
Opposition in Russland: Putins linke Rivalen
Opposition im Aufwind Russlands Linke hofft auf Anti-Kreml-Bonus
Linke Bewegungen haben in Russland eine lange Tradition: 20 Jahre nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion ticken noch immer viele Russen links. Bei den Wahlen zur Staatsduma legten die Kommunisten von Gennadij Sjuganow kräftig auf fast 20 Prozent zu, die Linkskonservativen von "Gerechtes Russland" erreichten immerhin 13 Prozent. Bei den Massenprotesten gegen Wahlfälschungen im Dezember aber spielten sie nur eine Nebenrolle. Russlands neues Bürgertum füllte da zu Zehntausenden Straßen und Plätze: Studenten, Unternehmer, Intellektuelle.
Nun aber - während Russlands liberale Opposition die nächste Kundgebung erst für den 4. Februar plant - will Kommunistenchef Sjuganow am Samstag mindestens 5000 Anhänger vor dem Kreml sammeln. Daneben suchen diverse linke Bewegungen aus dem Unmut auf den Kreml Kapital zu schlagen, darunter auch Wirrköpfe wie Swetlana Peunowa.
Die selbsternannte Führerin der Partei Wolja hat ihre Anhänger im Zentrum von Moskau gesammelt. Ihre Fahnen wehen auf dem Bolotnaja-Platz in Sichtweite des Kremls. Hier demonstrierten am 10. Dezember 50.000 gegen die gefälschten Parlamentswahlen. Ein Greis steht trotzig vor der Bühne. Er hat sich ein Plakat umgebunden. "Hängt Putin und Medwedew auf!" steht darauf. Und: "Erschießt die Oligarchen und die Regierung". Eine ältere Dame hält ein Foto von Sowjetdiktator Stalin in die Höhe, während vorne Swetlana Peunowa gegen die "intriganten Herren im Kreml" schießt. Peunowa ist Chefin der Linkspartei Wolja, übersetzt heißt das Wille, aber auch Freiheit. "Wolja", ruft Peunowa, sei die einzige Partei, die "die Interessen des einfachen Volkes, der Arbeiter vertritt".
Peunowa kokettiert gern mit einer gewissen Ähnlichkeit zu Angela Merkel. Die Bundeskanzlerin ist allerdings ungleich erfolgreicher: Peunowa scheiterte bereits viermal beim Versuch, ihre Partei registrieren zu lassen - weil der Kreml sie zum Feind erklärt habe, wie sie glaubt.
Ihre TV-Sendung "ABC des Glücks" in der Wolgastadt Samara habe die Regierung abgesetzt, als sie "negative soziale und wirtschaftliche Entwicklungen" in Russland angeprangert habe, sagt sie. Andere halten Peunowa, die im Internet esoterisch anmutende Praktiken wie "Energie-Informatik" oder "arzneifreie Heilung" propagiert, für eine gefährliche Sektenführerin. Auf ihrer Web-Seite "Through Apocalypse" prophezeit Peunowa den Weltuntergang. Am Mittwoch verwehrte ihr die Wahlkommission offiziell die Registrierung als Präsidentschaftskandidatin. Peunowa hatte statt der geforderten zwei Millionen Unterstützerunterschriften nur 220.000 eingereicht.
Udalzow will die Massendemonstrationen effektiver organisieren
Mit Sergej Udalzow müht sich ein weiterer Führer der linken Opposition, den Sprung an die Spitze der Protestbewegung zu schaffen. Der Chef der "Linken Front" wurde er erst kürzlich nach fast einem Monat im Gefängnis freigelassen. Udalzows Haft machte Schlagzeilen, weil er in einen Hungerstreik trat und mehrmals ins Krankenhaus eingeliefert werden musste. Hunderte Sympathisanten demonstrierten damals für seine Freilassung.
Gleich nach seiner Entlassung versuchte Udalzow, sich mit einer Demonstration der "Linken Front" in die Protestbewegung zu integrieren. Im Interview mit der russischen Zeitung "Nowaja Gaseta" schlug er vor, alle Oppositionsbewegungen durch ein gemeinsames "Koordinationszentrum" zu vereinen. So könne man effektiver "die Massendemonstrationen organisieren, Forderungen stellen, und Verhandlungen führen".
Udalzow gewann in dieser Woche einen mächtigen Verbündeten: den Führer der Kommunisten und Präsidentschaftskandidat Gennadij Sjuganow. Sjuganow, der für Samstag eigene Proteste ankündigte, schloss einen Pakt mit Udalzow. Der Kommunistenchef will Forderungen von Udalzows "Linker Front" durchsetzen, wenn er die Präsidentenwahlen gewinnt. Er will Neuwahlen des Parlaments, die Absetzung des Chefs der Putin-hörigen Wahlkommission und eine Verkürzung der Amtszeit des Präsidenten von sechs auf vier Jahre. Sjuganow versprach weiterhin, der Medienzensur in Russland ein Ende zu setzen und das Recht auf nationale Volksentscheide wieder einzuführen.
Damit schlägt sich der 67 Jahre alte Parteichef auf die Seite der Demonstranten. Bereits in der vergangenen Woche machte er erste Annäherungsversuche: Ausgerechnet der Chef der Kommunisten versprach, im Falle eine Sieges den Ex-Milliardär und Oligarchen Michail Chodorkowski aus der Haft zu entlassen. Der Besitzer des Öl-Konzerns Jukos hatte Putin 2003 herausgefordert und Oppositionsparteien finanziert. 2005 und 2010 wurde er zu langjährigen Haftstrafen verurteilt und soll noch bis 2017 in Haft bleiben.
Zu seiner Samstag geplanten Demonstration lädt Sjuganow denn auch "alle Parteien, Bewegungen und Bürger" ein. Sjuganow, der schon zum vierten Mal für das Präsidentenamt kandidiert, liegt in Umfragen noch deutlich zurück. Putin führt mit rund 48 Prozent, für Sjuganow wollen nur noch 10 Prozent stimmen. Doch der Kommunist setzt darauf, als einziger aussichtsreicher Oppositionskandidat auch die Stimmen von Protestwählern aus dem Lager der Liberalen zu vereinen. Klassenkampf hin oder her.