Obamas Anti-Schulden-Kampf Countdown zur US-Staatspleite

Barack Obama: Der US-Präsident ringt um die Schuldengrenze - und um Vertrauen
Foto: KEVIN LAMARQUE/ REUTERSBarack Obama ist in den Presseraum des Weißen Hauses gekommen, er will nicht mehr über kleine Details reden, sondern über die große Zukunft des Landes. "Dies sind die Vereinigten Staaten von Amerika", verkündet er. "Wir regieren nicht in Dreimonatsabschnitten."
Es soll kategorisch klingen, wie es sich für einen US-Präsidenten geziemt. Eine umfassende Einigung statt kurzfristiger Aufschübe müsse her, so Obama am Montag, damit der amerikanische Kongress die Schuldenobergrenze anhebe. Derzeit drücken das Land Verbindlichkeiten von 14,3 Billionen Dollar, mehr als eigentlich erlaubt.
Beschließen die US-Abgeordneten bis Anfang August nicht dauerhaft eine weitere Anhebung dieser Grenze und geben grünes Licht für frische Kredite, kann Amerikas Regierung nicht mehr ihre Rechnungen bezahlen, zum ersten Mal in der Geschichte des Landes.
"Wirklich schlimme Folgen" hätte das für die Weltwirtschaft, klagte die neue Chefin des Internationalen Währungsfonds (IWF), Christine Lagarde. Vor einem "katastrophalen Schaden für Amerikas Wirtschaft", warnte Obamas Finanzminister Timothy Geithner im US-Fernsehen.
Und der Präsident legt nun selber nach: "Ich habe mich ungeheuer angestrengt, mit den Republikanern zusammenzuarbeiten. Wenn sie nicht wollen, dass die USA zahlungsunfähig werden, müssen sie Kompromisse eingehen."
Macht der Zahlen
Obama spricht direkt zum amerikanischen Volk, das ist seine größte Stärke als Präsident. Doch schon wenige Stunden nach der Pressekonferenz muss er wieder hinter verschlossenen Türen mit den Republikanern verhandeln. Und schon am Sonntagabend sah er dabei nicht gerade wie der mächtigste Mann der Welt aus.
Da waren einflussreiche Republikaner zum Treffen mit ihm im Weißen Haus erschienen, US-Journalisten durften für ein paar Sekunden zuschauen. Einer rief: "Mr. President, können Sie innerhalb von zehn Tagen eine Lösung finden?" Und Obama hatte keine "Yes, we can"-Rhetorik parat, er sagte schlicht: "Wir müssen."
Die Macht der Zahlen hat ihn schließlich fest im Griff. Denn mit jeder Anhebung der Schuldengrenze sollen billionenschwere Sparanstrengungen einhergehen.
Vier Billionen Dollar will Obama über die kommenden zehn Jahre einsparen. Eine Kommission unter Leitung von Vizepräsident Joe Biden hat schon zahlreiche Kürzungsvorschläge erarbeitet. Doch noch sind Hunderte Milliarden Dollar strittig. Die Republikaner könnten sich zwar mit Kürzungen anfreunden, aber auf keinen Fall mit mehr Staatseinnahmen durch höhere Steuern und auch nicht mit dem Stopfen von Steuerschlupflöchern, wie es Obamas Plan vorsieht.
Tabuthema Steuererhöhungen
Schon nach 75 Minuten trennte sich die Sonntagsrunde wieder, zu groß scheinen die Unterschiede. Und zu groß ist wohl der Druck, den beide politische Lager auf ihre Führer ausüben.
Obamas Demokraten wollen Einschnitte bei Medicare und Medicaid verhindern, den teuren Hilfsprogrammen für Alte und Arme, auch bei der Sozialversicherung. Dabei weiß jeder, dass Reformen notwendig sind, wenn die geburtenstarken US-Jahrgänge ins Alter kommen.
Auch Steuern müssten steigen, so gut wie immer, wenn US-Präsidenten die Staatsfinanzen sanieren wollten. Doch dieser Vorschlag ist auf konservativer Seite längst zum Tabuthema geworden. Mitch McConnell, der Sprecher der Republikaner im US-Senat, betonte auf Fox News: "Wir werden nicht mitten in dieser schrecklichen Wirtschaftslage Steuern erhöhen."
Viele Republikaner verteidigen sogar absurde Ausnahmeregelungen wie die niedrige Steuer für Hedgefonds-Milliardäre, die durch Tricks oft nur 15 Prozent auf ihre Einkünfte zahlen müssen, bisweilen weniger als ihre Sekretärinnen.
Der "Economist" notiert, dass die Republikaner selbst vor einigen Monaten einen Anteil von 85 Prozent Kürzungen und 15 Prozent Steuererhöhungen vorgeschlagen hätten - nun biete Obama 83 zu 17 an. Aber noch immer verweigerten sie sich: "Sie sollten sich schämen", analysiert das Magazin.
Doch brutaler Widerstand ist zum Markenzeichen vor allem frisch gewählter republikanischer Abgeordneter geworden, die der radikalen Tea-Party-Bewegung nahestehen. Präsidentschaftskandidatin Michelle Bachmann, die als Tea-Party-Liebling gilt, hat sich schon gegen die Anhebung der Schuldengrenze ausgesprochen.
Als der eher moderate republikanische Sprecher des Repräsentantenhauses, John Boehner, am Wochenende Kompromissbereitschaft in der Steuerfrage signalisierte, wurde er vom rechten Flügel prompt zurückgepfiffen. Es sei "verrückt gewesen", die Zugeständnisse überhaupt zu erwägen, schimpft ein Top-Republikaner anonym auf der Internetseite Politico. Schließlich seien die Republikaner die Anti-Steuer-Partei. Sogar einen Sturz Boehners wollen manche Parteifreunde nicht mehr ausschließen.
Der US-Bürger, ein launisches Wesen
Doch auch Obamas Spielraum ist begrenzt. "Niemand sollte glauben, dass die demokratischen Abgeordneten jede Einigung einfach blind abnicken", warnt Chris van Hollen, einflussreicher Demokrat, im "Wall Street Journal". 76 Prozent der Anhänger der linken Internetbewegung MoveOn.Org, die Obama mit ins Weiße Haus tragen half, wollen sich im Wahlkampf weniger für Obama engagieren, sollte er bei der Sozialversicherung kürzen.
Doch der braucht auch Wähler aus der Mitte. Ihnen will er sich als pragmatischer Haushaltssanierer präsentieren, wie einst Vorgänger Bill Clinton, gerade jetzt. Schließlich sind vorige Woche die neuen US-Arbeitsmarktzahlen eingetrudelt, sie bleiben für amerikanische Verhältnisse verheerend hoch. Aussichtsreiche republikanische Bewerber wie Mitt Romney, einst erfolgreicher Geschäftsmann, konzentrieren sich ganz auf die Lage am Arbeitsmarkt und werfen Obama Versagen in der Wirtschaftspolitik vor.
Daher müssen die Schuldenverhandlungen im Weißen Haus weitergehen, jeden Tag, bis eine Einigung da ist. "Es gibt keine Möglichkeit eines weiteren Aufschubs", sagte Finanzminister Geithner auf NBC.
Doch Obama verhandelt auch mit der amerikanischen Öffentlichkeit, die sich launisch gibt. In Umfragen hält eine Mehrheit der Amerikaner eine Erhöhung der Schuldenobergrenze nicht für notwendig. Gleichzeitig wollen sie aber auch keine neuen Steuern. Und die meisten US-Bürger mögen auch keine Kürzungen von Staatsleistungen - zumindest nicht, wenn es sie persönlich betrifft.