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Obamas Google-Chat Abhängen mit dem Präsidenten

Live chatten mit Barack Obama: Fünf Wähler durften dem US-Präsidenten im "Hangout" des Facebook-Rivalen Google+ ihre Fragen stellen. Die virtuelle Bürgerversammlung entpuppte sich als PR-Aktion für den Web-Konzern. Allerdings misslang sie - die Technik hakte.

Jennifer sitzt in ihrem Wohnzimmer in Texas, hinter sich Familienfotos und ein Gummibaum. Adam und seine Freunde haben sich in einem kalifornischen Klassenzimmer postiert. Paras grüßt aus seiner Studentenbude in Illinois. Christine befindet sich ebenfalls in Illinois, aber in ihrer Diele. Ramon versinkt hinter seinem Schreibtisch in New Jersey im Ledersessel.

Und Barack Obama thront im Roosevelt Room des Weißen Hauses, zwischen Sternenbanner und Präsidentenflagge. "Toll, mit euch zu reden", grinst er und winkt in die Web-Kamera.

So beginnt er, der erste präsidiale Google-Chat der Geschichte. Eine Dreiviertelstunde lang plaudert Obama am Montag auf Google+, dem sozialen Netzwerk des Web-Giganten, mit den fünf Wählern. Es ist eine moderne High-Tech-Version der legendären "Fireside Chats", jener Radioansprachen, mit denen einst Franklin D. Roosevelt die Nation durch Weltwirtschaftskrise und Weltkrieg steuerte. Obamas Plauderstunde wurde auch live bei YouTube als Videostream gezeigt.

Wie damals soll nun auch das "virtuelle Interview" Regierungstransparenz vermitteln und, so formuliert es Obama-Sprecher Jay Carney, das öffentliche Engagement fördern. Schön gesagt, in Wahrheit aber fördert der US-Präsident damit nur Google. Sicher, er chattet über die Wirtschaft, Arbeitslose, Pakistan, Drohnen, Internetzensur, hohe Studienkosten - alles relevante Themen. Doch Jennifer, Adam, Paras, Christine und Ramon, deren Auswahl als Gesprächspartner schleierhaft bleibt, sind Statisten eines PR-Stunts: Erneut rührt das Weiße Haus die Werbetrommel für seine großzügigen Freunde im Silicon Valley, die im laufenden Wahlkampf bereits mehr als 1,3 Millionen Dollar für Obama gespendet haben.

Nach Facebook Twitter und YouTube, über die Obama schon früher interaktive Townhalls (Bürgerversammlungen) abgehalten hat, ist nun also Google+ dran, die noch wacklige Plattform, die Facebook Konkurrenz machen soll, dem Marktführer mit 800 Millionen Mitgliedern und geplantem Mega-Börsengang.

Schwarzer Bildschirm

Obama und die Fragesteller "treffen" sich im "Hangout", Googles Video-Chat-Room-Version. "Fast so gut wie ein persönliches Treffen", preist der Konzern das virtuelle Zusammentreffen an. Fast, in der Tat. Nur wenige Minuten, nachdem Google-Manager Steve Grove vom Konzern-Campus in Mountain View aus den Präsidenten-Chat mit den Worten: "Können Sie mich hören?" eröffnet hat, hakt der Livestream.

Immer wieder hängt sich das über YouTube gelieferte Video auf. An der lokalen Internetverbindung kann es nicht liegen. SPIEGEL ONLINE verfolgt den Chat von einem Hotel in Florida aus, aber auch andere Zuschauer haben Probleme. Ab und zu wird das Bild ganz schwarz, samt Fehlermeldung: "Bitte versuchen Sie es später noch einmal."

Das Schaustück des technologischen Fortschritts scheitert an - der Technologie.

Interessierte können sich das alles zwar später noch mal in Ruhe anschauen: YouTube stellt die komplette Aufzeichnung ins Netz, doch der Sinn der Sache kann das wohl kaum sein.

