dschihadisten in den vergangenen Monaten im Nordwesten Syriens ihren Herrschaftsbereich ausgeweitet haben.

Deshalb ist es auch kein Zufall, dass Al Jazeera Golani diese große Bühne geboten hat. Der Nachrichtensender wird von Katars Herrscherhaus finanziert und sorgt dafür, dass so über die Nusra-Front berichtet wird, wie es deren Unterstützern gefällt. Als strenge, aber gerechte islamische Kämpfer, die Syrien vom Assad-Regime befreien wollen. Dazu gehört auch Golanis Beteuerung, dass die Nusra-Front sich auf den Kampf in Syrien konzentriere und derzeit keine Terroranschläge gegen den Westen plane.

Was die Al-Jazeera-Zuschauer nicht erfahren: In den vergangenen Wochen hat die Nusra-Front in ihrem Herrschaftsbereich nach Zählung von Menschenrechtsaktivisten knapp 300 Zivilisten getötet - weil sie angeblich den Islam beleidigt oder mit dem Regime kollaboriert haben sollen. Von knapp 50 Menschen fehlt jede Spur.


Zusammengefasst: Der Anführer der Nusra-Front in Syrien hat dem TV-Sender Al Jazeera ein Interview gegeben. Die Dschihadistenmiliz will sich mit einer PR-Offensive als gemäßigte Alternative zum "Islamischen Staat" präsentieren. Das kann jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Nusra-Front eine Terrororganisation ist, die Minderheitenrechte missachtet und rücksichtslos gegen ihre Gegner vorgeht.

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