
Öl-Taktik der Saudis: Schwarzes Gold zum Schleuderpreis
Erzfeinde im Nahen Osten Saudi-Arabien eröffnet Öl-Krieg gegen Iran
Riad - Die magische Grenze liegt bei 85 US-Dollar. So viel muss das Barrel Rohöl im Jahresschnitt kosten, damit Saudi-Arabien keine Verluste macht. Derzeit liegt der Ölpreis bei nur 72 Dollar. Trotzdem hat Riads Ölminister Ali al-Naimi beim Opec-Treffen in Wien eine Drosselung der Förderung verhindert - und hinterher von einer "weisen Entscheidung" gesprochen.
Dabei könnte das Kartell die Produktion reduzieren und damit den Ölpreis wieder in die Höhe treiben. Doch Saudi-Arabiens Herrscher verzichten lieber auf bares Geld.
Sie können es sich leisten: Unter den erdölexportierenden Ländern steht Saudi-Arabien so gut da wie kaum ein anderer Staat. Das Königshaus sitzt auf Finanzreserven in Höhe von 735 Milliarden US-Dollar - ungefähr viermal soviel wie Apple, das derzeit wertvollste Unternehmen der Welt. Deshalb kann es sich einen Preiskrieg gegen seine Konkurrenten auf dem Öl-Markt liefern - allen voran gegen Iran, Russland und die USA.
Iran beklagt "Krieg der Saudis gegen uns"
Das schiitische Regime in Teheran ist der große Gegenspieler der Saudis im Nahen Osten. Beide Staaten ringen um Einfluss im Jemen, im Libanon, in Syrien, im Irak und in Bahrain. In diesem Kalten Krieg in der Golfregion setzt Saudi-Arabien das Öl als Waffe ein.
Irans Staatshaushalt ist zu siebzig Prozent von Erdöleinnahmen abhängig. Präsident Hassan Rohani hat selbst erklärt, dass er bei seinem Etat für 2014 mit einem Ölpreis von 100 Dollar pro Barrel kalkuliert hat. Nun muss er mit etwa 20 Prozent geringeren Einnahmen rechnen. Die iranische Wirtschaft, ohnehin durch internationale Sanktionen wegen des umstrittenen Atomprogramms gebeutelt, wird dadurch weiter geschwächt.
Die Regierung in Teheran beklagt die Preispolitik aus Riad offen: "Es ist ein Krieg der Saudis gegen uns", sagte unlängst der Vizepräsident der iranischen Energiekommission, Nasser Soudani. "Sie wollen sich rächen wegen Syrien, Irak, Jemen und nicht zuletzt wegen unserer Reaktion auf das Todesurteil gegen Scheich Nimr."
Ein saudi-arabisches Gericht hatte im Oktober den schiitischen Geistlichen Nimr al-Nimr zum Tode verurteilt. Er setzte sich über Jahre für eine größere Autonomie der Region Katif ein, in der die schiitische Minderheit in Saudi-Arabien lebt. Bei den von ihm angeführten Protesten wurden seit 2011 zahlreiche Menschen von Sicherheitskräften getötet. Nimr selbst wurde bei seiner Festnahme angeschossen.
Mit Sorge beobachtet Irans Führung zudem, dass die Saudis verstärkt versuchen, dem persischen Rivalen die Hauptabnehmer des Öls in Asien abspenstig zu machen. In langfristigen Verträgen hat Saudi-Arabien China, Indien und Vietnam im Oktober großzügige Rabatte gewährt, mit denen Iran herausgefordert wird.
Fracking lohnt sich nur bei hohem Ölpreis
Auch Russland, das anders als Iran nicht der Opec angehört, leidet unter dem niedrigen Ölpreis. Für 2014 hatte Moskau mit durchschnittlich 104 Dollar pro Barrel gerechnet. Diese Kalkulation haut aber längst nicht mehr hin. Mit jedem Dollar unter dem Zielwert verliert Russland pro Jahr rund zwei Milliarden Dollar, schätzt Maxim Oreschkin, Chef für strategische Planung im russischen Finanzministerium. Verluste zwischen 60 und 80 Milliarden Dollar, wie für das laufende Jahr befürchtet, kann sich aber auch Russland nicht leisten.
Heizen Saudi-Arabien und die USA, die den Markt mit billigem Öl schwemmen, den Preisverfall an, um ihre ärgsten geostrategischen Rivalen zu schwächen? Ja, sagt Rashid Abanmy, Präsident des regierungsnahen Zentrums für saudi-arabische Ölpolitik in Riad. Beide Regierungen wollten demnach Druck auf Moskau und Teheran ausüben, damit sie ihre Unterstützung für das Assad-Regime in Syrien zurückfahren.
Doch das ist allenfalls ein Teil der Wahrheit: Denn langfristig niedrige Ölpreise können nicht im Sinne der USA sein. Die Vereinigten Staaten erschließen mit der umstrittenen Fracking-Methode neue Ölvorkommen. Diese kostspieligen Projekte lohnen sich nach Einschätzung von Analysten für Washington aber nur, wenn der Ölpreis bei mindestens 80 Dollar pro Barrel liegt. Und auch dann ist die Gewinnmarge gering. Ein Barrel Öl per Fracking zu fördern, kostet etwa vier Mal mehr als das Pumpen des Erdöls im Nahen Osten.
Saudi-Arabien schadet also nicht nur dem Erzfeind in Teheran, sondern auch dem Partner in Washington. Mittelfristig muss sich das Land entscheiden, ob es sich leisten kann und will, die USA, den wichtigsten außenpolitischen Verbündeten des Königshauses mit niedrigen Ölpreisen zu verärgern.