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Lateinamerika: Die unheimliche Macht des Odebrecht-Konzerns

Foto: © Rodolfo Buhrer / Reuters/ REUTERS

Odebrecht-Skandal in Lateinamerika Gefangen im Netz des brasilianischen Prinzen

Von Argentinien bis Mexiko: Ein gigantischer Korruptionsskandal erschüttert Lateinamerika. Der Baukonzern Odebrecht soll amtierende und frühere Präsidenten bestochen haben - nun drohen weitere Enthüllungen.

Sie nennen ihn den "Prinzen". Dabei ist Marcelo Odebrecht, 49, kein Freund von Protz und Pomp. Er ist Asket, trinkt keinen Alkohol und gilt als Workaholic. Die Gefängniskluft schlottert um seinen schmalen Körper, als er an einem kühlen Morgen im September 2015 auf dem Podium eines Auditoriums im Justizgebäude der südbrasilianischen Stadt Curitiba Platz nimmt. Flankiert wird er von zwei schwer bewaffneten Polizeibeamten.

Es ist Odebrechts bislang letzter Auftritt vor der Öffentlichkeit. Die Polizei hatte ihn früh am Morgen aus seiner Zelle geholt, damit er vor dem eigens angereisten Untersuchungsausschuss des brasilianischen Kongresses zum Korruptionsskandal um den halbstaatlichen Ölkonzern Petrobras aussagt. Später wird man ihn nur noch in Videos bei Verhören sehen oder auf Schnappschüssen vom Hofgang im Gefängnis.

Mit der Verhaftung des Präsidenten des Odebrecht-Konzerns im Juni 2015 gelang den Staatsanwälten, die mit der Aufklärung des größten Korruptionsskandals in der Geschichte Brasiliens betraut sind, ihr bislang größter Coup.

Wie eine Spinne saß Odebrecht in dem Netz aus Geheimkonten, Briefkastenfirmen und Geldwäschern, das die Baufirma über ganz Südamerika gelegt hatte. Er zog die Fäden, die zu den Mächtigen führten - und die Aussagen seiner Manager sind es, die jetzt den ganzen Subkontinent erschüttern.

"Prinz" wird er genannt, weil er der Lieblingssohn und Nachfolger von Patriarch Emilio Odebrecht war, der den Konzern über Jahrzehnte geführt hatte. Aus Altersgründen hatte er das Tagesgeschäft an seinen Sohn abgegeben, doch als graue Eminenz wirkte der Alte weiter im Hintergrund.

"Prinz" passt aber auch deshalb zu diesem so unauffälligen Mann, weil Abgeordnete, Minister und Präsidenten wie Höflinge vor ihm bückelten. "Ihr seid einer jener Unternehmer, denen jeder Student der Ingenieurswissenschaften nacheifert", säuselte einer der Abgeordneten des Untersuchungsausschusses in Curitiba im Pluralis Majestatis und fragte devot, ob er seine Haft für gerechtfertigt halte, "wo Sie doch immer der Justiz zur Verfügung standen?"

In Wirklichkeit sorgten sich die Politiker, dass der Firmenboss sie als Empfänger von Schmiergeldern anschwärzen würde. Doch Odebrecht beruhigte sie: Petzen sei für ihn das Schlimmste, das habe er schon als Kind gelernt, in diesem Sinne erziehe er auch seine Töchter. Loyalität gehe ihm über alles.

Ein Jahr später knickte er ein: Der zuständige Richter Sérgio Moro hatte ihn inzwischen zu 19 Jahren Haft verurteilt; seine Familie machte Druck, sein Vater sah die Existenz der Firma bedroht. Gemeinsam mit 77 leitenden Angestellten des Konzerns willigte er ein, mit den Behörden zusammenzuarbeiten. Seine Haftstrafe wurde dafür auf zehn Jahre reduziert.

Das Unternehmen zeigte sich aber auch deshalb zur Kooperation bereit, weil die US-Justiz gegen den weltweit agierenden Konzern ermittelte - eine Tochterfirma von Odebrecht ist an der Wall Street notiert. Die Brasilianer erklärten sich zur Zahlung einer Strafe von 3,5 Milliarden Dollar bereit. Ende Dezember veröffentlichte die US-Justiz eine Liste der Länder, in denen Odebrecht Schmiergelder gezahlt hat. Von Mexiko bis Argentinien sind zahlreiche Nationen Lateinamerikas sowie afrikanische Staaten dabei.

Über 800 Millionen Dollar flossen, Odebrecht-Managern zufolge, seit 2001 in die Taschen von Politikern, Managern und Staatsbeamten. Der Konzern unterhielt eine eigene Abteilung, die nur für die Zahlung von Schmiergeldern zuständig war.

