Obamas riskanter Starruhm US-Sender ignorieren McCains Patzer
New York - John McCain ist sauer. Man spürt es bei jedem Wahlkampfauftritt, auf jeder Pressekonferenz, in jedem Werbespot. Etwa in diesem: "Er ist der größte Star der Welt", säuselt die Sprecherin spitz, dazu schnell geschnittene Szenen: Barack Obamas Berlin-Rede, Blitzlichtgewitter, Britney Spears, Paris Hilton. "Aber ist er in der Lage, zu führen?"

McCain im Wahlkampf: Hanebüchene Fehltritte sind kein Thema
Foto: AP"Celebrity" heißt der jüngste TV-Clip, mit dem der US-Republikaner John McCain seinen demokratischen Rivalen Obama attackiert. Darin echauffiert sich McCain - mal wieder - über das weltweite Obama-Fieber und vergleicht es mit dem inhaltslosen Paparazzirummel um Britney, Paris, Lindsay und Co.
McCains Wahlkampfmanager Rick Davis legte am Mittwoch im Telefonat mit Journalisten nach: Obama konzentriere sich auf die Pflege seines "Prominentenstatus". Chefberater Steve Schmidt sekundierte: "Er hat viele Fans."
So geht das seit Wochen. McCain schimpft, meckert, krittelt, nörgelt . Hauptbeschwerde: Obama werde nicht nur von seinen Anhängern wie ein Messias verehrt - sondern vor allem von den US-Medien, die sich gemeinsam mit dem Demokraten gegen ihn, McCain, verschworen hätten. "Eine Meute anhimmelnder Fans erwartet Senator Obama in Paris", mokierte sich McCain, als Obama in Europa war. "Und das ist nur die US-Presse."
Längst ist das zu einem Axiom dieses Rennens ums Weiße Haus geworden: Die US-Medien hätscheln ihren Liebling Obama, beten ihn sogar an - und benachteiligen McCain, den wackeren Underdog. Das Problem daran: Es stimmt nicht.
Im Gegenteil: McCain hat sich in den vergangenen Wochen einen derart miserablen Wahlkampf geleistet, mit solchen Missgriffen und Tiefschlägen - und doch herrscht dazu in den US-Medien meist höfliches Schweigen. So was hätten sie Obama nie durchgehen lassen.
Nicht Obama genießt den Schonwaschgang. Nein: Es ist McCain, dessen hanebüchene Fehltritte kein Thema sind. Doch das könnte sich nun ändern.
Schmacht-Oldies für Obama-Love
Sicher, einige US-Journalisten zeichnen sich durch schamlose Obama-Nähe aus. Dem MSNBC-Anchorman Chris Matthews kroch bei einer Obama-Rede "ein wohliger Schauer am Bein hoch". McCain hatte diese vermeintliche Liebesaffäre bereits in einem früheren Spot parodiert: "Obama Love", untermalt vom Schmacht-Oldie "Can't Take My Eyes Off You".
Der Mythos vom Medienschätzchen Obama spukte bereits durch den Vorwahlkampf - damals stilisierte sich Hillary Clinton als Opfer. Doch auch damals wurde der Senator aus Illinois oft sehr scharf kritisiert und stand mindestens so genau wie Clinton unter Beobachtung.
Obamas Connection zum Betrüger Antoin Rezko, seine Freundschaft mit dem Ex-Anarchisten William Ayers und natürlich sein Ex-Pastor Jeremiah Wright - alles wurde fein seziert. Wahre Liebe war das nicht. Und ist es bis heute nicht - was nun auch statistisch belegt ist.
Zwar sicherte sich Obama mit seiner telegenen Weltreise eine Woche lang mehr TV-Minuten als McCain. Doch jetzt hat das Center for Media and Public Affairs der George Mason University erstmals nicht nur die Quantität dieser Minuten untersucht - sondern auch die Qualität. Und festgestellt, dass die US-Networks ABC, CBS und NBC in ihren Nachrichtensendungen inhaltlich viel kritischer mit Obama umgehen als mit McCain.
Kommentare über Obama, so ermittelte das Institut, seien seit Juni nur zu 28 Prozent "positiv" gewesen - und zu 72 Prozent "negativ". Bei McCain habe das Verhältnis vorteilhafter gelegen: 43 Prozent "positiv", 57 Prozent "negativ". Besonders stach die Fox-News-Sendung "Special Report With Brit Hume" heraus: 79 Prozent aller Statements über die Demokraten seien dort "negativ" gewesen (61 Prozent bei den Republikanern).
Beispiel: CBS-News-Anchorfrau Katie Couric nahm Obama während seiner Nahost- und Europareise auffallend hart ins Kreuzverhör - und interviewte McCain am selben Tag relativ weich. "Obamas Befragung war viel aggressiver", sagt Ex-Präsidentenberater David Gergen, der den Eindruck einer Bevorteilung Obamas durch die Medien darauf zurückführt, dass dessen Wahlkampf "aufregender" sei.
