
Österreichs Außenministerin Kneissl: Die Frau nach Kurz
Österreichs Außenministerin zur Flüchtlingskrise "Die Versprechungen, die Deutschland gemacht hat, hatten eine Sogwirkung"
An den Wänden hängen goldgerahmte Porträts von Kaiserin Maria Theresia und ihrer Familie, schwere Möbel stehen im Raum. Österreichs Außenministerin Karin Kneissl, parteilos, aber auf dem Ticket der rechtspopulistischen FPÖ im Dezember ins Amt gekommen, hat die moderne, minimalistische Büroeinrichtung ihres Vorgängers Sebastian Kurz, inzwischen Bundeskanzler, verbannt und wieder einen traditionelleren Stil eingeführt.
Im Nebenraum halten sich ihre Hunde auf, Kneissl liebt Tiere und lebt nach wie vor auf ihrem kleinen Bauernhof im niederösterreichischen Dorf Seibersdorf.

Karin Kneissl, geboren 1965, verbrachte einen Teil ihrer Kindheit in der jordanischen Hauptstadt Amman. Ihr Vater diente als Pilot für König Hussein I., die Mutter arbeitete als Stewardess. Kneissl studierte Arabistik und Hebräisch mit Stationen in Jerusalem, Washington, Beirut und Amman, arbeitete acht Jahre als Diplomatin und machte sich 1998 als Publizistin und Nahostexpertin selbstständig. Die FPÖ wurde durch ihre teils markigen Aussagen im Jahr 2015 auf sie aufmerksam, als Tausende Flüchtlinge nach Österreich kamen.
An der Spitze des Außenministeriums in Wien steht sie vor großen Herausforderungen. In der Flüchtlingspolitik sucht Österreich eine Rolle als Brückenbauer zwischen den osteuropäischen EU-Staaten, die auf Schutz der Außengrenzen setzen, und Ländern wie Deutschland, die eine Verteilung von Flüchtlingen nach einem Quotensystem wollen.
SPIEGEL ONLINE: Frau Kneissl, hat es Sie nicht gestört, als ausgerechnet die rechtspopulistische FPÖ Sie fragte, ob Sie Außenministerin werden wollten?
Kneissl: Als ich gefragt wurde, ob ich als Unabhängige das Außenamt übernehmen wolle, hatte ich mehrere schlaflose Nächte. Es war nicht so, dass ich sofort dachte: Welch großartiges Angebot, jetzt wirst du Ministerin! Ich habe gegrübelt, weil ich glücklich war und die letzten drei Jahre beruflich sehr gut liefen für mich. Ich habe gern geschrieben, unterrichtet und als Analystin gearbeitet.
SPIEGEL ONLINE: Weshalb dann die Rückkehr ins Außenministerium?
Kneissl: Das mag in manchen Ohren pathetisch klingen, aber ich mache es für das Land. Parteiämter strebe ich nicht an, ich möchte weiter parteilos bleiben und bin in der privilegierten Situation, keine Landtagswahlkämpfe machen zu müssen.
SPIEGEL ONLINE: In der Flüchtlingsfrage vertreten Sie aber FPÖ-Positionen.
Kneissl: Als Unabhängige redet mir keiner von irgendeiner Seite rein. Die FPÖ wie auch Sebastian Kurz sind auf mich schon im Herbst 2015 aufmerksam geworden, als alle einer Willkommenskultur das Wort redeten und ich meine Bedenken kundtat und sagte: Achtung, das wird kompliziert! Ich habe mich schon im Frühling 2015 um mehrere syrische Flüchtlingsfamilien gekümmert und in Flüchtlingsunterkünften übersetzt. Tatsache ist, dass viele zornige junge Männer ihre Heimatländer verlassen haben, weil sie dort keine Arbeit fanden und keine Perspektive sehen. Dafür, dass ich das ausgesprochen habe, wurde ich fürchterlich gescholten, aber ich finde, man kann das nicht verschweigen. Die FPÖ lud mich ein, Vorträge zu halten. Daraufhin wurde ich von anderen - den Grünen, der SPÖ - nicht mehr eingeladen, obwohl ich dort früher dieselben Vorträge gehalten hatte. Über die Anfeindungen war ich doch sehr irritiert.
SPIEGEL ONLINE: Wie müsste Ihrer Ansicht nach eine gute europäische Flüchtlingspolitik aussehen?