Top-Thema Marihuana ausgeklammert

Dabei klang es so gut: "Wenn du mit Präsident Obama abhängen könntest, was würdest du ihn fragen?", fragte das Weiße Haus salopp und ließ die Nutzer über die Einsendungen abstimmen. Am Ende waren 228.048 Videos mit 133.204 Fragen eingegangen. Die populärsten drehten sich um Marihuana: 18 der 20 Top-Videos drängten auf dessen Legalisierung.

Das Reizthema schafft es dann aber trotzdem nicht in den Chat. Stattdessen hat Moderator Grove, der bei Google den Titel "Head of Community Partnerships" trägt, die Fragen vorsortiert, nach unbekannten Kriterien. Übrig bleibt eine artige Mischung aus sozialen, wirtschaftlichen und politischen Themen, persönlich gewürzt.

Jennifer erzählt von ihrem Mann, einem Ingenieur, der seit drei Jahren feste Arbeit sucht. Ramon berichtet von seinen Problemen als Kleinunternehmer. Christine klagt, sie wisse nicht, wie sie ihren kleinen Kindern neue Worte wie "Zwangsversteigerung" erklären solle.

Nur Wahlkampfphrasen

Gelegentlich streut Grove andere handverlesene YouTube-Fragen dazwischen. Ein Arbeitsloser aus South Carolina bittet den Präsidenten, sich für ein Existenzminimum einzusetzen. Eine Occupy-Demonstrantin fragt Obama: "Haben Sie einen Plan für mich?"

Doch der antwortet meist nur mit Wahlkampfphrasen. "Wir haben in den letzten 22 Monaten drei Millionen Arbeitsplätze geschaffen", sagt er dem Arbeitslosen aus South Carolina. Der Occupy-Protestlerin verspricht er, "dafür zu sorgen, dass die Wirtschaft wächst". Christine speist er mit der flotten Bemerkung ab, früheren Generationen sei es viel schlechter gegangen. Nur Jennifer bittet er, ihm doch den Lebenslauf ihres Mannes zuzuschicken.

Obama sagt kaum etwas, was er nicht anderswo schon mal gesagt hat - mit einer Ausnahme. Da geht es um einen Bericht der "New York Times" vom Wochenende, wonach der Irak über US-Drohnenflüge empört sei. "Diese Story", sagt Obama, "war etwas übertrieben." Andererseits bestätigt er erstmals öffentlich, dass inzwischen zahlreiche unbemannte Drohnenangriffe auf die Stammesgebiete in Pakistan geflogen werden - aber das war ohnehin jedem klar.

Nachts Snickers? "Vergiss' es."

Das Interessanteste kommt zum Schluss, als viele Nutzer schon abgeschaltet haben. Da bittet Grove das Quintett im "Hangout" um je eine "schnelle persönliche Frage" an Obama.

Jennifer fordert den Präsidenten erfolglos heraus, etwas vorzutanzen. Medizinstudent Paras bietet sich als Leibarzt an. Adam bittet Obama um einen Besuch in seiner High School. Christine fragt, wie die Obamas ihren 20. Hochzeitstag im Oktober verbringen wollen ("im Wahlkampf"). Und Ramon will wissen, ob es schwierig sei, wenn Obama nachts mal Hunger auf ein Snickers habe. "Man muss den Secret Service mobilisieren", seufzt der. "Vergiss' es."

Eine Viertelmillion Menschen, so Grove, hätten zugeschaut. "Dankeschön", sagt Obama. "Schickt mir 'ne Kopie. Wir sehen uns!"

Ob Google die Werbung genutzt hat, wird sich schwer feststellen lassen. Nötig war sie: Als Obama-Sprecher Carney die Aktion bei seinem Tagesbriefing im Weißen Haus erläuterte, kam vom Pressekorps die Nachfrage: "Können Sie uns bitte erklären, was Google+ ist?"

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