Antrittsrede des US-Präsidenten Der neue Obama
Die schöne politische Rede strotzt im Allgemeinen vor Pathos, Gott und Gedöns. Hört sich prima an, ist aber schnell vergessen. Fast-Food-Rhetorik für die Massen.
Die gute politische Rede dagegen verknüpft Pathos und Realität, sie wird konkret. Diese Rede stellt Dinge in einen Zusammenhang und hat das Potential, die Massen zu beeinflussen.
Barack Obama hat anlässlich seiner zweiten Amtseinführung solch eine gute Rede gehalten (das Minutenprotokoll der gesamten Feier finden Sie hier). Er hat einerseits das amerikanische Versprechen von der Gleichheit aller Menschen beschworen: gleiche Rechte für alle. Und andererseits konkret gemacht, dass dessen Umsetzung eine "nie endende Reise ist". Die Freiheit sei ein Geschenk Gottes, sagt der Christ Obama; aber sie müsse eben von den Menschen gesichert werden, ergänzt der Politiker Obama.
Ansage zur zweiten Amtszeit
Und dann macht der Präsident das, was viele seiner Anhänger seit vier Jahren stets von ihm gefordert haben: Er macht eine Ansage. Statt wolkigem Blabla legt Obama an diesem Montag seine Agenda für die zweite Amtszeit vor - als sei die festliche Inaugurationsrede seine Regierungserklärung. Zugleich bedeutet dies: Barack Obama macht den Republikanern zu Beginn seiner zweiten Amtszeit eine Kampfansage.

Amtseinführung des US-Präsidenten: Obamas zweite große Party
Ewiger Schuldenstreit, veraltetes Einwanderungsrecht, lasche Waffengesetze, fortwährende Diskriminierung, Klimawandel - dies sind die Probleme Amerikas, die Obama zu lösen gedenkt in den kommenden vier Jahren. Es sind große Probleme, vor allem hat der Mann eine Parlamentsmehrheit gegen sich, die zudem von Radikalkonservativen unterwandert ist. Deshalb braucht Obama die Leute da draußen, die ihm auf Washingtons rot-weiß-blau geschmückter Mall zu Hunderttausenden und daheim vor den Fernsehern zu Millionen zuhören. Denen ruft er zu: "Ihr und ich, wir als Bürger haben die Macht, den Kurs dieses Landes zu bestimmen."
Dann bricht er all die komplexen Probleme auf einen Begriff herunter: den von der Gleichheit.
- Schärfere Waffengesetze: ermöglichten allen Kindern ein sichereres Leben, "von den Straßen Detroits bis zu den ruhigen Gassen Newtowns", sagt Obama in Anspielung auf das jüngste Massaker in Connecticut.
- Neues Einwanderungsrecht: Gleiche Chancen für alle, "strebsame, hoffnungsvolle Immigranten" sähen die USA schließlich noch immer als Land der Möglichkeiten; kluge zugewanderte Studenten sollten mitarbeiten dürfen, statt aus dem Land vertrieben zu werden.
- Maßnahmen gegen den Klimawandel: Gleiche Startbedingungen auch für die nächsten Generationen, "sonst würden wir unsere Kinder betrügen".
- Schulden abbauen und doch den Sozialstaat erhalten: Chancengleichheit für alle, denn soziale Programme "machen uns nicht zu einer Nation der Leistungsempfänger, sondern erlauben uns, Risiken in Kauf zu nehmen".
- Kampf für die Bürgerrechte: Die in der Unabhängigkeitserklärung verbürgte Gleichheit aller sei nicht erreicht, bevor nicht "unsere Ehefrauen, Mütter, Töchter" bei gleicher Arbeit genauso viel verdienten wie die Männer; bevor nicht "unsere homosexuellen Brüder und Schwestern vor dem Gesetz wie jeder andere auch" behandelt würden; bevor kein Bürger "mehr Stunden warten muss, bevor er wählen darf".

Obamas neues Kabinett: Wer macht was?
Will er das tatsächlich durchziehen, erwarten Obama harte vier Jahre. Einen Vorgeschmack darauf gibt schon während seiner Rede ein sehr entschlossener Gegner: Der Mann ist an der Südflanke des Kapitols frühmorgens auf einen Baum gestiegen und stört die gesamte Zeremonie mit beharrlichem Schreien: "Betet für ein Ende der Abtreibungen, Demokraten sind Baby-Killer!"