Meist funktionierte die Korruption nach dem Kickback-Schema: Beim Bau von Straßen, Kraftwerken, Staudämmen und Fußballstadien kassierte Odebrecht überhöhte Preise. Ein Teil des Geldes floss als Schmiergeld in die Taschen der Politiker zurück, die den Deal möglich gemacht hatten.

Politische Vorlieben hatten die Odebrecht-Leute nicht. Unter den Beschuldigten sind Linke und Rechte, Populisten und Technokraten. Betroffen sind Spitzenpolitiker in ganz Lateinamerika - darunter viele amtierende und frühere Präsidenten. Vorwürfe gibt es in Kolumbien etwa gegen Staatsoberhaupt und Friedensnobelpreisträger Juan Manuel Santos, aber auch gegen seine politischen Gegner. In Peru wird gleich gegen drei Ex-Präsidenten ermittelt. Sie bestreiten die Anschuldigungen.

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Odebrecht-Skandal: Diese Politiker werden beschuldigt

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Die spektakulärsten Enthüllungen werden in Odebrechts Heimatland Brasilien erwartet: Das Oberstes Bundesgericht will Berichten zufolge demnächst die Verhörprotokolle der 77 Odebrecht-Manager zur Veröffentlichung freigeben, die als Kronzeugen ausgesagt haben. Bislang wurden nur selektiv Informationen durchgestochen, deren Wahrheitsgehalt sich schwer überprüfen lässt.

In den Odebrecht-Papers sollen über 200 Politiker von 18 Parteien als Schmiergeldempfänger geoutet werden, berichten brasilianische Zeitungen, unter ihnen Präsident Michel Temer und mindestens fünf seiner Minister. Keine andere Partei ist so sehr in den Odebrecht-Skandal verstrickt wie Temers Zentrumspartei PMDB.

Der einstige Vizepräsident, der im vergangenen August nach einem umstrittenen Amtsenthebungsverfahren gegen die gewählte Staatschefin Dilma Rousseff vereidigt worden war, versucht, seine Regierung mit Tricks zu schützen: Einem engen Berater verschaffte Temer auf die Schnelle ein Ministeramt, dieser ist damit den Staatsanwälten aus Curitiba entzogen. Seinen umstrittenen Justizminister, dem Plagiat und Nähe zum organisierten Verbrechen vorgeworfen werden, hat er ins Oberste Bundesgericht berufen - so ist Temer eine regierungsfreundliche Mehrheit in dem Gremium sicher.

Michel Temer

Michel Temer

Foto: imago/ Xinhua


Jeder Minister, der angeklagt wird, werde vorübergehend sein Amt niederlegen, kündigte Temer am Montag an, um seine Kritiker zu besänftigen. 14 Monate dauere es im Schnitt, bis ein Mandatsträger angeklagt werde, rechnete daraufhin die Zeitung "Folha de São Paulo" vor. Damit entpuppt sich Temers Ankündigung als leeres Versprechen: Im kommenden Jahr wird ein neuer Präsident gewählt, bis dahin wird es kaum zu Anklagen kommen.

Bislang sitzen in Brasilien kaum Politiker wegen Korruption im Gefängnis. Mandatsinhaber sind vor der Verfolgung durch die normale Justiz geschützt, für sie ist das Oberste Bundesgericht zuständig. Und das lässt sich oft jahrelang Zeit mit den Prozessen.

Große Machtfülle für ein einziges Unternehmen

Versandet Brasiliens größter Korruptionsskandal also im Getriebe der Justiz, wie viele Beobachter fürchten? Im Kongress gab es mehrere Vorstöße für Gesetzesvorhaben, die eine Amnestie für illegale Wahlkampffinanzierung vorsehen, bislang wurden sie abgeschmettert.

Doch die Versuchung wächst, bei der Korruptionsbekämpfung zwischen illegaler Parteienfinanzierung und persönlicher Bereicherung zu unterscheiden. Denn Odebrecht fungierte in erster Linie als Geldbeschaffungsmaschine für die Parteien - und schwarze Kassen gelten unter Politikern als lässliche Sünde.

Alle "Empreiteiras", wie die Baukonzerne in Brasilien genannt werden, leben von Staatsaufträgen, sie sind besonders anfällig für Korruption. Doch der Odebrecht-Skandal sprengt alle Dimensionen. Wie konnte ein einziges Unternehmen so viel Macht erlangen? Eine Antwort liegt in der besonderen Geschichte des Konzerns. Odebrecht ist ein deutschstämmiger Familienbetrieb, er verkörpert eine einzigartige Mischung aus protestantischer Arbeitsethik und Mafiakultur.

Baustelle in Rio de Janeiro 2015

Baustelle in Rio de Janeiro 2015

Foto: © Pilar Olivares / Reuters/ REUTERS

1941 übernahm der legendäre Firmengründer Norberto Odebrecht, ein Urenkel deutscher Einwanderer, im Alter von nur 21 Jahren die marode Baufirma seines Vaters in Salvador da Bahia. Den arbeitslosen Meistern auf den Baustellen bot er an, Teilhaber zu werden, so sanierte er das Unternehmen. Er organisierte seine Firma wie einen Verbund mehrerer Unternehmer - für jede Baustelle war ein eigener Mann zuständig.

