
Offensive gegen IS Was die Türkei in Mossul will

Die Lage rund um die Millionenstadt
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Berge und Hügel umgeben die Gegend von Baschika, Olivenbäume wachsen an den Hängen. Nachts sinken die Temperaturen in diesen Tagen auf zehn Grad, die türkischen Soldaten tragen dicke Jacken. Tagsüber laufen sie in kurzen Ärmeln herum, das Thermometer zeigt dann immer noch gut 30 Grad.
Manchmal hören sie Explosionen, in der Ferne sehen sie Rauchwolken. Baschika liegt etwa 15 Kilometer nordöstlich von Mossul, von jener zweitgrößten irakischen Stadt, die im Sommer 2014 handstreichartig von Kämpfern des "Islamischen Staates" (IS) eingenommen wurde. Soldaten und Kämpfer mehrerer Konfliktparteien versuchen seit der Nacht auf Montag, sie von den Extremisten zurückzuerobern. Die Türken sind nicht dabei. (Einen Überblick über die verschiedenen Konfliktparteien finden Sie hier)
Die Lage rund um die Millionenstadt
Foto: SPIEGEL ONLINERecep Tayyip Erdogan ärgert das. Anfang der Woche fand er deutliche Worte. "Sie sagen, wir sollten uns aus Mossul heraushalten. Warum sollten wir? Wir haben eine 350 Kilometer lange Grenze mit dem Irak. Da tummeln sich Leute, die nichts mit der Region zu tun haben, nur weil Bagdad sie angeblich gebeten hat zu kommen. Hat Saddam Hussein sie vor 14 Jahren auch eingeladen? Sie kamen trotzdem."
Der Ärger des türkischen Staatspräsidenten richtete sich gegen die irakische Regierung in Bagdad, die der Türkei vorwirft, illegal Truppen auf irakischem Boden stationiert zu haben und damit "Besatzer" zu sein. "Türkische Streitkräfte haben unter keinen Umständen unsere Erlaubnis, an der Befreiung von Mossul teilzunehmen", sagt der irakische Premierminister Haider al-Abadi.
Video: Die Offensive auf Mossul
Iraks Führung betrachtet türkische Truppen in Baschika als Besatzung
Erdogans Groll richtet sich aber auch gegen die USA, die Abadi stützen und die türkische Regierung haben wissen lassen: Jegliche ausländischen Truppen im Irak sollten die Erlaubnis der irakischen Führung haben. Mit anderen Worten: Wenn Bagdad keine türkischen Truppen in Mossul wünscht, dann haben sie dort auch nichts verloren. Die irakische Führung sieht schon in der Stationierung türkischer Truppen in Baschika eine Besetzung. Ankara solle sie sofort abziehen, andernfalls riskiere die Türkei einen "regionalen Krieg", warnte er kürzlich.
Seit 1992 sind türkische Soldaten im Nordirak stationiert. Damals kamen sie, um gegen die PKK zu kämpfen. Das tun sich heute noch, aber, sagt ein türkischer Offizier, man sei "auch hier, um Daesh zu besiegen". Daesh ist das arabische Akronym für den IS. Nach jahrelanger mehr oder weniger offener Unterstützung des IS durch die Türkei sind viele Beobachter überzeugt, dass das Hauptziel der Türkei nach wie vor ist, eine Ausweitung des Einflussbereichs der PKK zu verhindern.
Die Türkei, dem Irak militärisch überlegen, lässt es in diesen Tagen auf einen Streit mit dem Nachbarn ankommen. Die Regierung in Ankara befürchtet, dass Mossul mit seiner mehrheitlich sunnitischen Bevölkerung nach einer Befreiung vom IS schiitisch werden könnte. Erdogan erläuterte im Parlament, es gebe "Bemühungen, die demografische Zusammensetzung von Mossul zu verändern". Die Türkei werde alles tun, das zu verhindern.
Anfang Oktober hatte Erdogan öffentlich gesagt, nach einer Befreiung Mossuls dürften dort nur sunnitische Araber, Turkmenen und sunnitische Kurden leben - ein Affront gegen den Irak, in dem mehrheitlich Schiiten leben. Beide Länder beriefen den Botschafter des jeweils anderen Landes ein. Vergangene Woche beschimpfte Erdogan dann den irakischen Premier in einer Rede vor Religionsgelehrten. "Benimm dich!", rief er an Abadis Adresse. "Du bist sowieso nicht mein Ansprechpartner, du hast nicht meinen Rang, du bist auch nicht mein Kaliber, du hast auch nicht meine Qualität."
Endlich-verständlich- Video: Darum ist Mossul so umkämpft
Die Türken versuchen nun auf anderem Wege, Einfluss auf die Entwicklung in Mossul zu nehmen. Erdogan sprach vergangene Woche von einem "Plan B oder Plan C", ohne konkreter zu werden. In Baschika trainieren türkische Soldaten die sunnitische Miliz Haschd al-Watani, die Atheel al-Nujaifi gegründet hat. Nujaifi ist der frühere Gouverneur der Provinz Ninive, deren Hauptstadt Mossul ist. Er erhofft sich nach der Rückeroberung der Stadt, die Provinz in die Autonomie zu führen, so wie das benachbarte Kurdistan im Nordirak. Für sich selbst erhofft er sich wieder eine einflussreiche Rolle in der Politik der Region. Die Kämpfer der Miliz gelten als gut ausgebildet und hochgerüstet - dank Unterstützung der Türkei.