Seinen Amtseid schwört Obama auf gleich zwei Bibeln übereinander, die seine Frau Michelle hält: auf jener Abraham Lincolns, der die Sklaven befreite; und auf jener Martin Luther Kings, der für die Gleichheit aller Amerikaner kämpfte - und in dessen Andenken das Land just den 21. Januar, also den Tag dieser Inauguration, feiert. Kelly Clarkson ("American Idol") singt den patriotischen Song "My Country, 'Tis of Thee", den schon Martin Luther King in seiner berühmten I-have-a-Dream-Rede 1963 zitierte. Beyoncé singt die Hymne, ein Kinderchor gibt "America the Beautiful" und "God bless the USA".
"Das mischt sich mit Ernüchterung"
All das pumpt diesen 21. Januar 2013 für die Amerikaner mit Bedeutung auf. Die "New York Times" kommentiert: Obama habe klargemacht, "dass er die verbleibende Zeit im Amt nutzen will, um das Land in seine Richtung zu treiben". Der Präsident ist ein anderer geworden, keine Frage. Vermutlich härter, entschlossener. Er hat jetzt nichts mehr zu verlieren, keine Wahl mehr zu fürchten. Was er in seiner zweiten Amtszeit schafft - oder auch nicht - das wird am Ende in den Geschichtsbüchern stehen und sein Bild prägen.
An diesem sonnigen, aber kalten Montag sind längst nicht jene 1,8 Millionen Menschen gekommen, die der ersten Inauguration 2008 beiwohnten; da galt Obama schließlich noch als Polit-Messias. Und die wohl 900.000, mehrheitlich schwarzen Anhänger, die sich diesmal auf die Mall vorm Kapitol und die Paradestrecke zum Weißen Haus an der Pennsylvania Avenue verteilen, scheinen auch in einer anderen Stimmung gekommen zu sein. Da ist zum Beispiel Rita Taylor-Mallard. Die ältere Schwarze hat einen Sitzplatz in der ersten Reihe ergattert, ist eigens aus Indiana angereist und sitzt seit sieben Uhr morgens im dicken Wintermantel am Kapitol.
Ja, vor vier Jahren sei sie auch schon dabei gewesen, sagt Taylor-Mallard, ganz hinten auf der Mall. Diesmal habe sie eine "bessere Sicht", doch das sei nicht der einzige Unterschied: "Die Stimmung ist heute zwar auch wieder sehr aufgeregt und historisch, aber das mischt sich mit etwas Ernüchterung." Obama tue sein Bestes, habe aber immer wieder mit der republikanischen Blockade zu kämpfen. Das mache sie wütend, denn der Präsident sehe ihrem Sohn sehr ähnlich. Dann zeigt sie Fotos auf ihrem Smartphone: "Da bekomme ich richtige Muttergefühle."
Nebenan sitzen schon gleich die ersten Prominenten, Obamas Motto von der Gleichheit wird konkret. Vorne rechts gesichtet: Nick Cannon, Ehemann von Mariah Carey ("Wo ist Mariah?", rufen die Fans), die schwarzen Schauspielerinnen Alfre Woodard und Gabrielle Union; Popstar Ricky Martin, Gospelstar Yolanda Adams, TV-Talker Lawrence O'Donnell und Roland Martin sowie diverse Starlets der schwarzen Doku-Soap "Real Housewives of Atlanta". Der schwarze Baseball-Pionier Hank Aaron, inzwischen 78, hat mit seiner Familie eine eigene Reihe reserviert bekommen, trägt weiße Turnschuhe zum dunklen Anzug.
Man wartet und vertreibt sich die Zeit damit, die Fragen des Tages zu debattieren. Etwa: Wer war der bessere Volkspräsident, Obama oder Bill Clinton? "Clinton natürlich", sagt ein Mann. "Vor allem mit Monica Lewinsky." Der Skandal um Clintons Affäre mit der Praktikantin im Weißen Haus Ende der neunziger Jahre wirkt heute seltsam entrückt. Wie aufs Stichwort erscheinen ein paar Meter weiter oben Bill und Hillary Clinton, die scheidende Außenministerin. "Run, Hilary, run!", skandieren die Zuschauer - sie hoffen darauf, dass Clinton die demokratische Präsidentschaftskandidatin 2016 wird.
Doch das ist noch eine Weile hin. Und wenn Barack Obama es ernstgemeint hat mit seiner Rede, dann hat er bis dahin eine Menge zu tun.