EVP gegen Orbán EU-Konservative können über Fidesz-Rauswurf abstimmen

Ungarns Ministerpräsident und Fidesz-Chef Viktor Orbán
Foto: TAMAS KASZAS/ REUTERSDer Ausschluss der ungarischen Fidesz aus der Europäischen Volkspartei (EVP) rückt näher.
Nach Informationen des SPIEGEL fordern inzwischen zwölf EVP-Mitgliedsparteien aus neun Ländern den Ausschluss oder die Suspendierung der ungarischen Regierungspartei Fidesz. Die entsprechenden Schreiben lägen EVP-Präsident Joseph Daul vor, hieß es aus Kreisen der Parteienfamilie.
Damit ist die Schwelle für einen Beschluss erreicht: Laut dem Statut der EVP liegt sie bei sieben Mitgliedsparteien aus fünf Ländern. Wie der SPIEGEL aus EVP-Kreisen erfuhr, haben die CDH und CD&V (Belgien), Kokoomus (Finnland), Nea Demokratia (Griechenland), TS-LKD (Litauen), CSV (Luxemburg), Hoyre (Norwegen), CDA (Niederlande), CDS-PP und PSD (Portugal) sowie Kristdemokraterna und Moderaterna (Schweden) Briefe an Daul geschrieben. Die deutschen EVP-Mitglieder CDU und CSU haben sich demnach bisher nicht beteiligt.
Die Debatte über den Ausschluss der Partei von Ungarns Ministerpräsident Viktor Orbán soll nun am 20. März stattfinden, wenn die EVP sich traditionsgemäß am Tag vor einem turnusmäßigen EU-Gipfel in Brüssel trifft. Dieser Beschluss fiel am Montag, nachdem Daul mit den Mitgliedern des EVP-Präsidiums telefoniert hatte. Zu dem 16-köpfigen Gremium gehören neben Daul unter anderem EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker, EU-Ratspräsident Donald Tusk, EU-Parlamentspräsident Antonio Tajani und Manfred Weber, Chef der EVP-Fraktion im EU-Parlament und Spitzenkandidat für die Europawahl im Mai.
Plakatkampagne brachte das Fass zum Überlaufen
Insider rechnen damit, dass es bei dem Treffen der 260 EVP-Delegierten hoch hergehen wird. Mit der Anwesenheit Orbáns wird in der Brüsseler Parteizentrale fest gerechnet - und auch damit, dass er sich wortgewaltig verteidigen wird.
Der ungarische Ministerpräsident war zuletzt wegen einer Kampagne gegen die EU-Kommission heftig in die Kritik geraten: Auf Plakaten wird Kommissionschef Juncker - der selbst EVP-Mitglied ist - vorgeworfen, illegale Einwanderung in die EU zu befördern. Neben Juncker ist auf den Plakaten der in Ungarn geborene US-Milliardär George Soros zu sehen, den Orbán zu einer Art Staatsfeind erhoben hat. Da Soros Jude ist, werden Orbán auch antisemitische Untertöne vorgeworfen.
Orbán hat in den vergangenen Jahren nicht nur wiederholt EU-feindliche Kampagnen gefahren, sondern verfolgt auch eine offen autoritäre Politik mit dem erklärten Ziel, eine "illiberale Demokratie" zu schaffen. Nach der jüngsten Kampagne war die Geduld mehrerer Vorsitzender anderer EVP-Parteien am Ende: Sie forderten öffentlich den Rauswurf der Orbán-Truppe.
Orbán lenkte daraufhin jedoch nicht ein, im Gegenteil: Im Interview mit der "Welt am Sonntag" legte er nach und bezeichnete seine EVP-internen Kritiker als "nützliche Idioten" der Linken. Auch die Anti-Juncker-Plakate bleiben hängen. Orbáns Sprecher Zoltan Kovacs verkündete per Twitter, dass die "Informationskampagne" wie geplant bis zum 15. März laufen werde. Und überhaupt sei die "Entscheidung des ungarischen Volks", die Migration zu stoppen, "für uns wichtiger als Parteidisziplin". Mit anderen Worten: Man werde auch in Zukunft nicht klein beigeben.
Orbán plant bereits die nächste Anti-EU-Kampagne
Stattdessen kündigte Ungarns Regierung schon die nächste Anti-Brüssel-Kampagne an. Das Ziel soll diesmal Frans Timmermans sein. Der Niederländer ist als erster Vizepräsident der EU-Kommission nicht nur für das laufende Rechtsstaatsverfahren gegen Ungarn verantwortlich, sondern auch Spitzenkandidat der Sozialdemokraten für die Europawahl - was ihm bereits zuvor Attacken aus Budapest eingebracht hat. Ein Sprecher der Kommission hat Orbán am Montag bereits vorgewarnt: Egal, ob es gegen Juncker, Timmermans oder andere Mitarbeiter der Behörde gehe - "wir werden antworten und unsere Arbeit mit gleicher Kraft gegen Unwahrheiten und betrügerische Rhetorik verteidigen".
Der Druck auf die EVP und ihren Spitzenkandidaten Weber, Fidesz auszuschließen, wird damit immer größer. Im Interview mit dem SPIEGEL hat der CSU-Mann eine solche Maßnahme nicht mehr ausgeschlossen: "Alle Optionen liegen auf dem Tisch." Allerdings steckt die EVP im Dilemma: Ein Rauswurf von Fidesz könnte die Fraktion im EU-Parlament 13 wertvolle Sitze kosten.
Und nicht nur das: Orbán könnte sich für einen Rauswurf an Weber persönlich rächen. Zwar gilt es als nahezu sicher, dass die EVP nach der Europawahl erneut die stärkste Fraktion im EU-Parlament stellt. Doch Weber muss nicht nur von einer Mehrheit der Abgeordneten zum Kommissionspräsidenten gewählt werden. Zuvor muss der Europäische Rat ihn formell dafür vorschlagen. Das Gremium der Staats- und Regierungschefs entscheidet zwar üblicherweise einstimmig, selbst wenn streng genommen ein Beschluss mit qualifizierter Mehrheit möglich ist - so wie auch beim Vorschlag des Kommissionspräsidenten. Doch die Staats-und Regierungschefs sind ohnehin nicht allzu begeistert davon, sich vom Spitzenkandidaten-System die Entscheidung aus der Hand nehmen zu lassen. Orbán könnte Weber hier also noch eine Menge Ärger bereiten.