Obamas Europa-Kritik Amerika zweifelt an Miss Germany

Kanzlerin Merkel, Präsident Obama (Archivbild): "Die Weltwirtschaft wird weiter schwächeln"
Foto: POOL/ REUTERSEs war ein diplomatischer Affront: Der mächtigste Mann der Welt kritisierte das Krisenmanagement der Europäer - und traf sie damit ins Mark. Tatsächlich zielte Barack Obama vor allem auf die Deutschen. "Solange diese Krise nicht gelöst ist, wird die Weltwirtschaft weiter schwächeln", rüffelte er die Länder der Euro-Zone.
Gleichzeitig wurde bekannt, dass der US-Präsident seinen Finanzminister zum Treffen der EU-Kollegen nach Breslau entsenden wird. Reichlich ungewöhnlich. Nein, wiegelte das Weiße Haus rasch ab, es gebe "kein spezifisches Ziel" dieses Besuchs. Minister Timothy Geithner aber schrieb zugleich in einem Beitrag für die "Financial Times", Europa müsse "kraftvollere Maßnahmen ergreifen, um Vertrauen zu schaffen, dass es seine Krise überwinden kann und will".
Die Botschaft der US-Führung an die Europäer ist gesetzt: Rauft euch zusammen! Bringt endlich euren Laden in Ordnung, sonst erwischt es uns alle.
Wie sehr die Krise mittlerweile ein weltweites Problem ist, zeigte sich am Mittwoch: Selbstbewusst bot Chinas Premierminister Wen Jiabao dem Westen - Europäern wie Amerikanern - Finanzhilfe an. Die Funktionäre aus Peking machen sich Sorgen wegen der Schuldenberge, welche die Regierungen der USA und der Euro-Zone angehäuft haben.
Die Frage, die dahinter steht: Droht ein neuer Crash der Weltwirtschaft? Tatsächlich besteht diese Gefahr, warnen Ökonomen - und in dieser Situation will die US-Regierung nicht der Buhmann sein. Auch wenn die amerikanischen Staatsfinanzen keineswegs in besserem Zustand sind als die der meisten EU-Mitglieder.
Und so erwischte Obamas Kritik vor allem die deutsche Regierung, die im Zentrum der amerikanischen Aufmerksamkeit steht. Im Juni noch hatte Obama der Kanzlerin die höchste zivile Auszeichnung der Vereinigten Staaten gegönnt: die Freiheitsmedaille. Von Freiheit war denn auch beim Staatsbankett im Weißen Haus viel die Rede. Doch hinter den Kulissen ging es zwischen Amerikanern und Deutschen um ganz konkrete Zahlen. Die Zukunft des Euro trieb die Planer im Weißen Haus selbst mehr um als alle Kriegsstrategien für Libyen oder Afghanistan.
Entweder Führung übernehmen - oder aufgeben
Das war Anfang Juni. Mittlerweile ist die Sorge in Washington nur noch größer geworden. Obama drückte es so aus: "Die Europäer unternehmen zwar Schritte, um die Krise zu mildern - aber nicht, um sie zu lösen." Zwar sieht man einerseits Merkel weiterhin als erste Adresse in Europa; andererseits aber rätselt man in Regierungkreisen mittlerweile, wohin die 57-Jährige den Krisenkontinent führen will. Hat Merkel eine Vision für Europa? Welchen Weg will diese Frau einschlagen?
"Die Welt wartet darauf, dass Deutschlands Kanzlerin eine Entscheidung trifft", kommentiert die "New York Times" ("NYT") bissig. Mehr als jeder andere Politiker in Europa werde sie entweder die Führung übernehmen müssen, um den Euro zu retten - "oder eingestehen, dass der politische Wille nicht da ist". In den USA fürchten sie eine neue, globale Finanzkrise. Als das stärkste Land der EU sitze Deutschland "ganz allein am Steuer und muss Europa die Lösung diktieren", hatte zuletzt Investor George Soros im SPIEGEL festgestellt.

Grafiken: Die wichtigsten Fakten zur Euro-Krise
Doch nichts gehört von Merkel seitdem. Als phlegmatisch wird sie in der "NYT" beschrieben. Mehr noch: Sie stehe einer zänkischen Koalition vor, das Bündnis der drei Parteien sei mehr und mehr unzuverlässig.
Aufmerksam wird in Übersee beobachtet, wie sich die schwarz-gelbe Koalition in Deutschland so langsam aber sicher zerlegt. Allein die letzten Tage liefern genug Anschauungsmaterial: Da versuchte Merkel, ihren Vizekanzler zurückzupfeifen, weil der laut über eine Griechenland-Insolvenz nachdachte. Die CSU derweil brachte den Austritt von Schuldensündern aus der Euro-Zone ins Gespräch, ihr härtester Euro-Kritiker, Peter Gauweiler, erklärte soeben seine Kandidatur als Parteivize.
Keine guten Vorlagen fürs transatlantische Verhältnis. Nun ist natürlich klar: Die USA haben selbst ein Schuldenproblem, im Parteienstreit haben sie ihr politisches System nahezu lahmgelegt. Die "Frankfurter Allgemeine Zeitung" kontert so auf des US-Präsidenten Weckruf: "Als ob es den Europäern an Einsatz und Willen mangelte! Vielleicht erinnert sich Obama noch an den Zirkus wegen der Erhöhung der Schuldengrenze."
"Den europäischen Risiken direkt ausgesetzt"
Doch mitnichten geht es Obamas Leuten nur um einfache Schuldzuweisungen an die Europäer, etwa weil die eigene Wirtschaft nicht in die Gänge kommt. Amerikas Sorge um den Euro ist echt. Europa ist einer der wichtigsten Handelspartner, US-Banken kooperieren eng mit den Instituten auf dem alten Kontinent. Schon jetzt aber haben sie die Kreditvergabe an diese stark eingeschränkt. Nobelpreisträger Joseph Stiglitz sagte dem "AmericaBlog": "Viele US-Banken sind den Risiken der europäischen Banken direkt ausgesetzt. Wir wissen nicht, wie viel, weil der Bankensektor nach wie vor wenig transparent ist. Aber die Finanzkrise in Europa könnte zu finanziellen Problemen in den USA führen - genau wie umgekehrt die Krise in den USA vor drei Jahren nach Europa exportiert wurde."
Die Abhängigkeit voneinander ist immens. Keiner kann ohne den anderen. Tim Adams, unter George W. Bush als einer der ranghöchsten Beamten für internationale Finanzpolitik im US-Finanzministerium zuständig, meint: "Die große Sorge in Washington ist, dass die Europa-Krise die amerikanische Wirtschaft weiter belastet und so auch Obamas Wiederwahl-Chancen beeinträchtigt."
Hinzu kommt: Wegen Merkels mangelndem "Leadership" fürchten die USA um ihre Vorzeigepartnerin in Europa. Zu der hatte Obamas Regierung die Kanzlerin nämlich aufwerten wollen. Wen auch sonst? Italiens Premier Silvio Berlusconi ist als Clown diskreditiert. Großbritanniens Regierungschef David Cameron, sonst ein enger US-Vertrauter, hat in Währungsfragen nichts zu sagen, das Königreich gehört nicht zum Euro-Club. Schließlich der Franzose Nicolas Sarkozy: Er gilt als sprunghaft, außerdem droht ihm kommendes Jahr die Abwahl.
Merkel hingegen: verlässlich und ernsthaft. So hatten sie sich das gedacht in Washington. Doch nun wächst Woche für Woche der Argwohn. Und die Ratlosigkeit über Germany.