Außenminister Kurz Österreich will keinen "Türkei-Deal um jeden Preis"

Sebastian Kurz
Foto: Christian Bruna/ dpaÖsterreichs Außenminister Sebastian Kurz warnt die Europäische Union eindringlich davor, sich auf das Flüchtlingsabkommen mit der Türkei zu verlassen. "Sonst werden wir am Ende auch verlassen sein", sagte Kurz dem SPIEGEL. (Lesen Sie das ganze Gespräch im neuen SPIEGEL.)
Die Türkei hat mit der EU vereinbart, für jeden in das Land abgeschobenen Flüchtling aus der EU im Gegenzug einen Flüchtling in die EU zu bringen. Damit soll die illegale Flucht mit unsicheren Booten über die Ägäis nach Griechenland unterbunden werden.
Der Deal steht - doch Präsident Recep Tayyip Erdogan drohte zuletzt unverhohlen mit seiner Aufkündigung, wenn die EU weiter Druck wegen der Anti-Terror-Gesetze ausübe. Auf ihrer Grundlage wurden Journalisten, Wissenschaftler und Oppositionelle angeklagt. Wegen Verstößen gegen die Meinungs- und Pressefreiheit steht die Türkei seit Monaten in der Kritik.
Europa dürfe "nicht erpressbar und schwach sein. Ich bin jedenfalls nicht für einen Türkei-Deal um jeden Preis", sagte Kurz dem SPIEGEL. Durch das Abkommen könne es vielleicht eine kurzfristige Entlastung geben, dies könne aber nur der "Plan B" sein. Der "Plan A" müsse ein starkes Europa sein, das bereit sei, seine Außengrenzen selbst zu schützen.
"Wenn wir das nicht tun, leben wir in einem Europa, das abhängig ist - von anderen Staaten, vielleicht sogar von Persönlichkeiten wie Präsident Erdogan. Und Abhängigkeit ist gefährlich." Es dürfe für die Türkei keine Ausnahmen geben, was die Visaliberalisierung angehe, sagte Kurz. "Die Grundwerte Europas dürfen nicht verhandelbar sein." Langfristig müsse es im Interesse der EU sein, eine Türkei zu haben, in der die Menschenrechte geachtet werden. "Alles andere bedeutet Destabilisierung direkt an unserer Grenze. Wenn wir wegsehen, wird die Entwicklung in der Türkei immer negativer."
FPÖ: Wechsel zu Kanzler Kern "wahrscheinlich die letzte Chance"
Die Schließung der Westbalkanroute, die Österreich gemeinsam mit den Westbalkanstaaten vorangetrieben hatte, gegen den Willen der deutschen Bundesregierung, bezeichnete Kurz als "wesentlichen Beitrag" dazu, dass es unattraktiver geworden sei, sich auf den Weg nach Europa zu machen. "Ob das auch positive Auswirkungen für Deutschland hatte, muss dort beurteilt werden." Es habe deswegen Verstimmungen mit der deutschen Bundesregierung gegeben, diese seien aber ausgeräumt.
Zu den fast 50 Prozent Stimmenanteil für den FPÖ-Kandidaten Norbert Hofer bei der österreichischen Präsidentenwahl sagte Kurz, der Hauptgrund sei die Flüchtlingskrise, es gebe aber auch eine starke Unzufriedenheit mit der Regierung und dem politischen System. Das Modell der Großen Koalition sei in Österreich immer unpopulärer geworden: "Der Kanzlerwechsel hin zu Christian Kern ist eine Chance. Es wird wahrscheinlich die letzte sein."