Kneissl: Eine europäische Politik kann sich nicht auf Quoten reduzieren. Es geht um eine umfassende Reform des gesamten Asylwesens und um Grenzschutz.
SPIEGEL ONLINE: Also Grenzen dicht, niemand darf mehr herein, so wie Ungarns Regierungschef Viktor Orbán das fordert?
Kneissl: Natürlich braucht Europa Zuwanderung im Sinne des Arbeitsmarktes. Aber der indische Softwareentwickler kommt nicht zu uns, weil er lieber in den englischsprachigen Raum geht. Hinzu kommt, dass mir Menschen aus dem Nahen Osten, die ich kenne, erzählen, sie wollten nicht nach Österreich, weil es bei uns zu viele Vorschriften und bürokratische Hürden gebe und man bei uns kein Business machen könne. Die gehen woanders hin und bringen es dort zu Wohlstand. Nehmen Sie den Milliardär Carlos Slim: Der kommt aus einem südlibanesischen Dorf und ist mit seiner Familie und ein paar Plastiktüten in Mexiko gelandet. Da müsste sich in Europa sicherlich etwas ändern. Dafür bin ich zwar nicht zuständig, aber das sage ich als jemand, der selbst 20 Jahre lang freischaffend tätig war.
SPIEGEL ONLINE: Aber es geht ja derzeit nicht um Einwanderung in den Arbeitsmarkt, sondern um Flüchtlinge.
Kneissl: Österreich hat immer Menschen aufgenommen. Aber man muss sich schon auch fragen, von wo. Ich erinnere mich, als in meiner Kindheit das Kriegsrecht in Polen ausgerufen wurde, hatten wir in der Schulklasse plötzlich fünf polnische Kinder, die allein gekommen waren. Das waren wirklich unbegleitete Minderjährige. Die Eltern hatten sie bei Nacht und Nebel allein über die Grenze geschickt. Aus all diesen Kindern ist etwas geworden. Die haben sich durchgekämpft. Ähnliches weiß ich von Menschen, die aus der Tschechoslowakei kamen, aus Ungarn. Busse voller Alter, Kranker und Kinder, nicht Männer mit Testosteronstau. Menschen von nebenan, die unsere Kultur teilen.
SPIEGEL ONLINE: Aber das können Sie doch nicht mit der Situation in Syrien oder Afghanistan vergleichen. Das Geld für die lange Flucht reicht ja meist nur für eine Person, und dann wählt die Familie denjenigen aus, der die besten Chancen hat, es zu schaffen, nämlich einen jungen Mann.
Kneissl: Ja, aber die werden in ihren Erwartungen enttäuscht. Manche machen eine Lehre und bekommen ein paar Hundert Euro, nicht die erhofften 3000 Euro, die sie der Familie versprochen haben. Man stellt fest, dass es derzeit eine gewisse Rückmigration von Nordeuropa nach Italien gibt, weil die Menschen in der dortigen Schattenwirtschaft mehr verdienen. Die Versprechungen, die Deutschland den Menschen gemacht hat, nämlich zum Beispiel Syrer, Iraker und Afghanen von den Asylregelungen des Dublin-Abkommens auszunehmen, hatten eine gewaltige Sogwirkung. Da haben sich Menschen auf den Weg gemacht, die sonst nie gekommen wären. Ich war im Herbst 2015 im Nahen Osten unterwegs und habe viele Menschen getroffen, die sagten: "Merkel hat uns gerufen!" Sie gaben ihre Arbeitsplätze dort auf, um nach Europa zu gehen.
SPIEGEL ONLINE: Sie glauben, das seien alles Wirtschaftsflüchtlinge?
Kneissl: Nein, es gibt nicht die eine Herkunftsgruppe oder das eine Motiv, nach Europa zu kommen. Insgesamt muss man sehr genau schauen und politisch klug entscheiden. Aber es ist unsere Pflicht, die europäischen Außengrenzen zu sichern. Nichts anderes hat übrigens Viktor Orbán getan. Und wir müssen uns sehr wohl fragen: Wer kann in welcher Gastgesellschaft zurechtkommen?
SPIEGEL ONLINE: Zu dem Satz, der Islam gehöre zu Österreich, haben Sie sich bisher noch nicht durchringen können, oder?
Kneissl: Ich sage: Nicht der Islam, aber Muslime als österreichische Staatsbürger gehören zu Österreich.