Obama und Mubarak "Mister Change" hat Angst vor dem Umsturz

US-Präsident Obama: In der Ägypten-Frage zwischen Realismus und Idealismus
Foto: Evan Vucci/ APDer Realpolitiker ist als Außenpolitiker meist fein raus. Schließlich rühmt sich der Realist, die wahren Interessen der Nationen so kühl zu bewerten, wie sie halt seien. Die Anhänger dieser Denkschule scheinen schon per Begriff die Vernunft gepachtet zu haben.
Der Idealist hat einen schwereren Stand, leicht gilt er als blauäugig und naiv, als ein Träumer gar.
Noch schwerer aber tut sich ein Realist, den viele für einen Idealisten halten. Präsident Barack Obama fällt immer mehr in diese Gruppe. Nach seiner Wahl hofften weite Teile der Welt auf eine moralische, eine idealistische Wende der US-Außenpolitik. Das Nobelpreiskomitee in Oslo drängte dem Demokraten seinen Friedenspreis fast vorsorglich auf.
Obama nährte diesen Eindruck: Er berief in seine Regierung hochrangige Mitarbeiter wie Samantha Power, eine junge Harvard-Professorin, die zuvor über ethische Dilemmata der US-Außenpolitik forschte.
Ein wenig ist von dieser Aufbruchstimmung des Wahlkampfs noch zu spüren, wenn Demonstranten in Kairo Schilder hochhalten, auf denen steht: "Yes, we can, too."
Doch jeder amerikanische Präsident muss auch ein Realist bleiben, selbst Obama. Vielleicht wird das nie schmerzhafter deutlich als am Dienstag, dem Tag des Millionenmarsches in Kairo und der ersten öffentlichen Rede von Ägyptens Präsident Husni Mubarak seit Beginn der Proteste.
Obama musste sich gewunden zur Zukunft Mubaraks äußern, der in seiner Ansprache auf eine weitere Amtszeit verzichtete, einen schnellen Rücktritt jedoch ablehnte.
Zuerst hatte Obama eine halbe Stunde mit dem verhassten Herrscher telefoniert. Nun sagt der Präsident im Grand Foyer des Weißen Hauses in sorgfältig konstruierten Sätzen, es müsse in Ägypten einen "geordneten Übergang geben", faire und freie Wahlen, der Status quo sei keine Lösung.
Aber dass Mubarak sofort gehen soll, das fordert Obama immer noch nicht eindeutig - selbst nicht, als ein Reporter eigens nachfragt.
"Mr. Change" droht plötzlich, auf der anderen Seite zu stehen. Bei der Fraktion, der Wandel eher suspekt ist.
Verneigung vor den Öl-Despoten
Das wird den Politiker Obama schmerzen. Wirklich überraschen kann diese Entwicklung aber nicht, sie ist bloß Höhepunkt der Metamorphose eines Politmessias in einen Realpolitiker.
Auch Obama verneigte sich als Präsident rasch vor den Öl-Despoten aus Saudi-Arabien. Auch er beließ den Autokraten in Tunesien, Jordanien oder eben Ägypten ihre Gefängniskammern und Auslandskonten, alles im Sinne der Stabilität in der Region.

Ägypten: Showdown in Kairo
Offene Anfeuerung für die Grüne Revolution im Iran verkniff er sich 2009. Menschenrechte und Demokratie, diese Worte nimmt der Friedensnobelpreisträger Obama ohnehin eher zögerlich in den Mund.
Natürlich liegt das mit an seinem schwierigen Erbe: Solche Begriffe sind in weiten Teilen der Welt fast schmutzige Wörter geworden, nachdem Vorgänger George W. Bush sie zu PR-Waffen seiner "Freedom Agenda" machte - und etwa im Irak per Panzer durchsetzen wollte, mit bekannt verheerenden Folgen.
Condoleezza Rice, Bushs Außenministerin, hielt 2005 noch eine Rede in Kairo, in der sie Ägypten seine Versäumnisse vorhielt. Mubarak tobte.
Als Obama an gleicher Stätte vier Jahre später die islamische Welt ansprach, erwähnte er die Schwächen in Kairo höchstens am Rande. Jedes Land müsse seinen eigenen Weg zur Demokratie finden, schien er Mubarak fast versöhnlich zuzurufen.
In Obamas Weißem Haus hört man nun eher auf Stimmen wie die des ehemaligen Nationalen Sicherheitsberaters Brent Scowcroft, einer Ikone des Realismus. Als Bush-Frau Rice diesen vorhielt, über Jahrzehnte habe Amerika Diktatoren in der Region gepäppelt, das müsse endlich aufhören, lächelte der weise alte Scowcroft nur listig: Dafür habe man dort ja die ganzen Jahrzehnte Frieden gehabt.
Obama blickt mittlerweile ähnlich pragmatisch auf die Welt, das bringt sein Amt mit sich. Und mit Blick auf Kairo kann man ihm eine solche Sicht schwer verübeln.
So begeisternd die Bilder von dort sind, so unappetitlich es scheint, dass die Amerikaner mit ihrer 1,5-Milliarden-Dollar-Geldspritze pro Jahr eine Diktatur und Ägyptens Militär päppelten - so unbestreitbar ist auch, dass die USA im Gegenzug ihre strategischen Interessen bei Mubarak gut aufgehoben sahen.
Der Ewig-Diktator schloss Frieden mit Israel, er vermittelte im Nahost-Friedensprozess. Die Amerikaner sahen ihn als Bollwerk gegen den Aufstieg der Muslimbruderschaft, als Garanten, dass das Tanker-Nadelöhr Suezkanal offen bleibt.
Gibt es Ersatz für Mubarak?
Mubarak war für Washington "the devil we know", der Teufel, den wir kennen, wie es in der "New York Times" heißt - niemand in der US-Hauptstadt kennt hingegen wirklich die Führer, die ihm folgen könnten.
Mohamed ElBaradei, Ex-Chef der Wiener Atomenergiebehörde und selbst ein Friedensnobelpreisträger? Er hat Obamas Zögern, Mubarak fallen zu lassen, schon wütend eine "Farce" genannt, in den Bush-Jahren legte er sich besonders gerne mit den Amerikanern an.
Die Anhänger der Muslimbruderschaft, die vielleicht nicht ganz so radikal sind? Ihnen misstraut Washington zutiefst, und erst recht tut es Israel. Haben sie sich wirklich von al-Qaida losgesagt?
Und überhaupt: Welche Auswirkungen hätte eine neue Machtkonstellation auf die angrenzenden Länder? Droht weitere Instabilität? Am Dienstag entließ Jordaniens König Abdullah II. bereits vorsorglich seine Regierung.
Für Washingtoner Strategen ist so viel Umbruch fast ein Alptraum - und Obamas Team, "von den Ereignissen fast komplett überrascht" (Politico), wirkt derzeit eher getrieben als treibend.
Richard Cohen, Kolumnist der "Washington Post", schreibt: "Der Traum von einem demokratischen Ägypten wird in einem Alptraum enden. Amerika muss auf der Seite der Menschenrechte stehen. Aber es muss auch auf der richtigen Seite der Geschichte stehen."
Vielleicht, so fürchtet Cohen, stimmten die beiden Ziele diesmal einfach nicht überein.