Aufträge brauchte Odebrecht nicht lange zu suchen: Der Staat wurde bald zu seinem besten Kunden. Die "Empreiteiras" profitierten vom Aufschwung der aufstrebenden Industriemacht Brasilien. Für die Regierungen waren sie unentbehrlich: Sie besaßen als einzige das nötige Know-how und qualifizierte Arbeitskräfte für den Bau von Fernstraßen, Staudämmen, Flughäfen und anderen Großprojekten.

Odebrecht wurde besonders geschätzt: Firmengründer Norberto galt als fleißig und bewies Familiensinn. Er förderte die Einstellung von Angehörigen seiner Angestellten, so sicherte er sich Loyalität. Die Firma glich bald einer verschworenen Gemeinschaft. Nach außen galt wie bei der italienischen Mafia Omertá, das Schweigegebot.

Der umgängliche Odebrecht verstand sich bestens mit den Militärs, die in Brasilien nach dem Putsch 1964 die Macht übernahmen. Vor allem zu dem ebenfalls deutschstämmigen Präsidenten Ernesto Geisel pflegte er enge Kontakte. Odebrecht bekam den Zuschlag für große Prestigeprojekte.

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Lateinamerika: Die unheimliche Macht des Odebrecht-Konzerns

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Auch das Ende der Diktatur Mitte der Achtzigerjahre bedeutete für Odebrecht keinen Verlust der Macht: Die zivilen Präsidenten waren auf Baukonzerne angewiesen. Emilio Odebrecht, der jetzt die Firma führte, hatte beste Beziehungen zu dem Sozialdemokraten Fernando Henrique Cardoso, der bis 2002 regierte. Doch ihre größte Blüte erlebte die Firma unter Cardosos Nachfolger Lula.

Der Arbeiterpräsident legte ein gewaltiges Programm zum Ausbau der Infrastruktur auf. Ob Staudämme, Eisenbahnstrecken, Flughäfen oder Stadien für die Fußball-WM und Olympia: Odebrecht war bei den meisten Mega-Investitionen dabei.

Vor allem die Zusammenarbeit mit Petrobras erwies sich als lukrativ für den Konzern: Die Regierung gab den Bau neuer Raffinerien und Sonden in Auftrag, sie wollte den Ölkonzern zu einem Vorzeigeunternehmen bei der Förderung von Tiefsee-Öl ausbauen. Odebrecht bildete gemeinsam mit anderen Baufirmen ein Kartell, das die Bauaufträge der Ölfirma untereinander aufteilte. Geld aus Petrobras-Kassen wurde über internationale Geldwäscher auf die Konten von Politikern der Regierungsparteien geleitet.

Luiz Inacio Lula Da Silva

Luiz Inacio Lula Da Silva

Foto: DOUGLAS MAGNO/ AFP


Am Ende von Lulas Amtszeit war Odebrecht zu einem Baukonzern von Weltrang aufgestiegen. Das Unternehmen beschäftigte weltweit über 200.000 Mitarbeiter und war in 27 Ländern tätig, darunter auch Deutschland.

Marcelo Odebrecht begleitete Lula auf vielen Auslandsreisen, der Präsident fungierte für den Konzern als Türöffner in Lateinamerika und Afrika. Als Dank soll Odebrecht das neue WM-Stadion in São Paulo errichtet haben, das als Heimstadion für Lulas Lieblingsverein Corinthians dient.

Odebrecht soll für den Ex-Präsidenten auch ein Wochenendhaus umgebaut und ausgestattet haben. Zudem ermittelt die Staatsanwaltschaft, ob der Ex-Präsident illegal Zuweisungen von Odebrecht erhielt, die als Redehonorare getarnt waren. Lula bestreitet alle Vorwürfe.

Gegner des Ex-Präsidenten werden die Aussagen der Odebrecht-Kronzeugen sorgfältig nach Lulas Namen durchforsten. Da er kein Mandat besitzt, ist die Justiz in Curitiba für ihn zuständig und damit sein Erzfeind, Richter Moro. Dort liegen mehrere Anklagen gegen Lula vor. Der Richter sieht in Lula den Kopf der Mafia, die gemeinsam mit Odebrecht und anderen Baufirmen den Petrobras-Konzern ausgeplündert hat.

Marcelo Odebrecht ist sein wichtigster Kronzeuge.

Wenn er oder sein Vater Emilio, der ebenfalls vor den Behörden ausgesagt hat, keine beweisfähigen Indizien gegen den Ex-Präsidenten präsentieren, wäre das eine Blamage für den Richter - und eine Steilvorlage für das geplante Comeback von Lula bei den Präsidentschaftswahlen 2018.

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