Der Irak befürchtet mit Haschd al-Watani "eine Stellvertreterarmee" in Mossul
Die Türken und die Miliz kooperieren auch mit den kurdischen Peschmerga, die in den vergangenen Tagen Richtung Mossul vorgerückt sind, nun aber vor der Stadt verharren und dort die Linien sichern, während Kämpfer von Haschd al-Watani in die Stadt eindringen und den Häuserkampf gegen den IS führen sollen. Angehörige der Miliz lassen jedenfalls keinen Zweifel daran, was ihr Ziel ist: die Herrschaft in Mossul der Sunniten, sobald sie die Stadt vom IS befreit haben. "Mossul gehört uns", zitiert das Nahostportal "Al Monitor" den Kommandeur der Miliz, General Mohammed Tahma Talib.
Die irakische Regierung sieht das Treiben von Haschd al-Watani mit Argwohn, unterstellt der Miliz und ihrem Gründer Nujaifi Nähe zum IS. Das Vorgehen der Kämpfer, heißt es aus Bagdad, sei nicht mit offiziellen Stellen abgesprochen und "eine Gefahr". Die Kritik richtet sich vor allem aber gegen die Türkei, die "eine Stellvertreterarmee" nach Mossul schicke, "weil sie selbst nicht dürfen", sagt ein irakischer Abgeordneter, der namentlich nicht genannt werden möchte.
Für die Türkei, die zur Regionalmacht aufsteigen wollte, ist die Lage ein Dilemma. Im Irak sieht sie sich im Konflikt mit der dortigen Regierung, mit Iran, der Abadi und diverse schiitische Milizen im Irak unterstützt, und, gravierender noch, mit ihrem Nato-Partner USA. Und in Syrien, wo Erdogan ebenfalls gerne eine sunnitische Führung an der Macht sähe, unterstützt Russland den dortigen Machthaber Baschar al-Assad, den die Türkei als Gegner erachtet.
Und so dürfte es in den kommenden Wochen und Monaten dabei bleiben, dass die türkischen Soldaten bei der Schlacht um Mossul nur zuschauen dürfen. Aus der Ferne, von den Hügeln von Baschika.
Zusammengefasst: Die türkische Armee darf offiziell nicht bei der Befreiung von Mossul aus der Gewalt des IS mitmachen. Gegen das Verbot der irakischen Regierung richtet sich der Groll von Präsident Erdogan. Erwartet wird nun, dass die Türken über unterstützte Milizen in der Region Einfluss auf die Geschicke der Millionenstadt nehmen werden.
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Recep Tayyip Erdogan ärgert sich über das Verbot der Iraker an die türkischen Truppen, bei der Befreiung Mossuls mitzumachen. Anfang der Woche fand er deutliche Worte. "Sie sagen, wir sollten uns aus Mossul heraushalten. Warum sollten wir? Wir haben eine 350 Kilometer lange Grenze mit dem Irak."
Kurdische Peschmerga blicken auf eine Straße nach Mossul: Seit Tagen ist eine Schlacht um die Millionenstadt im Gange, die seit zwei Jahren vom "Islamischen Staat" gehalten wird.
Soldaten blicken auf eine Rauchwolke über Mossul: Die irakische Regierung wirft der Türkei vor, illegal Truppen auf irakischem Boden stationiert zu haben und damit "Besatzer" zu sein. "Türkische Streitkräfte haben unter keinen Umständen unsere Erlaubnis, an der Befreiung von Mossul teilzunehmen", sagt der irakische Premierminister Haider al-Abadi.
Der Kampf um Mossul könnte auch schon bald zu einer humanitären Krisenlage führen. Viele Menschen sind bereits aus der Stadt geflohen, doch die Aufnahmelager in der Region sind fast alle voll.
Irakische Einheiten: Noch ist völlig unklar, wie langer der Kampf um die Stadt im Norden des Landes noch dauern wird. Zunächst waren rasche Gebietsgewinne gemeldet worden. Doch je näher die Eroberer an das Zentrum kommen, desto härter wird der Widerstand.
Recep Tayyip Erdogan ärgert sich über das Verbot der Iraker an die türkischen Truppen, bei der Befreiung Mossuls mitzumachen. Anfang der Woche fand er deutliche Worte. "Sie sagen, wir sollten uns aus Mossul heraushalten. Warum sollten wir? Wir haben eine 350 Kilometer lange Grenze mit dem Irak."
Foto: Murat Cetinmuhurdar/ APKurdische Peschmerga vor Mossul: Die Milizionäre nehmen Stellungen der Terrororganisation "Islamischer Staat" (IS) am Stadtrand unter Beschuss.
Im Osten von Mossul stehen die kurdischen Einheiten noch rund 25 Kilometer vor der Stadt. Mit Mörsergranaten wollen sie den Widerstand der Dschihadisten schwächen.
Die US-geführte Anti-IS-Koalition unterstützt den Vormarsch auf Mossul mit Luftangriffen.
Von Süden nähern sich Einheiten der irakischen Armee der Stadt. Sie stehen derzeit rund 45 Kilometer vor Mossul.
Massoud Barzani, der kurdische Präsident der Autonomen Region Kurdistans, auf Frontbesuch bei Mossul. Er sprach den kurdischen Kämpfern Mut zu.
Die irakische Armee zieht mit Panzern und gepanzerten Fahrzeugen in die Schlacht um die zweitgrößte Stadt des Landes.
Mossul ist schwer umkämpft, in den kommenden Tagen wollen die Eroberer bis an die Stadtgrenzen vordringen. Die Befreiung dürfte Wochen oder Monate dauern, möglicherweise zieht sich die Schlacht bis ins nächste Jahr.
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