McCains Auftritt wirken im Vergleich mit Obama wie Bauerntheater
In der Tat wirken McCains Wahlkampf-Auftritte wie Bauerntheater im Vergleich zu den Obama-Shows. Fototermine mit Altpräsident George Bush, mit weißhaarigen Ladys im Supermarkt, vor einem deutschen Wurstlokal: kein Wunder, dass die Reporter darüber stöhnen - und die Wähler umschalten. "Ehrlich gesagt", sagte selbst McCains Parteifreund Mike Huckabee, "ich finde, er sieht immer mehr aus wie Bob Dole in den letzten Zügen des Wahlkampfes '96." Man erinnert sich: steifer Anzug, dumme Witze, ein Sturz vom Podium.
Jedes Wort Obamas landet auf der Goldwaage
Daran hat McCain selbst Schuld. Denn auch mit Worten macht er die Bilder nicht wett. Unfähig, vom Teleprompter abzulesen, stolpert er durch seine Reden, patzt: Er erfand eine "Irak-Pakistan-Grenze", sprach von der "Tschechoslowakei", verwechselte Sunniten mit Schiiten, bekam die jüngere Geschichte des Iraks nicht ordentlich auf die Reihe.
"Waren das Ausrutscher, Versprecher, Zeichen momentaner Ermüdung?", rätselt Fred Kaplan im Online-Magazine "Slate". "Oder spiegelt sich darin faules Denken wieder, konzeptuelle Verwirrung, ein Geisteszustand, der von Klischee-Abstraktionen umwölkt ist?" Kaplan vermutet: "Wenn Obama nur eine dieser Dümmlichkeiten von sich gegeben hätte, hätten sich die Medien und die McCain-Kampagne sofort auf ihn gestürzt wie rote Ameisen auf einen waidwunden Hundewelpen."
In der Tat: McCains Patzer werden kaum registriert, geschweige denn kritisiert. Stattdessen kann er sich unbeanstandet in das abgewetzte Mäntelchen der "Erfahrung" hüllen, in das Image des Vietnamhelden und "Mavericks" (Querdenkers) - egal ob seine oft bizarren Aussagen das heute noch stützen.
Jedes Wort auf der publizistischen Goldwaage
Obama dagegen wird rund um die Uhr unter die Lupe genommen. Jedes Wort landet auf der publizistischen Goldwaage. Seine Reise galt nicht zuletzt deshalb als Erfolg, weil er sich "keine merklichen Fehltritte geleistet" habe ("New York Times"). Was vereinzelt wiederum Häme auslöste: "Präsident Obama setzt seine hektische Siegestournee fort", lästerte der Kolumnist Dana Milbank in der "Washington Post".
McCains PR-Strategen werfen derweil gnadenlos mit Schlamm - allen Beteuerungen zum Trotz, man wolle einen zivilisierte Wahlkampf führen, ohne persönliche Angriffe. Längst berüchtigt ist McCains ehrabschneidender Anwurf, Obama "würde lieber einen Krieg verlieren, um einen Wahlkampf zu gewinnen". Damit führt McCain ironischerweise am Ende genau das herbei, was er schon länger beschreit - dass sich die Medien allmählich von ihm abwenden.
"Es gibt einen schmalen Grat zwischen klug und clever und eine ähnliche Linie zwischen clever und blöd", schreibt Jason Linkins auf dem linken Polit-Blog "Huffington Post". "McCains Wahlkampfspots landen immer wieder auf der falschen Seite." Die "New York Times" - die McCain im Vorwahlkampf noch unterstützt hatte - warf ihm gestern in einem scharfen Leitartikel vor, er führe seinen Wahlkampf nach dem "niederträchtigen und gröblichen Drehbuch von Karl Rove", des diskreditierten Ex-Chefstrategen von Präsident Bush.
Selbst McCains engsten Weggefährten wird es langsam mulmig. John Weaver, einer seiner langjährigsten Vertrauten und Ex-Strategen, nannte den "Celebrity"-Spot "kindisch" und sagte, solche Negativwerbung "schadet John McCain". McCain sei selbst jahrelang ein VIP gewesen, als heimgekehrter Kriegsgefangener. Er, Weaver, habe nun "genug" von all dem.
Der wahre Grund, weshalb McCain so wütend ist, ist womöglich sowieso ein anderer. Nämlich das Wissen, dass er selbst mal der größte Journalistenliebling war - vor acht Jahren, als er George W. Bush herausforderte. "McCain, der Medien-Darling", konstatierte der TV-Sender PBS damals.
"Als McCain der Rebell war, war er die bevorzugte Geschmacksrichtung", schreibt Josh Benson heute im "New York Observer". "Er scheint überrascht, dass dieses Verhältnis nun nicht länger anhält." Reine Eifersucht also um die Aufmerksamkeit der Paparazzi? Paris Hilton und Britney Spears lassen grüßen.